Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.V. Hauptstück. Anstand. Es kann zwar vorkommen, daß wir die Nach-richt anders verstehen, als sie der Aussager will verstan- den wissen. Dieses gehört aber zur Auslegekunst, als welche Mittel angiebt, dem Misverstand vorzubeugen. Ueberhaupt aber hat es in Absicht auf den Willen die Bewandniß, daß, wer anders redet, als er denkt, Grün- de oder Beweggründe dazu haben muß, theils weil es natürlich ist, das, was man denkt, zu sagen, theils weil es jedem Menschen daran gelegen seyn soll, sich nicht durch Unwahrheiten in Gefahr zu setzen, in wahren Aussagen, und wo er es wünschte, nicht mehr Glauben zu finden. §. 249. Nach den bisherigen Betrachtungen wer- §. 250. Zu diesem Ende kehren wir zu der bereits dungen
V. Hauptſtuͤck. Anſtand. Es kann zwar vorkommen, daß wir die Nach-richt anders verſtehen, als ſie der Ausſager will verſtan- den wiſſen. Dieſes gehoͤrt aber zur Auslegekunſt, als welche Mittel angiebt, dem Misverſtand vorzubeugen. Ueberhaupt aber hat es in Abſicht auf den Willen die Bewandniß, daß, wer anders redet, als er denkt, Gruͤn- de oder Beweggruͤnde dazu haben muß, theils weil es natuͤrlich iſt, das, was man denkt, zu ſagen, theils weil es jedem Menſchen daran gelegen ſeyn ſoll, ſich nicht durch Unwahrheiten in Gefahr zu ſetzen, in wahren Ausſagen, und wo er es wuͤnſchte, nicht mehr Glauben zu finden. §. 249. Nach den bisherigen Betrachtungen wer- §. 250. Zu dieſem Ende kehren wir zu der bereits dungen
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V. Hauptſtuͤck.
Anſtand. Es kann zwar vorkommen, daß wir die Nach-
richt anders verſtehen, als ſie der Ausſager will verſtan-
den wiſſen. Dieſes gehoͤrt aber zur Auslegekunſt, als
welche Mittel angiebt, dem Misverſtand vorzubeugen.
Ueberhaupt aber hat es in Abſicht auf den Willen die
Bewandniß, daß, wer anders redet, als er denkt, Gruͤn-
de oder Beweggruͤnde dazu haben muß, theils weil es
natuͤrlich iſt, das, was man denkt, zu ſagen, theils weil
es jedem Menſchen daran gelegen ſeyn ſoll, ſich nicht
durch Unwahrheiten in Gefahr zu ſetzen, in wahren
Ausſagen, und wo er es wuͤnſchte, nicht mehr Glauben
zu finden.
§. 249. Nach den bisherigen Betrachtungen wer-
den wir nun umſtaͤndlicher entwickeln koͤnnen, wie vie-
lerley man durch die moraliſche Gewißheit und
moraliſche Beweiſe verſtehe. Man ſetzt erſtere der
geometriſchen Gewißheit, letztere aber den geo-
metriſchen Demonſtrationen entgegen, und da
koͤnnen wir anmerken, daß hiebey das Wort geome-
triſch ſich nicht auf den Stoff, ſondern auf die Form
und den Zuſammenhang der Demonſtration be-
ziehe, weil es außer der Geometrie noch andere Wiſſen-
ſchaften giebt, die eben ſolcher Gewißheit und Demon-
ſtrationen faͤhig ſind (Dianoiol. §. 657. 658. 662. 663.
Alethiol. §. 128.). Wir werden unter dieſer Bedin-
gung das Wort geometriſch beybehalten, und ſo koͤn-
nen wir verneinensweiſe jede Gewißheit moraliſch
nennen, die nicht geometriſch iſt, oder nicht aus geo-
metriſchen Demonſtrationen erwaͤchſt. Man ſieht
leicht, daß dieſer terminus infinitus mehrere Arten
in ſich begreifen koͤnne, und dieſe haben wir hier auf-
zuſuchen.
§. 250. Zu dieſem Ende kehren wir zu der bereits
(§. 244.) gemachten Anmerkung zuruͤcke, daß wir naͤm-
lich außer den Demonſtrationen noch die Empfin-
dungen
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