Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.Von dem psychologischen Schein. dessen unerachtet, wie er war, und wenn er für sich be-trachtet, etwas ganzes, nettes und einer Theorie würdi- ges vorstellt, so bleibt die engere Bedeutung des Wor- tes dennoch, oder es erhält, mehrerer Deutlichkeit hal- ber, eine nähere Bestimmung. Man sehe, was wir in Ansehung dieser Fälle in der Dianoiologie (§. 50.) in der Alethiologie (§. 153. seqq.), und in der Semiotik (§. 200. 348.) angemerkt haben. §. 110. Diese Unveränderlichkeit allgemeiner und §. 111. Wenn uns daher ein allgemeiner Begriff verschie-
Von dem pſychologiſchen Schein. deſſen unerachtet, wie er war, und wenn er fuͤr ſich be-trachtet, etwas ganzes, nettes und einer Theorie wuͤrdi- ges vorſtellt, ſo bleibt die engere Bedeutung des Wor- tes dennoch, oder es erhaͤlt, mehrerer Deutlichkeit hal- ber, eine naͤhere Beſtimmung. Man ſehe, was wir in Anſehung dieſer Faͤlle in der Dianoiologie (§. 50.) in der Alethiologie (§. 153. ſeqq.), und in der Semiotik (§. 200. 348.) angemerkt haben. §. 110. Dieſe Unveraͤnderlichkeit allgemeiner und §. 111. Wenn uns daher ein allgemeiner Begriff verſchie-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0293" n="287"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem pſychologiſchen Schein.</hi></fw><lb/> deſſen unerachtet, wie er war, und wenn er fuͤr ſich be-<lb/> trachtet, etwas ganzes, nettes und einer Theorie wuͤrdi-<lb/> ges vorſtellt, ſo bleibt die <hi rendition="#fr">engere</hi> Bedeutung des Wor-<lb/> tes dennoch, oder es erhaͤlt, mehrerer Deutlichkeit hal-<lb/> ber, eine naͤhere Beſtimmung. Man ſehe, was wir in<lb/> Anſehung dieſer Faͤlle in der Dianoiologie (§. 50.) in<lb/> der Alethiologie (§. 153. <hi rendition="#aq">ſeqq.</hi>), und in der Semiotik<lb/> (§. 200. 348.) angemerkt haben.</p><lb/> <p>§. 110. Dieſe Unveraͤnderlichkeit allgemeiner und<lb/> abſtracter Begriffe will aber nicht ſagen, daß auch un-<lb/> ſere Vorſtellung derſelben eben ſo unveraͤnderlich ſey.<lb/> Es iſt allerdings moͤglich, daß wir ſie bald ſo, bald an-<lb/> ders nehmen, und etwan ihren Umfang und den Be-<lb/> weis davon vergeſſen, oder ihre Anwendbarkeit auf be-<lb/> ſondere Faͤlle wechſelsweiſe glauben und in Zweifel zie-<lb/> hen, zumal wenn der Beweis aus vielen einzeln Thei-<lb/> len beſteht, deren man ſich aller bewußt ſeyn muß, um<lb/> ſeiner Vollſtaͤndigkeit verſichert zu ſeyn. Es kann die-<lb/> ſes beſonders bey den ſogenannten moraliſchen und hi-<lb/> ſtoriſchen Beweiſen geſchehen, wovon letztere auf Glaub-<lb/> wuͤrdigkeiten, erſtere auf den aus einem Satze gezoge-<lb/> nen Folgen und Auſhebung der Einwuͤrfe beruhen,<lb/> und wo die Jnduction in beyden Faͤllen vollſtaͤndig ſeyn<lb/> muß.</p><lb/> <p>§. 111. Wenn uns daher ein allgemeiner Begriff<lb/> anders vorkoͤmmt, ſo iſt die Urſache des geaͤnderten<lb/> Scheins ſubjectiv, und daher in uns ſelbſt zu ſuchen,<lb/> und zwar fehlt es theils an dem <hi rendition="#fr">Bewußtſeyn,</hi> und<lb/> theils auch, wenn die <hi rendition="#fr">Einbildungskraft</hi> fremdes<lb/> Zeug mit einmengt, oder uns den Begriff in ſcheinba-<lb/> ren Verhaͤltniſſen mit andern vorſtellt, die uns an deſſen<lb/> Richtigkeit zweifeln machen. Beydes kann auch vor-<lb/> kommen, wenn wir die Sache nicht an ſich, ſondern<lb/> nur vermittelſt ihrer Verhaͤltniſſe zu andern, folglich<lb/> von gewiſſen <hi rendition="#fr">Seiten</hi> betrachtet, uns vorſtellen. Dieſe<lb/> <fw place="bottom" type="catch">verſchie-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [287/0293]
Von dem pſychologiſchen Schein.
deſſen unerachtet, wie er war, und wenn er fuͤr ſich be-
trachtet, etwas ganzes, nettes und einer Theorie wuͤrdi-
ges vorſtellt, ſo bleibt die engere Bedeutung des Wor-
tes dennoch, oder es erhaͤlt, mehrerer Deutlichkeit hal-
ber, eine naͤhere Beſtimmung. Man ſehe, was wir in
Anſehung dieſer Faͤlle in der Dianoiologie (§. 50.) in
der Alethiologie (§. 153. ſeqq.), und in der Semiotik
(§. 200. 348.) angemerkt haben.
§. 110. Dieſe Unveraͤnderlichkeit allgemeiner und
abſtracter Begriffe will aber nicht ſagen, daß auch un-
ſere Vorſtellung derſelben eben ſo unveraͤnderlich ſey.
Es iſt allerdings moͤglich, daß wir ſie bald ſo, bald an-
ders nehmen, und etwan ihren Umfang und den Be-
weis davon vergeſſen, oder ihre Anwendbarkeit auf be-
ſondere Faͤlle wechſelsweiſe glauben und in Zweifel zie-
hen, zumal wenn der Beweis aus vielen einzeln Thei-
len beſteht, deren man ſich aller bewußt ſeyn muß, um
ſeiner Vollſtaͤndigkeit verſichert zu ſeyn. Es kann die-
ſes beſonders bey den ſogenannten moraliſchen und hi-
ſtoriſchen Beweiſen geſchehen, wovon letztere auf Glaub-
wuͤrdigkeiten, erſtere auf den aus einem Satze gezoge-
nen Folgen und Auſhebung der Einwuͤrfe beruhen,
und wo die Jnduction in beyden Faͤllen vollſtaͤndig ſeyn
muß.
§. 111. Wenn uns daher ein allgemeiner Begriff
anders vorkoͤmmt, ſo iſt die Urſache des geaͤnderten
Scheins ſubjectiv, und daher in uns ſelbſt zu ſuchen,
und zwar fehlt es theils an dem Bewußtſeyn, und
theils auch, wenn die Einbildungskraft fremdes
Zeug mit einmengt, oder uns den Begriff in ſcheinba-
ren Verhaͤltniſſen mit andern vorſtellt, die uns an deſſen
Richtigkeit zweifeln machen. Beydes kann auch vor-
kommen, wenn wir die Sache nicht an ſich, ſondern
nur vermittelſt ihrer Verhaͤltniſſe zu andern, folglich
von gewiſſen Seiten betrachtet, uns vorſtellen. Dieſe
verſchie-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |