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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 101. Die Gerichte.
die äußersten Grundlinien des Justizbehördensystems gezogen; es
hat andererseits aber sehr genaue und zwingende Vorschriften da-
rüber gegeben, wie die für die verschiedenen Gattungen von Streit-
sachen erforderlichen, beschließenden und urtheilenden Spruchcolle-
gien constituirt sind und wie sie aus diesen Behörden gebildet
werden. Dies ist eine der wichtigsten Schranken, welche auf dem
Gebiet der Gerichtsbarkeit der Hoheit der Einzelstaaten durch die
souveräne Staatsgewalt des Reiches gezogen worden ist 1).

Im Einzelnen gelten für die vier Klassen von ordentlichen
Gerichten folgende Regeln:

1. Die Amtsgerichte 2). Sie bilden den Rahmen für die
Einzelrichter (Amtsrichter) und die Schöffengerichte.

a) Die Organisation der Amtsgerichte ist den Einzelstaa-
ten
völlig freigegeben; sie haben insbesondere die Befugniß, die
Zahl der Richterstellen an jedem Amtsgericht zu bestimmen. Ist
das Amtsgericht mit mehreren Amtsrichtern besetzt, so erledigt
jeder derselben die ihm obliegenden Geschäfte als Einzelrichter.
Die Landesjustizverwaltung hat die allgemeinen Anordnungen über
die Geschäftsvertheilung zu treffen. Hierbei kann sie nach Gegen-
ständen oder nach räumlich begränzten Bezirken oder nach beiden
Rücksichten zugleich die Vertheilung der Geschäfte vornehmen. Wo-
fern den einzelnen Amtsrichtern bestimmte räumlich abgegränzte
Bezirke zugewiesen werden, entstehen innerhalb des Amtsgerichts-
bezirkes mehrere Jurisdictionsbezirke der Einzelrichter. Der Be-
zirk des Amtsgerichts ist also nicht identisch mit den Gerichts-
bezirken der die Rechtsstreitigkeiten entscheidenden Amtsrichter.
Allein die Abgränzung dieser Amtsrichter-Bezirke erscheint lediglich
als ein Akt der Geschäftsvertheilung, also der Gerichtsverwaltung;
die Kompetenz des Amtsgerichts erstreckt sich als eine einheitliche
über sämmtliche dazu gehörende Amtsrichterbezirke und es kann
jeder Zeit gemäß den von der Justizverwaltung getroffenen Be-
stimmungen unter den bei demselben Amtsgericht angestellten Richtern
nicht nur eine gegenseitige Vertretung, sondern auch ein Austausch

1) In dem Entwurf der Regierungen fanden sich Bestimmungen darüber
nicht; die Aufnahme derselben in das Gerichtsverfassungs-Gesetz ist vorzugs-
weise dem Abg. Dr. Lasker zu danken. Vgl. Protok. der Reichstagskommiss.
I. Les. S. 335 ff. (Hahn S. 569). II. Lesung S. 628 ff. (Hahn S. 794 ff.)
2) Gerichtsverf.Ges. §. 22.

§. 101. Die Gerichte.
die äußerſten Grundlinien des Juſtizbehördenſyſtems gezogen; es
hat andererſeits aber ſehr genaue und zwingende Vorſchriften da-
rüber gegeben, wie die für die verſchiedenen Gattungen von Streit-
ſachen erforderlichen, beſchließenden und urtheilenden Spruchcolle-
gien conſtituirt ſind und wie ſie aus dieſen Behörden gebildet
werden. Dies iſt eine der wichtigſten Schranken, welche auf dem
Gebiet der Gerichtsbarkeit der Hoheit der Einzelſtaaten durch die
ſouveräne Staatsgewalt des Reiches gezogen worden iſt 1).

Im Einzelnen gelten für die vier Klaſſen von ordentlichen
Gerichten folgende Regeln:

1. Die Amtsgerichte 2). Sie bilden den Rahmen für die
Einzelrichter (Amtsrichter) und die Schöffengerichte.

a) Die Organiſation der Amtsgerichte iſt den Einzelſtaa-
ten
völlig freigegeben; ſie haben insbeſondere die Befugniß, die
Zahl der Richterſtellen an jedem Amtsgericht zu beſtimmen. Iſt
das Amtsgericht mit mehreren Amtsrichtern beſetzt, ſo erledigt
jeder derſelben die ihm obliegenden Geſchäfte als Einzelrichter.
Die Landesjuſtizverwaltung hat die allgemeinen Anordnungen über
die Geſchäftsvertheilung zu treffen. Hierbei kann ſie nach Gegen-
ſtänden oder nach räumlich begränzten Bezirken oder nach beiden
Rückſichten zugleich die Vertheilung der Geſchäfte vornehmen. Wo-
fern den einzelnen Amtsrichtern beſtimmte räumlich abgegränzte
Bezirke zugewieſen werden, entſtehen innerhalb des Amtsgerichts-
bezirkes mehrere Jurisdictionsbezirke der Einzelrichter. Der Be-
zirk des Amtsgerichts iſt alſo nicht identiſch mit den Gerichts-
bezirken der die Rechtsſtreitigkeiten entſcheidenden Amtsrichter.
Allein die Abgränzung dieſer Amtsrichter-Bezirke erſcheint lediglich
als ein Akt der Geſchäftsvertheilung, alſo der Gerichtsverwaltung;
die Kompetenz des Amtsgerichts erſtreckt ſich als eine einheitliche
über ſämmtliche dazu gehörende Amtsrichterbezirke und es kann
jeder Zeit gemäß den von der Juſtizverwaltung getroffenen Be-
ſtimmungen unter den bei demſelben Amtsgericht angeſtellten Richtern
nicht nur eine gegenſeitige Vertretung, ſondern auch ein Austauſch

1) In dem Entwurf der Regierungen fanden ſich Beſtimmungen darüber
nicht; die Aufnahme derſelben in das Gerichtsverfaſſungs-Geſetz iſt vorzugs-
weiſe dem Abg. Dr. Lasker zu danken. Vgl. Protok. der Reichstagskommiſſ.
I. Leſ. S. 335 ff. (Hahn S. 569). II. Leſung S. 628 ff. (Hahn S. 794 ff.)
2) Gerichtsverf.Geſ. §. 22.
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[85/0095] §. 101. Die Gerichte. die äußerſten Grundlinien des Juſtizbehördenſyſtems gezogen; es hat andererſeits aber ſehr genaue und zwingende Vorſchriften da- rüber gegeben, wie die für die verſchiedenen Gattungen von Streit- ſachen erforderlichen, beſchließenden und urtheilenden Spruchcolle- gien conſtituirt ſind und wie ſie aus dieſen Behörden gebildet werden. Dies iſt eine der wichtigſten Schranken, welche auf dem Gebiet der Gerichtsbarkeit der Hoheit der Einzelſtaaten durch die ſouveräne Staatsgewalt des Reiches gezogen worden iſt 1). Im Einzelnen gelten für die vier Klaſſen von ordentlichen Gerichten folgende Regeln: 1. Die Amtsgerichte 2). Sie bilden den Rahmen für die Einzelrichter (Amtsrichter) und die Schöffengerichte. a) Die Organiſation der Amtsgerichte iſt den Einzelſtaa- ten völlig freigegeben; ſie haben insbeſondere die Befugniß, die Zahl der Richterſtellen an jedem Amtsgericht zu beſtimmen. Iſt das Amtsgericht mit mehreren Amtsrichtern beſetzt, ſo erledigt jeder derſelben die ihm obliegenden Geſchäfte als Einzelrichter. Die Landesjuſtizverwaltung hat die allgemeinen Anordnungen über die Geſchäftsvertheilung zu treffen. Hierbei kann ſie nach Gegen- ſtänden oder nach räumlich begränzten Bezirken oder nach beiden Rückſichten zugleich die Vertheilung der Geſchäfte vornehmen. Wo- fern den einzelnen Amtsrichtern beſtimmte räumlich abgegränzte Bezirke zugewieſen werden, entſtehen innerhalb des Amtsgerichts- bezirkes mehrere Jurisdictionsbezirke der Einzelrichter. Der Be- zirk des Amtsgerichts iſt alſo nicht identiſch mit den Gerichts- bezirken der die Rechtsſtreitigkeiten entſcheidenden Amtsrichter. Allein die Abgränzung dieſer Amtsrichter-Bezirke erſcheint lediglich als ein Akt der Geſchäftsvertheilung, alſo der Gerichtsverwaltung; die Kompetenz des Amtsgerichts erſtreckt ſich als eine einheitliche über ſämmtliche dazu gehörende Amtsrichterbezirke und es kann jeder Zeit gemäß den von der Juſtizverwaltung getroffenen Be- ſtimmungen unter den bei demſelben Amtsgericht angeſtellten Richtern nicht nur eine gegenſeitige Vertretung, ſondern auch ein Austauſch 1) In dem Entwurf der Regierungen fanden ſich Beſtimmungen darüber nicht; die Aufnahme derſelben in das Gerichtsverfaſſungs-Geſetz iſt vorzugs- weiſe dem Abg. Dr. Lasker zu danken. Vgl. Protok. der Reichstagskommiſſ. I. Leſ. S. 335 ff. (Hahn S. 569). II. Leſung S. 628 ff. (Hahn S. 794 ff.) 2) Gerichtsverf.Geſ. §. 22.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/95>, abgerufen am 24.11.2024.