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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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V. Hauptstück.
aus einander gesetzten Beweisen, werden die Morali-
schen
entgegengesetzt. Diese Benennung kömmt ver-
muthlich daher, weil die moralischen Beweise nebst den
Argumenten für den Verstand, auch die Argumente für
den Willen begreifen, und letztere ebenfalls gebraucht
werden, wo man, was von menschlichen Entschließun-
gen abhängt, erörtern, oder bey Untersuchung der Glaub-
würdigkeit den Einfluß der Affecten in die Aussage be-
stimmen soll. Hier betrachten wir sie nur noch, in so
ferne sie Argumente für den Verstand angeben. Und
dieses sind einzelne Stücke von Jnductionen, welche
man aufhäuft, ohne zu bestimmen, ob sie zum völligen
Beweise zureichend sind, sie mögen nun zureichend oder
mehr als zureichend (§. 171.), oder unzureichend seyn.
Die Versäumniß der Bestimmung ihrer Vollständig-
keit, und daß sie weder überflüßiges enthalten noch un-
zureichend sind, ist es demnach, wodurch wir die mora-
lischen Beweise
von den logischen in Absicht auf
den Verstand unterscheiden, weil letztere eben dadurch
logisch genennt werden, daß sie diese genaue Vollstän-
digkeit deutlich an Tag geben. Diese Versäumniß,
woher sie auch immer entstehe, macht nun, daß die mo-
ralischen Beweise, so sehr man auch darinn Argumente
zusammen aufhäuft, noch immer mehrerer zu bedürfen
scheinen (§. 172.). Es geschieht daher sehr oft, daß
man, anstatt auch nur eine von den vorhin angeführten
Arten von Jnductionen complet zu machen (§. 173.),
einzelne Stücke von mehreren, so viel man ihrer finden
kann, aufhäuft, und die Lücken durch einen dazu dienen-
den Vortrag nicht ausfüllt, sondern bedeckt, indem man,
statt des ausgelassenen zu erwähnen, die Aufmerksam-
keit des Lesers oder Zuhörers mit neuen Argumenten,
Harmonien, Uebereinstimmungen und Beantwortungen
von Einwürfen beschäfftigt. Und dieses läßt sich, wenn
der Satz, den man beweisen will, in der That wahr ist,

meister-

V. Hauptſtuͤck.
aus einander geſetzten Beweiſen, werden die Morali-
ſchen
entgegengeſetzt. Dieſe Benennung koͤmmt ver-
muthlich daher, weil die moraliſchen Beweiſe nebſt den
Argumenten fuͤr den Verſtand, auch die Argumente fuͤr
den Willen begreifen, und letztere ebenfalls gebraucht
werden, wo man, was von menſchlichen Entſchließun-
gen abhaͤngt, eroͤrtern, oder bey Unterſuchung der Glaub-
wuͤrdigkeit den Einfluß der Affecten in die Ausſage be-
ſtimmen ſoll. Hier betrachten wir ſie nur noch, in ſo
ferne ſie Argumente fuͤr den Verſtand angeben. Und
dieſes ſind einzelne Stuͤcke von Jnductionen, welche
man aufhaͤuft, ohne zu beſtimmen, ob ſie zum voͤlligen
Beweiſe zureichend ſind, ſie moͤgen nun zureichend oder
mehr als zureichend (§. 171.), oder unzureichend ſeyn.
Die Verſaͤumniß der Beſtimmung ihrer Vollſtaͤndig-
keit, und daß ſie weder uͤberfluͤßiges enthalten noch un-
zureichend ſind, iſt es demnach, wodurch wir die mora-
liſchen Beweiſe
von den logiſchen in Abſicht auf
den Verſtand unterſcheiden, weil letztere eben dadurch
logiſch genennt werden, daß ſie dieſe genaue Vollſtaͤn-
digkeit deutlich an Tag geben. Dieſe Verſaͤumniß,
woher ſie auch immer entſtehe, macht nun, daß die mo-
raliſchen Beweiſe, ſo ſehr man auch darinn Argumente
zuſammen aufhaͤuft, noch immer mehrerer zu beduͤrfen
ſcheinen (§. 172.). Es geſchieht daher ſehr oft, daß
man, anſtatt auch nur eine von den vorhin angefuͤhrten
Arten von Jnductionen complet zu machen (§. 173.),
einzelne Stuͤcke von mehreren, ſo viel man ihrer finden
kann, aufhaͤuft, und die Luͤcken durch einen dazu dienen-
den Vortrag nicht ausfuͤllt, ſondern bedeckt, indem man,
ſtatt des ausgelaſſenen zu erwaͤhnen, die Aufmerkſam-
keit des Leſers oder Zuhoͤrers mit neuen Argumenten,
Harmonien, Uebereinſtimmungen und Beantwortungen
von Einwuͤrfen beſchaͤfftigt. Und dieſes laͤßt ſich, wenn
der Satz, den man beweiſen will, in der That wahr iſt,

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[344/0350] V. Hauptſtuͤck. aus einander geſetzten Beweiſen, werden die Morali- ſchen entgegengeſetzt. Dieſe Benennung koͤmmt ver- muthlich daher, weil die moraliſchen Beweiſe nebſt den Argumenten fuͤr den Verſtand, auch die Argumente fuͤr den Willen begreifen, und letztere ebenfalls gebraucht werden, wo man, was von menſchlichen Entſchließun- gen abhaͤngt, eroͤrtern, oder bey Unterſuchung der Glaub- wuͤrdigkeit den Einfluß der Affecten in die Ausſage be- ſtimmen ſoll. Hier betrachten wir ſie nur noch, in ſo ferne ſie Argumente fuͤr den Verſtand angeben. Und dieſes ſind einzelne Stuͤcke von Jnductionen, welche man aufhaͤuft, ohne zu beſtimmen, ob ſie zum voͤlligen Beweiſe zureichend ſind, ſie moͤgen nun zureichend oder mehr als zureichend (§. 171.), oder unzureichend ſeyn. Die Verſaͤumniß der Beſtimmung ihrer Vollſtaͤndig- keit, und daß ſie weder uͤberfluͤßiges enthalten noch un- zureichend ſind, iſt es demnach, wodurch wir die mora- liſchen Beweiſe von den logiſchen in Abſicht auf den Verſtand unterſcheiden, weil letztere eben dadurch logiſch genennt werden, daß ſie dieſe genaue Vollſtaͤn- digkeit deutlich an Tag geben. Dieſe Verſaͤumniß, woher ſie auch immer entſtehe, macht nun, daß die mo- raliſchen Beweiſe, ſo ſehr man auch darinn Argumente zuſammen aufhaͤuft, noch immer mehrerer zu beduͤrfen ſcheinen (§. 172.). Es geſchieht daher ſehr oft, daß man, anſtatt auch nur eine von den vorhin angefuͤhrten Arten von Jnductionen complet zu machen (§. 173.), einzelne Stuͤcke von mehreren, ſo viel man ihrer finden kann, aufhaͤuft, und die Luͤcken durch einen dazu dienen- den Vortrag nicht ausfuͤllt, ſondern bedeckt, indem man, ſtatt des ausgelaſſenen zu erwaͤhnen, die Aufmerkſam- keit des Leſers oder Zuhoͤrers mit neuen Argumenten, Harmonien, Uebereinſtimmungen und Beantwortungen von Einwuͤrfen beſchaͤfftigt. Und dieſes laͤßt ſich, wenn der Satz, den man beweiſen will, in der That wahr iſt, meiſter-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/350>, abgerufen am 22.11.2024.