Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.Von dem Wahrscheinlichen. an sich unvollständig oder unausführlich sind, theilswenn wir sie uns nicht durchaus mit dem behörigen Bewußtseyn vorstellen. Das Rechnen kann uns hier zum deutlichsten Beyspiel dienen. Man setze sich z. E. vor, zwo Zahlen mit einander zu multipliciren. Hier muß man bey jeder einzeln Ziffer, die man schreibt, sich bewußt seyn, daß es diejenige sey, die man schreiben soll, um ohne fernere Probe versichert zu seyn, daß man das rechte Product herausbringe. Auf so viele einzel- ne Stücke man dabey Achtung zu geben hat, so muß man in Ansehung eines jeden sich bewußt seyn, daß man darauf Acht habe. Was hiebey fehlt, das fehlt zu- gleich an der Gewißheit von der Richtigkeit des Pro- ductes. Das behörige Bewußtseyn, von dem wir hier reden, ist eben so, wie die Gewißheit, die es her- vorbringt, eine absolute Einheit, und wird nie größer. Hingegen kann es kleiner seyn, wo nämlich Unacht- samkeit, Ermüdung der Aufmerksamkeit, und von andern Empfindungen und Gedanken herrührende Zer- streuung derselben, verursachen, daß man nicht dar- auf allein oder nicht vollständig Achtung giebt. Diese absolute Aufmerksamkeit, deren gradus intensitatis oder Stärke = 1 ist, muß auf jede Theile der Demon- stration gehen, und bis man sie durchgedacht hat, mit gleicher Stärke fortdauern. Dieß ist nun besonders bey verwickeltern Demonstrationen nicht jedermanns Ding, weil die erst angeführten Hindernisse sich bey den meisten Menschen leichter und früher einfinden, und daher aus bloß subjectiven Gründen verursachen, daß das Bindwörtgen in dem Schlußsatze mit einem Bruche behaftet wird (§. 189.). §. 261. Hier wäre nun allerdings zu wünschen, daß ist Lamb. Organon II B. D d
Von dem Wahrſcheinlichen. an ſich unvollſtaͤndig oder unausfuͤhrlich ſind, theilswenn wir ſie uns nicht durchaus mit dem behoͤrigen Bewußtſeyn vorſtellen. Das Rechnen kann uns hier zum deutlichſten Beyſpiel dienen. Man ſetze ſich z. E. vor, zwo Zahlen mit einander zu multipliciren. Hier muß man bey jeder einzeln Ziffer, die man ſchreibt, ſich bewußt ſeyn, daß es diejenige ſey, die man ſchreiben ſoll, um ohne fernere Probe verſichert zu ſeyn, daß man das rechte Product herausbringe. Auf ſo viele einzel- ne Stuͤcke man dabey Achtung zu geben hat, ſo muß man in Anſehung eines jeden ſich bewußt ſeyn, daß man darauf Acht habe. Was hiebey fehlt, das fehlt zu- gleich an der Gewißheit von der Richtigkeit des Pro- ductes. Das behoͤrige Bewußtſeyn, von dem wir hier reden, iſt eben ſo, wie die Gewißheit, die es her- vorbringt, eine abſolute Einheit, und wird nie groͤßer. Hingegen kann es kleiner ſeyn, wo naͤmlich Unacht- ſamkeit, Ermuͤdung der Aufmerkſamkeit, und von andern Empfindungen und Gedanken herruͤhrende Zer- ſtreuung derſelben, verurſachen, daß man nicht dar- auf allein oder nicht vollſtaͤndig Achtung giebt. Dieſe abſolute Aufmerkſamkeit, deren gradus intenſitatis oder Staͤrke = 1 iſt, muß auf jede Theile der Demon- ſtration gehen, und bis man ſie durchgedacht hat, mit gleicher Staͤrke fortdauern. Dieß iſt nun beſonders bey verwickeltern Demonſtrationen nicht jedermanns Ding, weil die erſt angefuͤhrten Hinderniſſe ſich bey den meiſten Menſchen leichter und fruͤher einfinden, und daher aus bloß ſubjectiven Gruͤnden verurſachen, daß das Bindwoͤrtgen in dem Schlußſatze mit einem Bruche behaftet wird (§. 189.). §. 261. Hier waͤre nun allerdings zu wuͤnſchen, daß iſt Lamb. Organon II B. D d
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0423" n="417"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem Wahrſcheinlichen.</hi></fw><lb/> an ſich unvollſtaͤndig oder unausfuͤhrlich ſind, theils<lb/> wenn wir ſie uns nicht durchaus mit dem behoͤrigen<lb/><hi rendition="#fr">Bewußtſeyn</hi> vorſtellen. Das Rechnen kann uns hier<lb/> zum deutlichſten Beyſpiel dienen. Man ſetze ſich z. E.<lb/> vor, zwo Zahlen mit einander zu multipliciren. Hier<lb/> muß man bey jeder einzeln Ziffer, die man ſchreibt, ſich<lb/> bewußt ſeyn, daß es diejenige ſey, die man ſchreiben ſoll,<lb/> um ohne fernere Probe verſichert zu ſeyn, daß man<lb/> das rechte Product herausbringe. Auf ſo viele einzel-<lb/> ne Stuͤcke man dabey Achtung zu geben hat, ſo muß<lb/> man in Anſehung eines jeden ſich bewußt ſeyn, daß man<lb/> darauf Acht habe. Was hiebey fehlt, das fehlt zu-<lb/> gleich an der Gewißheit von der Richtigkeit des Pro-<lb/> ductes. Das <hi rendition="#fr">behoͤrige</hi> Bewußtſeyn, von dem wir<lb/> hier reden, iſt eben ſo, wie die Gewißheit, die es her-<lb/> vorbringt, eine abſolute Einheit, und wird nie groͤßer.<lb/> Hingegen kann es kleiner ſeyn, wo naͤmlich <hi rendition="#fr">Unacht-<lb/> ſamkeit, Ermuͤdung</hi> der Aufmerkſamkeit, und von<lb/> andern Empfindungen und Gedanken herruͤhrende <hi rendition="#fr">Zer-<lb/> ſtreuung derſelben,</hi> verurſachen, daß man nicht dar-<lb/> auf allein oder nicht vollſtaͤndig Achtung giebt. Dieſe<lb/><hi rendition="#fr">abſolute Aufmerkſamkeit,</hi> deren <hi rendition="#aq">gradus intenſitatis</hi><lb/> oder Staͤrke = 1 iſt, muß auf jede Theile der Demon-<lb/> ſtration gehen, und bis man ſie durchgedacht hat, mit<lb/> gleicher Staͤrke fortdauern. Dieß iſt nun beſonders<lb/> bey verwickeltern Demonſtrationen nicht jedermanns<lb/> Ding, weil die erſt angefuͤhrten Hinderniſſe ſich bey den<lb/> meiſten Menſchen leichter und fruͤher einfinden, und<lb/> daher aus bloß <hi rendition="#fr">ſubjectiven Gruͤnden</hi> verurſachen,<lb/> daß das Bindwoͤrtgen in dem Schlußſatze mit einem<lb/> Bruche behaftet wird (§. 189.).</p><lb/> <p>§. 261. Hier waͤre nun allerdings zu wuͤnſchen, daß<lb/> wir einen Maaßſtab haͤtten, woran ſich dieſe <hi rendition="#fr">Einheit</hi><lb/> des vollſtaͤndigen Bewußtſeyns, und deſſen Theile erken-<lb/> nen und ausmeſſen ließen. Denn allem Anſehen nach<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Lamb. Organon <hi rendition="#aq">II</hi> B. D d</fw><fw place="bottom" type="catch">iſt</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [417/0423]
Von dem Wahrſcheinlichen.
an ſich unvollſtaͤndig oder unausfuͤhrlich ſind, theils
wenn wir ſie uns nicht durchaus mit dem behoͤrigen
Bewußtſeyn vorſtellen. Das Rechnen kann uns hier
zum deutlichſten Beyſpiel dienen. Man ſetze ſich z. E.
vor, zwo Zahlen mit einander zu multipliciren. Hier
muß man bey jeder einzeln Ziffer, die man ſchreibt, ſich
bewußt ſeyn, daß es diejenige ſey, die man ſchreiben ſoll,
um ohne fernere Probe verſichert zu ſeyn, daß man
das rechte Product herausbringe. Auf ſo viele einzel-
ne Stuͤcke man dabey Achtung zu geben hat, ſo muß
man in Anſehung eines jeden ſich bewußt ſeyn, daß man
darauf Acht habe. Was hiebey fehlt, das fehlt zu-
gleich an der Gewißheit von der Richtigkeit des Pro-
ductes. Das behoͤrige Bewußtſeyn, von dem wir
hier reden, iſt eben ſo, wie die Gewißheit, die es her-
vorbringt, eine abſolute Einheit, und wird nie groͤßer.
Hingegen kann es kleiner ſeyn, wo naͤmlich Unacht-
ſamkeit, Ermuͤdung der Aufmerkſamkeit, und von
andern Empfindungen und Gedanken herruͤhrende Zer-
ſtreuung derſelben, verurſachen, daß man nicht dar-
auf allein oder nicht vollſtaͤndig Achtung giebt. Dieſe
abſolute Aufmerkſamkeit, deren gradus intenſitatis
oder Staͤrke = 1 iſt, muß auf jede Theile der Demon-
ſtration gehen, und bis man ſie durchgedacht hat, mit
gleicher Staͤrke fortdauern. Dieß iſt nun beſonders
bey verwickeltern Demonſtrationen nicht jedermanns
Ding, weil die erſt angefuͤhrten Hinderniſſe ſich bey den
meiſten Menſchen leichter und fruͤher einfinden, und
daher aus bloß ſubjectiven Gruͤnden verurſachen,
daß das Bindwoͤrtgen in dem Schlußſatze mit einem
Bruche behaftet wird (§. 189.).
§. 261. Hier waͤre nun allerdings zu wuͤnſchen, daß
wir einen Maaßſtab haͤtten, woran ſich dieſe Einheit
des vollſtaͤndigen Bewußtſeyns, und deſſen Theile erken-
nen und ausmeſſen ließen. Denn allem Anſehen nach
iſt
Lamb. Organon II B. D d
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |