Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 99. Die Gerichtsbarkeit des Reichs. bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Das vom Reich einheitlich geregelteStrafrecht und Strafprozeßrecht muß gleichmäßig gehandhabt und ausgelegt werden und der Regulator dafür kann nur das vom Reiche selbst eingesetzte Gericht sein. Insoweit dagegen auf dem Gebiete des Strafrechts die Autonomie der Einzelstaaten sich er- streckt, kann ihnen auch die Wahrung gleichmäßiger Handhabung der landesgesetzlichen Vorschriften überlassen werden. Demgemäß entscheiden die Oberlandesgerichte über das Rechtsmittel der Revision, wenn nur die Auslegung landesgesetzlicher Rechtsnormen in Frage steht 1). In Strafsachen konnte sich aber die Reichsgesetzgebung mit der Unterscheidung zwischen Reichsgesetzen und Landesgesetzen begnügen; eine Berücksichtigung von partikulären Rechtsnormen, welche über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus Geltung haben, fiel von selbst fort, da durch das Reichsstrafgesetzbuch und die dazu ergangenen Ergänzungen auf dem Gebiet des Strafrechts ein Rechtszustand hergestellt worden ist, der für das Civilrecht erst durch die Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs des Reichs ein- treten wird. Um aber in Staaten mit mehreren Oberlandesgerichten eine widerstreitende Auslegung des Landesstrafrechts zu verhüten, ist diesen Staaten die Befugniß eingeräumt worden, die Verhand- lung und Entscheidung der zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gehörenden Revisionen und Beschwerden in Strafsachen ausschließ- lich einem oder mehreren Oberlandesgerichten zuzuweisen 2). e) In dritter Instanz ist das Reichsgericht in Strafsachen 1) Gerichtsverf.Ges. §. 123 Ziff. 3. Dies trifft aber auch dann zu, wenn die Revision darauf gestützt wird, daß die Strafkammer die Landesgesetze eines anderen Bundesstaates verletzt habe; §. 123 cit. erfordert nur die behauptete Verletzung einer "in den Landesgesetzen" enthaltenen Rechtsnorm. 2) Einf Ges. zum Gerichtsverf.Ges. §. 9. Hiervon haben die beiden, allein in Betracht kommenden Staaten Preußen und Bayern Gebrauch gemacht. Preuß. Ausführungsges. zum Gerichtsverf.Ges. v. 24. April 1878 (Preuß. Ges. Samml. S. 230) §. 50. Bayerisches Ausf.Ges. z. Gerichtsverf.Ges. v. 23. Febr. 1879 (Bayr. Ges. u. Verordn.Bl. S. 273.) Art. 41. 3) Es sind diejenigen Fälle, welche in erster Instanz von den Schöffen- gerichten abgeurtheilt werden. Strafproz.O. 354. Gerichtsverf.Ges. §. 76. 4) Gerichtsverf.Ges. §. 123 Ziff. 2.
§. 99. Die Gerichtsbarkeit des Reichs. bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten. Das vom Reich einheitlich geregelteStrafrecht und Strafprozeßrecht muß gleichmäßig gehandhabt und ausgelegt werden und der Regulator dafür kann nur das vom Reiche ſelbſt eingeſetzte Gericht ſein. Inſoweit dagegen auf dem Gebiete des Strafrechts die Autonomie der Einzelſtaaten ſich er- ſtreckt, kann ihnen auch die Wahrung gleichmäßiger Handhabung der landesgeſetzlichen Vorſchriften überlaſſen werden. Demgemäß entſcheiden die Oberlandesgerichte über das Rechtsmittel der Reviſion, wenn nur die Auslegung landesgeſetzlicher Rechtsnormen in Frage ſteht 1). In Strafſachen konnte ſich aber die Reichsgeſetzgebung mit der Unterſcheidung zwiſchen Reichsgeſetzen und Landesgeſetzen begnügen; eine Berückſichtigung von partikulären Rechtsnormen, welche über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus Geltung haben, fiel von ſelbſt fort, da durch das Reichsſtrafgeſetzbuch und die dazu ergangenen Ergänzungen auf dem Gebiet des Strafrechts ein Rechtszuſtand hergeſtellt worden iſt, der für das Civilrecht erſt durch die Einführung des bürgerlichen Geſetzbuchs des Reichs ein- treten wird. Um aber in Staaten mit mehreren Oberlandesgerichten eine widerſtreitende Auslegung des Landesſtrafrechts zu verhüten, iſt dieſen Staaten die Befugniß eingeräumt worden, die Verhand- lung und Entſcheidung der zur Zuſtändigkeit der Oberlandesgerichte gehörenden Reviſionen und Beſchwerden in Strafſachen ausſchließ- lich einem oder mehreren Oberlandesgerichten zuzuweiſen 2). e) In dritter Inſtanz iſt das Reichsgericht in Strafſachen 1) Gerichtsverf.Geſ. §. 123 Ziff. 3. Dies trifft aber auch dann zu, wenn die Reviſion darauf geſtützt wird, daß die Strafkammer die Landesgeſetze eines anderen Bundesſtaates verletzt habe; §. 123 cit. erfordert nur die behauptete Verletzung einer „in den Landesgeſetzen“ enthaltenen Rechtsnorm. 2) Einf Geſ. zum Gerichtsverf.Geſ. §. 9. Hiervon haben die beiden, allein in Betracht kommenden Staaten Preußen und Bayern Gebrauch gemacht. Preuß. Ausführungsgeſ. zum Gerichtsverf.Geſ. v. 24. April 1878 (Preuß. Geſ. Samml. S. 230) §. 50. Bayeriſches Ausf.Geſ. z. Gerichtsverf.Geſ. v. 23. Febr. 1879 (Bayr. Geſ. u. Verordn.Bl. S. 273.) Art. 41. 3) Es ſind diejenigen Fälle, welche in erſter Inſtanz von den Schöffen- gerichten abgeurtheilt werden. Strafproz.O. 354. Gerichtsverf.Geſ. §. 76. 4) Gerichtsverf.Geſ. §. 123 Ziff. 2.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0072" n="62"/><fw place="top" type="header">§. 99. Die Gerichtsbarkeit des Reichs.</fw><lb/> bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten. Das vom Reich einheitlich geregelte<lb/> Strafrecht und Strafprozeßrecht muß gleichmäßig gehandhabt und<lb/> ausgelegt werden und der Regulator dafür kann nur das vom<lb/> Reiche ſelbſt eingeſetzte Gericht ſein. Inſoweit dagegen auf dem<lb/> Gebiete des Strafrechts die Autonomie der Einzelſtaaten ſich er-<lb/> ſtreckt, kann ihnen auch die Wahrung gleichmäßiger Handhabung<lb/> der landesgeſetzlichen Vorſchriften überlaſſen werden. Demgemäß<lb/> entſcheiden die Oberlandesgerichte über das Rechtsmittel der Reviſion,<lb/> wenn nur die Auslegung landesgeſetzlicher Rechtsnormen in Frage<lb/> ſteht <note place="foot" n="1)">Gerichtsverf.Geſ. §. 123 Ziff. 3. Dies trifft aber auch dann zu, wenn<lb/> die Reviſion darauf geſtützt wird, daß die Strafkammer die Landesgeſetze eines<lb/><hi rendition="#g">anderen</hi> Bundesſtaates verletzt habe; §. 123 <hi rendition="#aq">cit.</hi> erfordert nur die behauptete<lb/> Verletzung einer „<hi rendition="#g">in den Landesgeſetzen</hi>“ enthaltenen Rechtsnorm.</note>. In Strafſachen konnte ſich aber die Reichsgeſetzgebung<lb/> mit der Unterſcheidung zwiſchen Reichsgeſetzen und Landesgeſetzen<lb/> begnügen; eine Berückſichtigung von partikulären Rechtsnormen,<lb/> welche über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus Geltung<lb/> haben, fiel von ſelbſt fort, da durch das Reichsſtrafgeſetzbuch und<lb/> die dazu ergangenen Ergänzungen auf dem Gebiet des Strafrechts<lb/> ein Rechtszuſtand hergeſtellt worden iſt, der für das Civilrecht erſt<lb/> durch die Einführung des bürgerlichen Geſetzbuchs des Reichs ein-<lb/> treten wird. Um aber in Staaten mit mehreren Oberlandesgerichten<lb/> eine widerſtreitende Auslegung des Landesſtrafrechts zu verhüten,<lb/> iſt dieſen Staaten die Befugniß eingeräumt worden, die Verhand-<lb/> lung und Entſcheidung der zur Zuſtändigkeit der Oberlandesgerichte<lb/> gehörenden Reviſionen und Beſchwerden in Strafſachen ausſchließ-<lb/> lich <hi rendition="#g">einem</hi> oder mehreren Oberlandesgerichten zuzuweiſen <note place="foot" n="2)">Einf Geſ. zum Gerichtsverf.Geſ. §. 9. Hiervon haben die beiden, allein<lb/> in Betracht kommenden Staaten <hi rendition="#g">Preußen</hi> und <hi rendition="#g">Bayern</hi> Gebrauch gemacht.<lb/> Preuß. Ausführungsgeſ. zum Gerichtsverf.Geſ. v. 24. April 1878 (Preuß. Geſ.<lb/> Samml. S. 230) §. 50. Bayeriſches Ausf.Geſ. z. Gerichtsverf.Geſ. v. 23. Febr.<lb/> 1879 (Bayr. Geſ. u. Verordn.Bl. S. 273.) Art. 41.</note>.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">e</hi>) In <hi rendition="#g">dritter</hi> Inſtanz iſt das Reichsgericht in Strafſachen<lb/> regelmäßig nicht zuſtändig. In denjenigen Fällen, in welchen die<lb/> Strafkammern der Landgerichte in der Berufungsinſtanz urtheilen <note place="foot" n="3)">Es ſind diejenigen Fälle, welche in erſter Inſtanz von den Schöffen-<lb/> gerichten abgeurtheilt werden. Strafproz.O. 354. Gerichtsverf.Geſ. §. 76.</note>,<lb/> geht die Reviſion gegen ihre Urtheile an die Oberlandesgerichte <note place="foot" n="4)">Gerichtsverf.Geſ. §. 123 Ziff. 2.</note>.<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0072]
§. 99. Die Gerichtsbarkeit des Reichs.
bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten. Das vom Reich einheitlich geregelte
Strafrecht und Strafprozeßrecht muß gleichmäßig gehandhabt und
ausgelegt werden und der Regulator dafür kann nur das vom
Reiche ſelbſt eingeſetzte Gericht ſein. Inſoweit dagegen auf dem
Gebiete des Strafrechts die Autonomie der Einzelſtaaten ſich er-
ſtreckt, kann ihnen auch die Wahrung gleichmäßiger Handhabung
der landesgeſetzlichen Vorſchriften überlaſſen werden. Demgemäß
entſcheiden die Oberlandesgerichte über das Rechtsmittel der Reviſion,
wenn nur die Auslegung landesgeſetzlicher Rechtsnormen in Frage
ſteht 1). In Strafſachen konnte ſich aber die Reichsgeſetzgebung
mit der Unterſcheidung zwiſchen Reichsgeſetzen und Landesgeſetzen
begnügen; eine Berückſichtigung von partikulären Rechtsnormen,
welche über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus Geltung
haben, fiel von ſelbſt fort, da durch das Reichsſtrafgeſetzbuch und
die dazu ergangenen Ergänzungen auf dem Gebiet des Strafrechts
ein Rechtszuſtand hergeſtellt worden iſt, der für das Civilrecht erſt
durch die Einführung des bürgerlichen Geſetzbuchs des Reichs ein-
treten wird. Um aber in Staaten mit mehreren Oberlandesgerichten
eine widerſtreitende Auslegung des Landesſtrafrechts zu verhüten,
iſt dieſen Staaten die Befugniß eingeräumt worden, die Verhand-
lung und Entſcheidung der zur Zuſtändigkeit der Oberlandesgerichte
gehörenden Reviſionen und Beſchwerden in Strafſachen ausſchließ-
lich einem oder mehreren Oberlandesgerichten zuzuweiſen 2).
e) In dritter Inſtanz iſt das Reichsgericht in Strafſachen
regelmäßig nicht zuſtändig. In denjenigen Fällen, in welchen die
Strafkammern der Landgerichte in der Berufungsinſtanz urtheilen 3),
geht die Reviſion gegen ihre Urtheile an die Oberlandesgerichte 4).
1) Gerichtsverf.Geſ. §. 123 Ziff. 3. Dies trifft aber auch dann zu, wenn
die Reviſion darauf geſtützt wird, daß die Strafkammer die Landesgeſetze eines
anderen Bundesſtaates verletzt habe; §. 123 cit. erfordert nur die behauptete
Verletzung einer „in den Landesgeſetzen“ enthaltenen Rechtsnorm.
2) Einf Geſ. zum Gerichtsverf.Geſ. §. 9. Hiervon haben die beiden, allein
in Betracht kommenden Staaten Preußen und Bayern Gebrauch gemacht.
Preuß. Ausführungsgeſ. zum Gerichtsverf.Geſ. v. 24. April 1878 (Preuß. Geſ.
Samml. S. 230) §. 50. Bayeriſches Ausf.Geſ. z. Gerichtsverf.Geſ. v. 23. Febr.
1879 (Bayr. Geſ. u. Verordn.Bl. S. 273.) Art. 41.
3) Es ſind diejenigen Fälle, welche in erſter Inſtanz von den Schöffen-
gerichten abgeurtheilt werden. Strafproz.O. 354. Gerichtsverf.Geſ. §. 76.
4) Gerichtsverf.Geſ. §. 123 Ziff. 2.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |