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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem Wahrscheinlichen.
sie aus Empfindungen und Nachrichten erwächst,
oder dabey vorkömmt (§. 250.).
2. Dieses hindert aber nicht, daß die Gewißheit
nicht auch sollte bey Empfindungen und Nach-
richten = 1, oder vollständig seyn können (§. 246.
247. 258.). Jn so ferne ist sie demnach nur der
Art nach von der geometrischen verschieden (§. 259.
260.).
3. Ferner ist die geometrische Gewißheit mit der De-
monstration nicht so verbunden, daß sie nicht auch
aus subjectiven Ursachen und Hindernissen sollte
wegbleiben können (§. 260.).
4. Sieht man aber auf die Form des Vortrages,
so haben die Demonstrationen in Wissenschaften,
die im strengsten Verstande a priori sind, alle
Schärfe, Ordnung und Vollständigkeit, und sind
darinn von einer bloßen Aufhäufung von Argu-
menten wesentlich verschieden.
5. Sieht man bey solchen Argumenten nicht darauf,
ob ihre Summe ein Ganzes ausmache, so kann
daraus, wenn sie in der That zureichend sind, ei-
ne Art von Gewißheit entstehen, die aber von den
drey vorhin erwähnten Arten darinn verschieden
ist, daß sie einer logischen Entwicklung und Ord-
nung der Gründe bedarf, ohne welche sie von dem
bloß Wahrscheinlichen nicht unterschieden werden
kann (§. 171. 172. 174. 180. 183. 240.).

§. 264. Wenn es daher nur um Namen zu thun
ist, diese Arten der Gewißheit zu unterscheiden, so
kann man die, so aus Demonstrationen a priori er-
wächst, geometrisch, die, so aus Empfindungen ent-
steht, physisch, die, so bey Nachrichten vorkömmt,
historisch; alle drey Arten aber logisch nennen,
weil die Gewißheit dabey ohne die logische Form, nur
tumultuarisch seyn würde. Diesen Namen aber

können
D d 2
Von dem Wahrſcheinlichen.
ſie aus Empfindungen und Nachrichten erwaͤchſt,
oder dabey vorkoͤmmt (§. 250.).
2. Dieſes hindert aber nicht, daß die Gewißheit
nicht auch ſollte bey Empfindungen und Nach-
richten = 1, oder vollſtaͤndig ſeyn koͤnnen (§. 246.
247. 258.). Jn ſo ferne iſt ſie demnach nur der
Art nach von der geometriſchen verſchieden (§. 259.
260.).
3. Ferner iſt die geometriſche Gewißheit mit der De-
monſtration nicht ſo verbunden, daß ſie nicht auch
aus ſubjectiven Urſachen und Hinderniſſen ſollte
wegbleiben koͤnnen (§. 260.).
4. Sieht man aber auf die Form des Vortrages,
ſo haben die Demonſtrationen in Wiſſenſchaften,
die im ſtrengſten Verſtande a priori ſind, alle
Schaͤrfe, Ordnung und Vollſtaͤndigkeit, und ſind
darinn von einer bloßen Aufhaͤufung von Argu-
menten weſentlich verſchieden.
5. Sieht man bey ſolchen Argumenten nicht darauf,
ob ihre Summe ein Ganzes ausmache, ſo kann
daraus, wenn ſie in der That zureichend ſind, ei-
ne Art von Gewißheit entſtehen, die aber von den
drey vorhin erwaͤhnten Arten darinn verſchieden
iſt, daß ſie einer logiſchen Entwicklung und Ord-
nung der Gruͤnde bedarf, ohne welche ſie von dem
bloß Wahrſcheinlichen nicht unterſchieden werden
kann (§. 171. 172. 174. 180. 183. 240.).

§. 264. Wenn es daher nur um Namen zu thun
iſt, dieſe Arten der Gewißheit zu unterſcheiden, ſo
kann man die, ſo aus Demonſtrationen a priori er-
waͤchſt, geometriſch, die, ſo aus Empfindungen ent-
ſteht, phyſiſch, die, ſo bey Nachrichten vorkoͤmmt,
hiſtoriſch; alle drey Arten aber logiſch nennen,
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[419/0425] Von dem Wahrſcheinlichen. ſie aus Empfindungen und Nachrichten erwaͤchſt, oder dabey vorkoͤmmt (§. 250.). 2. Dieſes hindert aber nicht, daß die Gewißheit nicht auch ſollte bey Empfindungen und Nach- richten = 1, oder vollſtaͤndig ſeyn koͤnnen (§. 246. 247. 258.). Jn ſo ferne iſt ſie demnach nur der Art nach von der geometriſchen verſchieden (§. 259. 260.). 3. Ferner iſt die geometriſche Gewißheit mit der De- monſtration nicht ſo verbunden, daß ſie nicht auch aus ſubjectiven Urſachen und Hinderniſſen ſollte wegbleiben koͤnnen (§. 260.). 4. Sieht man aber auf die Form des Vortrages, ſo haben die Demonſtrationen in Wiſſenſchaften, die im ſtrengſten Verſtande a priori ſind, alle Schaͤrfe, Ordnung und Vollſtaͤndigkeit, und ſind darinn von einer bloßen Aufhaͤufung von Argu- menten weſentlich verſchieden. 5. Sieht man bey ſolchen Argumenten nicht darauf, ob ihre Summe ein Ganzes ausmache, ſo kann daraus, wenn ſie in der That zureichend ſind, ei- ne Art von Gewißheit entſtehen, die aber von den drey vorhin erwaͤhnten Arten darinn verſchieden iſt, daß ſie einer logiſchen Entwicklung und Ord- nung der Gruͤnde bedarf, ohne welche ſie von dem bloß Wahrſcheinlichen nicht unterſchieden werden kann (§. 171. 172. 174. 180. 183. 240.). §. 264. Wenn es daher nur um Namen zu thun iſt, dieſe Arten der Gewißheit zu unterſcheiden, ſo kann man die, ſo aus Demonſtrationen a priori er- waͤchſt, geometriſch, die, ſo aus Empfindungen ent- ſteht, phyſiſch, die, ſo bey Nachrichten vorkoͤmmt, hiſtoriſch; alle drey Arten aber logiſch nennen, weil die Gewißheit dabey ohne die logiſche Form, nur tumultuariſch ſeyn wuͤrde. Dieſen Namen aber koͤnnen D d 2

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/425>, abgerufen am 23.11.2024.