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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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V. Hauptstück.
die Einheit werden könne, daß sie aber auch, wiewohl
auf eine fehlerhafte Art, könne größer werden, wenn
man nämlich ohne Unterschied die unmittelbaren und
die entferntern Folgen zusammenrechnet, und sie nach
einerley Einheit schätzt, als wenn sie von einander un-
abhängig wären. Diese Vermengung, welche bey Red-
nern, und überhaupt bey den so genannten moralischen
Beweisen, sehr oft vorkömmt, ist ein Grund mit, war-
um man sich bey Durchlesung solcher Beweise überzeug-
ter glaubt, als man in der That ist, und warum leicht
wiederum Zweifel entstehen, wenn man das, so man er-
wiesen glaubte, von andern Seiten betrachtet, und da-
bey Lücken findet, die hätten ausgefüllt werden sollen,
und etwan auch ausgefüllt werden können.

§. 163. Jst aber die Sache nicht geschehen, oder
man weiß die Folgen davon nicht, sondern nur die vor-
gehenden Umstände, Anläße, Ursachen, Beweggründe etc.
so läßt sich daraus mehrentheils nur wahrscheinlich er-
weisen, ob sie geschehen sey, oder geschehen werde, oder
nicht? Die Fälle, wo man es dabey zur Gewißheit
bringt; sind diejenigen, wobey eine physische Noth-
wendigkeit
statt hat, oder wo der Lauf der Natur sich
nach beständigen Gesetzen richtet, die man aus vorge-
henden Erfahrungen gelernt hat. Auf diese Art be-
rechnen die Astronomen die Finsternisse und andere Er-
scheinungen am Firmamente voraus. So auch wenn
man im menschlichen Leben die Auswahl unter mehrern
Entschließungen dadurch auf eine einige einschränkt, daß
man die übrigen unmöglich oder unthunlich macht, so
läßt sichs leicht voraus sehen, daß geschehen werde, was
geschehen muß, oder wobey keine Wahl mehr bleibt.
Kömmt aber keine solche Nothwendigkeit vor, so ist
auch das Gegentheil immer möglich, und wir können
aus den Umständen, Ursachen etc. nur finden, was na-
türlicher Weise, der Natur der Sache gemäß,

oder

V. Hauptſtuͤck.
die Einheit werden koͤnne, daß ſie aber auch, wiewohl
auf eine fehlerhafte Art, koͤnne groͤßer werden, wenn
man naͤmlich ohne Unterſchied die unmittelbaren und
die entferntern Folgen zuſammenrechnet, und ſie nach
einerley Einheit ſchaͤtzt, als wenn ſie von einander un-
abhaͤngig waͤren. Dieſe Vermengung, welche bey Red-
nern, und uͤberhaupt bey den ſo genannten moraliſchen
Beweiſen, ſehr oft vorkoͤmmt, iſt ein Grund mit, war-
um man ſich bey Durchleſung ſolcher Beweiſe uͤberzeug-
ter glaubt, als man in der That iſt, und warum leicht
wiederum Zweifel entſtehen, wenn man das, ſo man er-
wieſen glaubte, von andern Seiten betrachtet, und da-
bey Luͤcken findet, die haͤtten ausgefuͤllt werden ſollen,
und etwan auch ausgefuͤllt werden koͤnnen.

§. 163. Jſt aber die Sache nicht geſchehen, oder
man weiß die Folgen davon nicht, ſondern nur die vor-
gehenden Umſtaͤnde, Anlaͤße, Urſachen, Beweggruͤnde ꝛc.
ſo laͤßt ſich daraus mehrentheils nur wahrſcheinlich er-
weiſen, ob ſie geſchehen ſey, oder geſchehen werde, oder
nicht? Die Faͤlle, wo man es dabey zur Gewißheit
bringt; ſind diejenigen, wobey eine phyſiſche Noth-
wendigkeit
ſtatt hat, oder wo der Lauf der Natur ſich
nach beſtaͤndigen Geſetzen richtet, die man aus vorge-
henden Erfahrungen gelernt hat. Auf dieſe Art be-
rechnen die Aſtronomen die Finſterniſſe und andere Er-
ſcheinungen am Firmamente voraus. So auch wenn
man im menſchlichen Leben die Auswahl unter mehrern
Entſchließungen dadurch auf eine einige einſchraͤnkt, daß
man die uͤbrigen unmoͤglich oder unthunlich macht, ſo
laͤßt ſichs leicht voraus ſehen, daß geſchehen werde, was
geſchehen muß, oder wobey keine Wahl mehr bleibt.
Koͤmmt aber keine ſolche Nothwendigkeit vor, ſo iſt
auch das Gegentheil immer moͤglich, und wir koͤnnen
aus den Umſtaͤnden, Urſachen ꝛc. nur finden, was na-
tuͤrlicher Weiſe, der Natur der Sache gemaͤß,

oder
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[330/0336] V. Hauptſtuͤck. die Einheit werden koͤnne, daß ſie aber auch, wiewohl auf eine fehlerhafte Art, koͤnne groͤßer werden, wenn man naͤmlich ohne Unterſchied die unmittelbaren und die entferntern Folgen zuſammenrechnet, und ſie nach einerley Einheit ſchaͤtzt, als wenn ſie von einander un- abhaͤngig waͤren. Dieſe Vermengung, welche bey Red- nern, und uͤberhaupt bey den ſo genannten moraliſchen Beweiſen, ſehr oft vorkoͤmmt, iſt ein Grund mit, war- um man ſich bey Durchleſung ſolcher Beweiſe uͤberzeug- ter glaubt, als man in der That iſt, und warum leicht wiederum Zweifel entſtehen, wenn man das, ſo man er- wieſen glaubte, von andern Seiten betrachtet, und da- bey Luͤcken findet, die haͤtten ausgefuͤllt werden ſollen, und etwan auch ausgefuͤllt werden koͤnnen. §. 163. Jſt aber die Sache nicht geſchehen, oder man weiß die Folgen davon nicht, ſondern nur die vor- gehenden Umſtaͤnde, Anlaͤße, Urſachen, Beweggruͤnde ꝛc. ſo laͤßt ſich daraus mehrentheils nur wahrſcheinlich er- weiſen, ob ſie geſchehen ſey, oder geſchehen werde, oder nicht? Die Faͤlle, wo man es dabey zur Gewißheit bringt; ſind diejenigen, wobey eine phyſiſche Noth- wendigkeit ſtatt hat, oder wo der Lauf der Natur ſich nach beſtaͤndigen Geſetzen richtet, die man aus vorge- henden Erfahrungen gelernt hat. Auf dieſe Art be- rechnen die Aſtronomen die Finſterniſſe und andere Er- ſcheinungen am Firmamente voraus. So auch wenn man im menſchlichen Leben die Auswahl unter mehrern Entſchließungen dadurch auf eine einige einſchraͤnkt, daß man die uͤbrigen unmoͤglich oder unthunlich macht, ſo laͤßt ſichs leicht voraus ſehen, daß geſchehen werde, was geſchehen muß, oder wobey keine Wahl mehr bleibt. Koͤmmt aber keine ſolche Nothwendigkeit vor, ſo iſt auch das Gegentheil immer moͤglich, und wir koͤnnen aus den Umſtaͤnden, Urſachen ꝛc. nur finden, was na- tuͤrlicher Weiſe, der Natur der Sache gemaͤß, oder

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/336>, abgerufen am 23.11.2024.