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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 97. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit.
waltungsgerichtshofes begründete; wenn diese Voraussetzung aber
gegeben ist, so tritt die Kompetenz des Reichsgerichts kraft Ge-
setzes ein, ohne daß es einer besonderen kaiserl. Verordnung be-
darf, durch welche die Vorentscheidung dem Reichsgericht zugewiesen
wird 1).

Diese Zuständigkeit des Reichsgerichts ist nur in Elsaß-
Lothringen und Mecklenburg begründet, da in diesen Staaten die
Vorentscheidung im Falle des Verlangens der vorgesetzten Behörde
erforderlich ist 2), oberste Verwaltungsgerichtshöfe dagegen nicht
bestehen.

IV. Hinsichtlich der Frage, welche Personen der ordent-
lichen streitigen Gerichtsbarkeit unterworfen sind, muß man zwischen
dem prozessualischen und dem staatsrechtlichen Ge-
sichtspunkt unterscheiden. In der ersteren Beziehung handelt es
sich um den sogenannten Gerichtsstand d. h. um die Zustän-
digkeit eines oder mehrerer bestimmter Gerichte in einer concreten
Prozeßsache, gleichsam um die Lokalisirung und Vertheilung der
Gerichtsbarkeit nach Rücksichten der Zweckmäßigkeit und Billigkeit
auf die einzelnen Gerichte. Die Gerichtsbarkeit an sich muß über
Jemanden begründet sein, ehe die Frage aufgeworfen werden kann,
durch welche Gerichtsbehörde sie verwirklicht wird. Mittelbar kön-
nen aber die Vorschriften der Prozeßordnungen über den Gerichts-
stand zur Begränzung der Gerichtsbarkeit dienen; denn insofern
nach diesen Vorschriften kein einzelnes Gericht im concreten Falle
eine Zuständigkeit hat, ist die Gerichtsbarkeit selbst ausgeschlossen.
Daher kömmt den Regeln über den Gerichtsstand mittelbar aller-
dings eine staatsrechtliche Bedeutung zu; insbesondere auch eine
internationale; denn sie begränzen zugleich die inländische Gerichts-
barkeit gegen die Gerichtsbarkeit der anderen Staaten. Dieses
mittelbare Interesse des Staatsrechts bietet aber keine ausreichende
Rechtfertigung, um an dieser Stelle näher auf die complicirte

1) Aus demselben Grunde hört aber auch die Zuständigkeit des Reichsge-
richts ipso jure auf, wenn in dem betreffenden Staate nachträglich ein Ver-
waltungsgerichtshof errichtet wird.
2) Els.Lothr. Ges. v. 4. Nov. 1878 §. 11. (Gesetzbl. f. Els.Lothr. S. 67),
Mecklenb. Schwerin'sche Verordn. v. 5. Mai 1879 (Reg.Bl. S. 101) und Meck-
lenb.Strelitz'sche Verordn. vom gleichen Tage. (Offiz. Anzeiger S. 137). Vgl.
Löwe Note 3 u. 7 zu §. 11 cit.

§. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit.
waltungsgerichtshofes begründete; wenn dieſe Vorausſetzung aber
gegeben iſt, ſo tritt die Kompetenz des Reichsgerichts kraft Ge-
ſetzes ein, ohne daß es einer beſonderen kaiſerl. Verordnung be-
darf, durch welche die Vorentſcheidung dem Reichsgericht zugewieſen
wird 1).

Dieſe Zuſtändigkeit des Reichsgerichts iſt nur in Elſaß-
Lothringen und Mecklenburg begründet, da in dieſen Staaten die
Vorentſcheidung im Falle des Verlangens der vorgeſetzten Behörde
erforderlich iſt 2), oberſte Verwaltungsgerichtshöfe dagegen nicht
beſtehen.

IV. Hinſichtlich der Frage, welche Perſonen der ordent-
lichen ſtreitigen Gerichtsbarkeit unterworfen ſind, muß man zwiſchen
dem prozeſſualiſchen und dem ſtaatsrechtlichen Ge-
ſichtspunkt unterſcheiden. In der erſteren Beziehung handelt es
ſich um den ſogenannten Gerichtsſtand d. h. um die Zuſtän-
digkeit eines oder mehrerer beſtimmter Gerichte in einer concreten
Prozeßſache, gleichſam um die Lokaliſirung und Vertheilung der
Gerichtsbarkeit nach Rückſichten der Zweckmäßigkeit und Billigkeit
auf die einzelnen Gerichte. Die Gerichtsbarkeit an ſich muß über
Jemanden begründet ſein, ehe die Frage aufgeworfen werden kann,
durch welche Gerichtsbehörde ſie verwirklicht wird. Mittelbar kön-
nen aber die Vorſchriften der Prozeßordnungen über den Gerichts-
ſtand zur Begränzung der Gerichtsbarkeit dienen; denn inſofern
nach dieſen Vorſchriften kein einzelnes Gericht im concreten Falle
eine Zuſtändigkeit hat, iſt die Gerichtsbarkeit ſelbſt ausgeſchloſſen.
Daher kömmt den Regeln über den Gerichtsſtand mittelbar aller-
dings eine ſtaatsrechtliche Bedeutung zu; insbeſondere auch eine
internationale; denn ſie begränzen zugleich die inländiſche Gerichts-
barkeit gegen die Gerichtsbarkeit der anderen Staaten. Dieſes
mittelbare Intereſſe des Staatsrechts bietet aber keine ausreichende
Rechtfertigung, um an dieſer Stelle näher auf die complicirte

1) Aus demſelben Grunde hört aber auch die Zuſtändigkeit des Reichsge-
richts ipso jure auf, wenn in dem betreffenden Staate nachträglich ein Ver-
waltungsgerichtshof errichtet wird.
2) Elſ.Lothr. Geſ. v. 4. Nov. 1878 §. 11. (Geſetzbl. f. Elſ.Lothr. S. 67),
Mecklenb. Schwerin’ſche Verordn. v. 5. Mai 1879 (Reg.Bl. S. 101) und Meck-
lenb.Strelitz’ſche Verordn. vom gleichen Tage. (Offiz. Anzeiger S. 137). Vgl.
Löwe Note 3 u. 7 zu §. 11 cit.
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[38/0048] §. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit. waltungsgerichtshofes begründete; wenn dieſe Vorausſetzung aber gegeben iſt, ſo tritt die Kompetenz des Reichsgerichts kraft Ge- ſetzes ein, ohne daß es einer beſonderen kaiſerl. Verordnung be- darf, durch welche die Vorentſcheidung dem Reichsgericht zugewieſen wird 1). Dieſe Zuſtändigkeit des Reichsgerichts iſt nur in Elſaß- Lothringen und Mecklenburg begründet, da in dieſen Staaten die Vorentſcheidung im Falle des Verlangens der vorgeſetzten Behörde erforderlich iſt 2), oberſte Verwaltungsgerichtshöfe dagegen nicht beſtehen. IV. Hinſichtlich der Frage, welche Perſonen der ordent- lichen ſtreitigen Gerichtsbarkeit unterworfen ſind, muß man zwiſchen dem prozeſſualiſchen und dem ſtaatsrechtlichen Ge- ſichtspunkt unterſcheiden. In der erſteren Beziehung handelt es ſich um den ſogenannten Gerichtsſtand d. h. um die Zuſtän- digkeit eines oder mehrerer beſtimmter Gerichte in einer concreten Prozeßſache, gleichſam um die Lokaliſirung und Vertheilung der Gerichtsbarkeit nach Rückſichten der Zweckmäßigkeit und Billigkeit auf die einzelnen Gerichte. Die Gerichtsbarkeit an ſich muß über Jemanden begründet ſein, ehe die Frage aufgeworfen werden kann, durch welche Gerichtsbehörde ſie verwirklicht wird. Mittelbar kön- nen aber die Vorſchriften der Prozeßordnungen über den Gerichts- ſtand zur Begränzung der Gerichtsbarkeit dienen; denn inſofern nach dieſen Vorſchriften kein einzelnes Gericht im concreten Falle eine Zuſtändigkeit hat, iſt die Gerichtsbarkeit ſelbſt ausgeſchloſſen. Daher kömmt den Regeln über den Gerichtsſtand mittelbar aller- dings eine ſtaatsrechtliche Bedeutung zu; insbeſondere auch eine internationale; denn ſie begränzen zugleich die inländiſche Gerichts- barkeit gegen die Gerichtsbarkeit der anderen Staaten. Dieſes mittelbare Intereſſe des Staatsrechts bietet aber keine ausreichende Rechtfertigung, um an dieſer Stelle näher auf die complicirte 1) Aus demſelben Grunde hört aber auch die Zuſtändigkeit des Reichsge- richts ipso jure auf, wenn in dem betreffenden Staate nachträglich ein Ver- waltungsgerichtshof errichtet wird. 2) Elſ.Lothr. Geſ. v. 4. Nov. 1878 §. 11. (Geſetzbl. f. Elſ.Lothr. S. 67), Mecklenb. Schwerin’ſche Verordn. v. 5. Mai 1879 (Reg.Bl. S. 101) und Meck- lenb.Strelitz’ſche Verordn. vom gleichen Tage. (Offiz. Anzeiger S. 137). Vgl. Löwe Note 3 u. 7 zu §. 11 cit.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/48>, abgerufen am 26.04.2024.