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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

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Das Volle und das Durchgängige.
ob es eine Hauptabsicht sey oder nicht? Man setze
z. E. das Licht falle auf eine Spiegelfläche schief an,
so fällt es unter gleichem Winkel von derselben zurück.
Nun kann man zeigen, daß, wenn es von einem für-
gegebenen Puncte gegen einen andern fürgegebenen
Punct reflectirt wird, es den kürzesten Weg nehme, und
eben so auch die kürzeste Zeit gebrauche. Man kann
aber eben nicht sagen, daß dieses eine Hauptabsicht da-
bey gewesen sey, und daß eben deswegen der Reflexions-
winkel dem Einfallswinkel gleich seyn müsse. Denn
macht man diese Winkel ungleich, so muß man auch die
Geschwindigkeit ungleich setzen, und da lassen sich wie-
derum kürzeste Zeiten gedenken, wenn man die Verhält-
nisse der Winkel und der Geschwindigkeit darnach ein-
richtet. Der Weg ist schlechthin am kürzesten, wenn die
Winkel gleich sind, und da muß auch die Geschwindig-
keit gleich seyn, und zwar weil die Winkel gleich sind.
Macht man aber die Geschwindigkeit vor und nach
dem Auffallen ungleich, so wird die Zeit am kürze-
sten, wenn die Secanten der Winkel mit den Ge-
schwindigkeiten multiplicirt, gleich sind. Dabey aber
kömmt der kürzeste Weg nicht vor, und es ist über-
haupt die Frage, ob eine solche Verhältniß der Ge-
schwindigkeit und der Winkel durch einen einfachen
Mechanismus, in Absicht auf die Lichtstralen, möglich
gemacht werden könne, wie es z. E. bey nicht voll-
kommen elastischen Körpern statt findet? Denn wo
dieses nicht ist, da hat der kürzeste Weg oder die kür-
zeste Zeit nicht wegen einer Auswahl, sondern schlecht-
hin und ohne Rücksicht auf die Länge oder Kürze statt.
Dieses will nun so viel sagen, daß wo nicht etwann
nur ein geometrisches, sondern ein physisches Maxi-
mum
oder Minimum in der Natur statt finden soll,
die übrigen Fälle, wobey es nicht statt haben würde,

eben-

Das Volle und das Durchgaͤngige.
ob es eine Hauptabſicht ſey oder nicht? Man ſetze
z. E. das Licht falle auf eine Spiegelflaͤche ſchief an,
ſo faͤllt es unter gleichem Winkel von derſelben zuruͤck.
Nun kann man zeigen, daß, wenn es von einem fuͤr-
gegebenen Puncte gegen einen andern fuͤrgegebenen
Punct reflectirt wird, es den kuͤrzeſten Weg nehme, und
eben ſo auch die kuͤrzeſte Zeit gebrauche. Man kann
aber eben nicht ſagen, daß dieſes eine Hauptabſicht da-
bey geweſen ſey, und daß eben deswegen der Reflexions-
winkel dem Einfallswinkel gleich ſeyn muͤſſe. Denn
macht man dieſe Winkel ungleich, ſo muß man auch die
Geſchwindigkeit ungleich ſetzen, und da laſſen ſich wie-
derum kuͤrzeſte Zeiten gedenken, wenn man die Verhaͤlt-
niſſe der Winkel und der Geſchwindigkeit darnach ein-
richtet. Der Weg iſt ſchlechthin am kuͤrzeſten, wenn die
Winkel gleich ſind, und da muß auch die Geſchwindig-
keit gleich ſeyn, und zwar weil die Winkel gleich ſind.
Macht man aber die Geſchwindigkeit vor und nach
dem Auffallen ungleich, ſo wird die Zeit am kuͤrze-
ſten, wenn die Secanten der Winkel mit den Ge-
ſchwindigkeiten multiplicirt, gleich ſind. Dabey aber
koͤmmt der kuͤrzeſte Weg nicht vor, und es iſt uͤber-
haupt die Frage, ob eine ſolche Verhaͤltniß der Ge-
ſchwindigkeit und der Winkel durch einen einfachen
Mechaniſmus, in Abſicht auf die Lichtſtralen, moͤglich
gemacht werden koͤnne, wie es z. E. bey nicht voll-
kommen elaſtiſchen Koͤrpern ſtatt findet? Denn wo
dieſes nicht iſt, da hat der kuͤrzeſte Weg oder die kuͤr-
zeſte Zeit nicht wegen einer Auswahl, ſondern ſchlecht-
hin und ohne Ruͤckſicht auf die Laͤnge oder Kuͤrze ſtatt.
Dieſes will nun ſo viel ſagen, daß wo nicht etwann
nur ein geometriſches, ſondern ein phyſiſches Maxi-
mum
oder Minimum in der Natur ſtatt finden ſoll,
die uͤbrigen Faͤlle, wobey es nicht ſtatt haben wuͤrde,

eben-
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[365/0401] Das Volle und das Durchgaͤngige. ob es eine Hauptabſicht ſey oder nicht? Man ſetze z. E. das Licht falle auf eine Spiegelflaͤche ſchief an, ſo faͤllt es unter gleichem Winkel von derſelben zuruͤck. Nun kann man zeigen, daß, wenn es von einem fuͤr- gegebenen Puncte gegen einen andern fuͤrgegebenen Punct reflectirt wird, es den kuͤrzeſten Weg nehme, und eben ſo auch die kuͤrzeſte Zeit gebrauche. Man kann aber eben nicht ſagen, daß dieſes eine Hauptabſicht da- bey geweſen ſey, und daß eben deswegen der Reflexions- winkel dem Einfallswinkel gleich ſeyn muͤſſe. Denn macht man dieſe Winkel ungleich, ſo muß man auch die Geſchwindigkeit ungleich ſetzen, und da laſſen ſich wie- derum kuͤrzeſte Zeiten gedenken, wenn man die Verhaͤlt- niſſe der Winkel und der Geſchwindigkeit darnach ein- richtet. Der Weg iſt ſchlechthin am kuͤrzeſten, wenn die Winkel gleich ſind, und da muß auch die Geſchwindig- keit gleich ſeyn, und zwar weil die Winkel gleich ſind. Macht man aber die Geſchwindigkeit vor und nach dem Auffallen ungleich, ſo wird die Zeit am kuͤrze- ſten, wenn die Secanten der Winkel mit den Ge- ſchwindigkeiten multiplicirt, gleich ſind. Dabey aber koͤmmt der kuͤrzeſte Weg nicht vor, und es iſt uͤber- haupt die Frage, ob eine ſolche Verhaͤltniß der Ge- ſchwindigkeit und der Winkel durch einen einfachen Mechaniſmus, in Abſicht auf die Lichtſtralen, moͤglich gemacht werden koͤnne, wie es z. E. bey nicht voll- kommen elaſtiſchen Koͤrpern ſtatt findet? Denn wo dieſes nicht iſt, da hat der kuͤrzeſte Weg oder die kuͤr- zeſte Zeit nicht wegen einer Auswahl, ſondern ſchlecht- hin und ohne Ruͤckſicht auf die Laͤnge oder Kuͤrze ſtatt. Dieſes will nun ſo viel ſagen, daß wo nicht etwann nur ein geometriſches, ſondern ein phyſiſches Maxi- mum oder Minimum in der Natur ſtatt finden ſoll, die uͤbrigen Faͤlle, wobey es nicht ſtatt haben wuͤrde, eben-

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/401>, abgerufen am 23.11.2024.