Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

von der wissenschaftlichen Erkenntniß.
niß dessen, was die Natur uns anbeut, wir lernen
ihre Gewohnheit, die Regeln, nach welchen sie
handelt, und bereichern uns mit Bildern und Begrif-
fen der Dinge, die sie unsern Sinnen darlegt, oder
die wir durch Veranstaltungen zum Vorschein brin-
gen. Wir lernen dadurch, daß etwas sey, daß
es so und nicht anders sey, und etwann auch, was
es sey.

§. 600.

Wenn wir hierinn nicht weiter gehen, so ist alle
Erkenntniß, die wir auf diese Art erlangen, schlech-
terdings historisch, und die Beschreibung alles des-
sen, was wir auf diese Art erkennen, ist eine bloße
Erzählung dessen, was in der Natur ist, und was
mit den Dingen, so uns die Natur vorlegt, geschieht
und vorgeht. Bleiben wir dabey nur bey dem, was
uns die gemeine Erfahrung lehrt, so erschöpfen wir
den Umfang der historischen Erkenntniß nicht, son-
dern unsre Erkenntniß wird schlechthin das seyn, was
wir die gemeine Erkenntniß nennen, die jeder
Mensch, sofern er seiner Sinnen nicht beraubt ist, eben-
falls erlangt, weil die Natur in sehr vielen Fällen
so vernehmlich redet, daß man sie nicht wohl über-
hören kann.

§. 601.

Auf diese Art gelangen wir zu einer gewissen An-
zahl von Begriffen und Sätzen, deren jeder gleichsam
für sich allein subsistirt, und wir nehmen ihn an, weil
wir es so gesehen oder empfunden, oder von andern
gehört haben. Und dieses geht so weit, daß es bey
Leuten, die weiter nichts als die gemeine, oder über-
dies auch noch etwas von der ausgesuchtern histori-
schen Erkenntniß haben, zu einem eingewurzelten
Vorurtheil wird, man könne nicht weiter hin-

aus
B b 2

von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß.
niß deſſen, was die Natur uns anbeut, wir lernen
ihre Gewohnheit, die Regeln, nach welchen ſie
handelt, und bereichern uns mit Bildern und Begrif-
fen der Dinge, die ſie unſern Sinnen darlegt, oder
die wir durch Veranſtaltungen zum Vorſchein brin-
gen. Wir lernen dadurch, daß etwas ſey, daß
es ſo und nicht anders ſey, und etwann auch, was
es ſey.

§. 600.

Wenn wir hierinn nicht weiter gehen, ſo iſt alle
Erkenntniß, die wir auf dieſe Art erlangen, ſchlech-
terdings hiſtoriſch, und die Beſchreibung alles deſ-
ſen, was wir auf dieſe Art erkennen, iſt eine bloße
Erzaͤhlung deſſen, was in der Natur iſt, und was
mit den Dingen, ſo uns die Natur vorlegt, geſchieht
und vorgeht. Bleiben wir dabey nur bey dem, was
uns die gemeine Erfahrung lehrt, ſo erſchoͤpfen wir
den Umfang der hiſtoriſchen Erkenntniß nicht, ſon-
dern unſre Erkenntniß wird ſchlechthin das ſeyn, was
wir die gemeine Erkenntniß nennen, die jeder
Menſch, ſofern er ſeiner Sinnen nicht beraubt iſt, eben-
falls erlangt, weil die Natur in ſehr vielen Faͤllen
ſo vernehmlich redet, daß man ſie nicht wohl uͤber-
hoͤren kann.

§. 601.

Auf dieſe Art gelangen wir zu einer gewiſſen An-
zahl von Begriffen und Saͤtzen, deren jeder gleichſam
fuͤr ſich allein ſubſiſtirt, und wir nehmen ihn an, weil
wir es ſo geſehen oder empfunden, oder von andern
gehoͤrt haben. Und dieſes geht ſo weit, daß es bey
Leuten, die weiter nichts als die gemeine, oder uͤber-
dies auch noch etwas von der ausgeſuchtern hiſtori-
ſchen Erkenntniß haben, zu einem eingewurzelten
Vorurtheil wird, man koͤnne nicht weiter hin-

aus
B b 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0409" n="387"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Erkenntniß.</hi></fw><lb/>
niß de&#x017F;&#x017F;en, was die Natur uns anbeut, wir lernen<lb/>
ihre <hi rendition="#fr">Gewohnheit,</hi> die <hi rendition="#fr">Regeln,</hi> nach welchen &#x017F;ie<lb/>
handelt, und bereichern uns mit Bildern und Begrif-<lb/>
fen der Dinge, die &#x017F;ie un&#x017F;ern Sinnen darlegt, oder<lb/>
die wir durch Veran&#x017F;taltungen zum Vor&#x017F;chein brin-<lb/>
gen. Wir lernen dadurch, daß etwas &#x017F;ey, <hi rendition="#fr">daß</hi><lb/>
es <hi rendition="#fr">&#x017F;o und nicht anders</hi> &#x017F;ey, und etwann auch, <hi rendition="#fr">was</hi><lb/>
es &#x017F;ey.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 600.</head><lb/>
            <p>Wenn wir hierinn nicht weiter gehen, &#x017F;o i&#x017F;t alle<lb/>
Erkenntniß, die wir auf die&#x017F;e Art erlangen, &#x017F;chlech-<lb/>
terdings <hi rendition="#fr">hi&#x017F;tori&#x017F;ch,</hi> und die Be&#x017F;chreibung alles de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, was wir auf die&#x017F;e Art erkennen, i&#x017F;t eine bloße<lb/><hi rendition="#fr">Erza&#x0364;hlung</hi> de&#x017F;&#x017F;en, was in der Natur i&#x017F;t, und was<lb/>
mit den Dingen, &#x017F;o uns die Natur vorlegt, ge&#x017F;chieht<lb/>
und vorgeht. Bleiben wir dabey nur bey dem, was<lb/>
uns die gemeine Erfahrung lehrt, &#x017F;o er&#x017F;cho&#x0364;pfen wir<lb/>
den Umfang der hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erkenntniß nicht, &#x017F;on-<lb/>
dern un&#x017F;re Erkenntniß wird &#x017F;chlechthin das &#x017F;eyn, was<lb/>
wir die <hi rendition="#fr">gemeine Erkenntniß</hi> nennen, die jeder<lb/>
Men&#x017F;ch, &#x017F;ofern er &#x017F;einer Sinnen nicht beraubt i&#x017F;t, eben-<lb/>
falls erlangt, weil die Natur in &#x017F;ehr vielen Fa&#x0364;llen<lb/>
&#x017F;o vernehmlich redet, daß man &#x017F;ie nicht wohl u&#x0364;ber-<lb/>
ho&#x0364;ren kann.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 601.</head><lb/>
            <p>Auf die&#x017F;e Art gelangen wir zu einer gewi&#x017F;&#x017F;en An-<lb/>
zahl von Begriffen und Sa&#x0364;tzen, deren jeder gleich&#x017F;am<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich allein &#x017F;ub&#x017F;i&#x017F;tirt, und wir nehmen ihn an, weil<lb/>
wir es &#x017F;o ge&#x017F;ehen oder empfunden, oder von andern<lb/>
geho&#x0364;rt haben. Und die&#x017F;es geht &#x017F;o weit, daß es bey<lb/>
Leuten, die weiter nichts als die gemeine, oder u&#x0364;ber-<lb/>
dies auch noch etwas von der <hi rendition="#fr">ausge&#x017F;uchtern</hi> hi&#x017F;tori-<lb/>
&#x017F;chen Erkenntniß haben, zu einem eingewurzelten<lb/>
Vorurtheil wird, <hi rendition="#fr">man ko&#x0364;nne nicht weiter hin-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b 2</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">aus</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0409] von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß. niß deſſen, was die Natur uns anbeut, wir lernen ihre Gewohnheit, die Regeln, nach welchen ſie handelt, und bereichern uns mit Bildern und Begrif- fen der Dinge, die ſie unſern Sinnen darlegt, oder die wir durch Veranſtaltungen zum Vorſchein brin- gen. Wir lernen dadurch, daß etwas ſey, daß es ſo und nicht anders ſey, und etwann auch, was es ſey. §. 600. Wenn wir hierinn nicht weiter gehen, ſo iſt alle Erkenntniß, die wir auf dieſe Art erlangen, ſchlech- terdings hiſtoriſch, und die Beſchreibung alles deſ- ſen, was wir auf dieſe Art erkennen, iſt eine bloße Erzaͤhlung deſſen, was in der Natur iſt, und was mit den Dingen, ſo uns die Natur vorlegt, geſchieht und vorgeht. Bleiben wir dabey nur bey dem, was uns die gemeine Erfahrung lehrt, ſo erſchoͤpfen wir den Umfang der hiſtoriſchen Erkenntniß nicht, ſon- dern unſre Erkenntniß wird ſchlechthin das ſeyn, was wir die gemeine Erkenntniß nennen, die jeder Menſch, ſofern er ſeiner Sinnen nicht beraubt iſt, eben- falls erlangt, weil die Natur in ſehr vielen Faͤllen ſo vernehmlich redet, daß man ſie nicht wohl uͤber- hoͤren kann. §. 601. Auf dieſe Art gelangen wir zu einer gewiſſen An- zahl von Begriffen und Saͤtzen, deren jeder gleichſam fuͤr ſich allein ſubſiſtirt, und wir nehmen ihn an, weil wir es ſo geſehen oder empfunden, oder von andern gehoͤrt haben. Und dieſes geht ſo weit, daß es bey Leuten, die weiter nichts als die gemeine, oder uͤber- dies auch noch etwas von der ausgeſuchtern hiſtori- ſchen Erkenntniß haben, zu einem eingewurzelten Vorurtheil wird, man koͤnne nicht weiter hin- aus B b 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/409
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/409>, abgerufen am 24.11.2024.