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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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III. Hauptstück.
verdecken. Eben dieses geht auch vor, wo nur ein
Theil der Sache, oder die schönere oder die häßlichere
Seite derselben vorgezeigt, die andere aber verschwie-
gen, hinterhalten oder bedeckt wird. Da in solchen
Fällen immer Widersprüche und Lücken vorkommen,
wovon erstere gehoben, letztere ausgefüllt werden müs-
sen, wenn die Sache durchaus mit der Wahrheit beste-
hen soll, so ist allerdings auch hier das Schritt für
Schritt gehen
(Alethiol. (§. 213. seqq.), und zwar
sowohl in Ansehung des Beyfalls als auch der Ent-
schließung und Handlungen, das Mittel, die Sache ins
Reine zu bringen,
und dabey sicher zu verfahren,
oder die rechte Form beyzubehalten, und zu fordern,
daß sie beybehalten werde. Zumuthungen, wovon man
weder den Zusammenhang mit dem vorgehenden, noch
das Ziel, wohin sie führen sollen, vollständig einsieht,
haben an sich schon immer das Ansehen, daß Einfalt,
Unwissenheit, Misverstand oder Vorsatz sie veranlassen,
und daher mehrere Aufklärung dabey nöthig sey, ehe
man denselben zufolge mehr thut, als was man ohne
Bedenken oder aus andern Gründen, und öfters auch
um die fernere Aufklärung zu veranstalten, thun kann
(§. 108.).

§. 117. Bey Vernunftschlüssen können nicht nur die
Vordersätze, sondern auch die Form eine bloß scheinba-
re Richtigkeit haben, und so kann auch hinwiederum die
Form unrichtig zu seyn scheinen. Letzteres kömmt vor,
wenn die Vordersätze versetzt oder auch umgekehrt, oder
durch gleichbedeutende Wörter und Redensarten aus-
gedruckt werden. Ersteres aber findet statt, wenn das
Wort, so das Mittelglied ausdrückt, eine unbemerkte
Vieldeutigkeit hat, und in jedem der zween Vordersätze
eine andere Sache vorstellt. Die versteckteren Fehler
in der Form der Schlüsse und Beweise werden Sophis-
mata
genennt, und man findet ihre verschiedenen Arten

in

III. Hauptſtuͤck.
verdecken. Eben dieſes geht auch vor, wo nur ein
Theil der Sache, oder die ſchoͤnere oder die haͤßlichere
Seite derſelben vorgezeigt, die andere aber verſchwie-
gen, hinterhalten oder bedeckt wird. Da in ſolchen
Faͤllen immer Widerſpruͤche und Luͤcken vorkommen,
wovon erſtere gehoben, letztere ausgefuͤllt werden muͤſ-
ſen, wenn die Sache durchaus mit der Wahrheit beſte-
hen ſoll, ſo iſt allerdings auch hier das Schritt fuͤr
Schritt gehen
(Alethiol. (§. 213. ſeqq.), und zwar
ſowohl in Anſehung des Beyfalls als auch der Ent-
ſchließung und Handlungen, das Mittel, die Sache ins
Reine zu bringen,
und dabey ſicher zu verfahren,
oder die rechte Form beyzubehalten, und zu fordern,
daß ſie beybehalten werde. Zumuthungen, wovon man
weder den Zuſammenhang mit dem vorgehenden, noch
das Ziel, wohin ſie fuͤhren ſollen, vollſtaͤndig einſieht,
haben an ſich ſchon immer das Anſehen, daß Einfalt,
Unwiſſenheit, Misverſtand oder Vorſatz ſie veranlaſſen,
und daher mehrere Aufklaͤrung dabey noͤthig ſey, ehe
man denſelben zufolge mehr thut, als was man ohne
Bedenken oder aus andern Gruͤnden, und oͤfters auch
um die fernere Aufklaͤrung zu veranſtalten, thun kann
(§. 108.).

§. 117. Bey Vernunftſchluͤſſen koͤnnen nicht nur die
Vorderſaͤtze, ſondern auch die Form eine bloß ſcheinba-
re Richtigkeit haben, und ſo kann auch hinwiederum die
Form unrichtig zu ſeyn ſcheinen. Letzteres koͤmmt vor,
wenn die Vorderſaͤtze verſetzt oder auch umgekehrt, oder
durch gleichbedeutende Woͤrter und Redensarten aus-
gedruckt werden. Erſteres aber findet ſtatt, wenn das
Wort, ſo das Mittelglied ausdruͤckt, eine unbemerkte
Vieldeutigkeit hat, und in jedem der zween Vorderſaͤtze
eine andere Sache vorſtellt. Die verſteckteren Fehler
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mata
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[292/0298] III. Hauptſtuͤck. verdecken. Eben dieſes geht auch vor, wo nur ein Theil der Sache, oder die ſchoͤnere oder die haͤßlichere Seite derſelben vorgezeigt, die andere aber verſchwie- gen, hinterhalten oder bedeckt wird. Da in ſolchen Faͤllen immer Widerſpruͤche und Luͤcken vorkommen, wovon erſtere gehoben, letztere ausgefuͤllt werden muͤſ- ſen, wenn die Sache durchaus mit der Wahrheit beſte- hen ſoll, ſo iſt allerdings auch hier das Schritt fuͤr Schritt gehen (Alethiol. (§. 213. ſeqq.), und zwar ſowohl in Anſehung des Beyfalls als auch der Ent- ſchließung und Handlungen, das Mittel, die Sache ins Reine zu bringen, und dabey ſicher zu verfahren, oder die rechte Form beyzubehalten, und zu fordern, daß ſie beybehalten werde. Zumuthungen, wovon man weder den Zuſammenhang mit dem vorgehenden, noch das Ziel, wohin ſie fuͤhren ſollen, vollſtaͤndig einſieht, haben an ſich ſchon immer das Anſehen, daß Einfalt, Unwiſſenheit, Misverſtand oder Vorſatz ſie veranlaſſen, und daher mehrere Aufklaͤrung dabey noͤthig ſey, ehe man denſelben zufolge mehr thut, als was man ohne Bedenken oder aus andern Gruͤnden, und oͤfters auch um die fernere Aufklaͤrung zu veranſtalten, thun kann (§. 108.). §. 117. Bey Vernunftſchluͤſſen koͤnnen nicht nur die Vorderſaͤtze, ſondern auch die Form eine bloß ſcheinba- re Richtigkeit haben, und ſo kann auch hinwiederum die Form unrichtig zu ſeyn ſcheinen. Letzteres koͤmmt vor, wenn die Vorderſaͤtze verſetzt oder auch umgekehrt, oder durch gleichbedeutende Woͤrter und Redensarten aus- gedruckt werden. Erſteres aber findet ſtatt, wenn das Wort, ſo das Mittelglied ausdruͤckt, eine unbemerkte Vieldeutigkeit hat, und in jedem der zween Vorderſaͤtze eine andere Sache vorſtellt. Die verſteckteren Fehler in der Form der Schluͤſſe und Beweiſe werden Sophis- mata genennt, und man findet ihre verſchiedenen Arten in

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/298>, abgerufen am 23.11.2024.