Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 97. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. entzieht sich fast der Wahrnehmung 1); bei den Staatsverträgenbesteht dasselbe Verhältniß hinsichtlich der Herstellung des völker- rechtlichen Vertrags und der staatlichen Vollziehbarkeitserklärung 2). So ist auch bei der Erledigung bürgerlicher Rechtsstreitigkeiten die Feststellung des concreten Rechts allein von praktischer Wichtigkeit; daß der urtheilsmäßig anerkannte Rechtsanspruch unter den Schutz des Staates genommen und eventuell mit den staatlichen Macht- mitteln durchgeführt wird, versteht sich von selbst und braucht nicht besonders erklärt zu werden. Es genügt, wenn das Urtheil sagt, daß der Verklagte schuldig sei dem Kläger 100 zu zahlen; die Hauptsache, nämlich der staatliche Befehl an den Verklagten, auf Verlangen des Klägers diese Summe zu zahlen und die Drohung, daß der Staat nöthigenfalls dies erzwingen würde, bleibt als selbstverständlich fort 3). Hieraus wird es erklärlich, daß nach einer fast allgemein herrschenden, offenbar durch römisch rechtliche Prozeßinstitutionen beeinflußten Anschauung das Wesen des Ur- theils in der Entscheidung über das Rechtsverhältniß gesehen, da- gegen der dahinter stehende Befehl, dem Urtheil Folge zu leisten, als etwas Nebensächliches oder Zufälliges erachtet wird. Der wahre staatsrechtliche Charakter des rechtskräftigen Ur- 1) Vgl. Bd. II. S. 34. 2) Vgl. Bd. II. S. 157 ff., 3) Eine Hinweisung ist aber nicht ausgeschlossen; öfters wird dem Tenor
die Klausel: "bei Vermeidung der Exekution" hinzugefügt; im mittelalterlichen Verfahren schloß sich an die Findung des Urtheils (Wahrspruchs der Schöffen) das ihm entsprechende Gebot des Richters. Vgl. Planck, das Deutsche Gerichtsverf. im M.A. I. Bd. S. 301 ff. Parallelen aus anderen Rechtskreisen lassen sich leicht nachweisen. Vgl. Degenkolb a. a. O. S. 98 ff. §. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit. entzieht ſich faſt der Wahrnehmung 1); bei den Staatsverträgenbeſteht daſſelbe Verhältniß hinſichtlich der Herſtellung des völker- rechtlichen Vertrags und der ſtaatlichen Vollziehbarkeitserklärung 2). So iſt auch bei der Erledigung bürgerlicher Rechtsſtreitigkeiten die Feſtſtellung des concreten Rechts allein von praktiſcher Wichtigkeit; daß der urtheilsmäßig anerkannte Rechtsanſpruch unter den Schutz des Staates genommen und eventuell mit den ſtaatlichen Macht- mitteln durchgeführt wird, verſteht ſich von ſelbſt und braucht nicht beſonders erklärt zu werden. Es genügt, wenn das Urtheil ſagt, daß der Verklagte ſchuldig ſei dem Kläger 100 zu zahlen; die Hauptſache, nämlich der ſtaatliche Befehl an den Verklagten, auf Verlangen des Klägers dieſe Summe zu zahlen und die Drohung, daß der Staat nöthigenfalls dies erzwingen würde, bleibt als ſelbſtverſtändlich fort 3). Hieraus wird es erklärlich, daß nach einer faſt allgemein herrſchenden, offenbar durch römiſch rechtliche Prozeßinſtitutionen beeinflußten Anſchauung das Weſen des Ur- theils in der Entſcheidung über das Rechtsverhältniß geſehen, da- gegen der dahinter ſtehende Befehl, dem Urtheil Folge zu leiſten, als etwas Nebenſächliches oder Zufälliges erachtet wird. Der wahre ſtaatsrechtliche Charakter des rechtskräftigen Ur- 1) Vgl. Bd. II. S. 34. 2) Vgl. Bd. II. S. 157 ff., 3) Eine Hinweiſung iſt aber nicht ausgeſchloſſen; öfters wird dem Tenor
die Klauſel: „bei Vermeidung der Exekution“ hinzugefügt; im mittelalterlichen Verfahren ſchloß ſich an die Findung des Urtheils (Wahrſpruchs der Schöffen) das ihm entſprechende Gebot des Richters. Vgl. Planck, das Deutſche Gerichtsverf. im M.A. I. Bd. S. 301 ff. Parallelen aus anderen Rechtskreiſen laſſen ſich leicht nachweiſen. Vgl. Degenkolb a. a. O. S. 98 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0036" n="26"/><fw place="top" type="header">§. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit.</fw><lb/> entzieht ſich faſt der Wahrnehmung <note place="foot" n="1)">Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 34.</note>; bei den Staatsverträgen<lb/> beſteht daſſelbe Verhältniß hinſichtlich der Herſtellung des völker-<lb/> rechtlichen Vertrags und der ſtaatlichen Vollziehbarkeitserklärung <note place="foot" n="2)">Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 157 ff.,</note>.<lb/> So iſt auch bei der Erledigung bürgerlicher Rechtsſtreitigkeiten die<lb/> Feſtſtellung des concreten Rechts allein von <hi rendition="#g">praktiſcher</hi> Wichtigkeit;<lb/> daß der urtheilsmäßig anerkannte Rechtsanſpruch unter den Schutz<lb/> des Staates genommen und eventuell mit den ſtaatlichen Macht-<lb/> mitteln durchgeführt wird, verſteht ſich von ſelbſt und braucht nicht<lb/> beſonders erklärt zu werden. Es genügt, wenn das Urtheil ſagt,<lb/> daß der Verklagte ſchuldig ſei dem Kläger 100 zu zahlen; die<lb/> Hauptſache, nämlich der ſtaatliche Befehl an den Verklagten, auf<lb/> Verlangen des Klägers dieſe Summe zu zahlen und die Drohung,<lb/> daß der Staat nöthigenfalls dies erzwingen würde, bleibt als<lb/> ſelbſtverſtändlich fort <note place="foot" n="3)">Eine Hinweiſung iſt aber nicht ausgeſchloſſen; öfters wird dem Tenor<lb/> die Klauſel: „bei Vermeidung der Exekution“ hinzugefügt; im mittelalterlichen<lb/> Verfahren ſchloß ſich an die Findung des Urtheils (Wahrſpruchs der Schöffen)<lb/> das ihm entſprechende <hi rendition="#g">Gebot des Richters</hi>. Vgl. <hi rendition="#g">Planck</hi>, das Deutſche<lb/> Gerichtsverf. im M.A. <hi rendition="#aq">I.</hi> Bd. S. 301 ff. Parallelen aus anderen Rechtskreiſen<lb/> laſſen ſich leicht nachweiſen. Vgl. <hi rendition="#g">Degenkolb</hi> a. a. O. S. 98 ff.</note>. Hieraus wird es erklärlich, daß nach<lb/> einer faſt allgemein herrſchenden, offenbar durch römiſch rechtliche<lb/> Prozeßinſtitutionen beeinflußten Anſchauung das <hi rendition="#g">Weſen</hi> des Ur-<lb/> theils in der Entſcheidung über das Rechtsverhältniß geſehen, da-<lb/> gegen der dahinter ſtehende Befehl, dem Urtheil Folge zu leiſten,<lb/> als etwas Nebenſächliches oder Zufälliges erachtet wird.</p><lb/> <p>Der wahre ſtaatsrechtliche Charakter des rechtskräftigen Ur-<lb/> theils wird klar, wenn man den Schiedsſpruch und ſeine Wirkungen<lb/> mit ihm in Vergleich ſtellt. In der Civil-Proz.-Ordn. §. 866 heißt<lb/> es zwar: „Der Schiedsſpruch hat unter den Parteien die Wirkungen<lb/> eines rechtskräftigen gerichtlichen Urtheils“; dies wird aber ſofort<lb/> durch die folgenden Beſtimmungen in der bündigſten Weiſe wider-<lb/> legt, indem in §. 867 aus beſtimmten Gründen die Klage auf<lb/> Aufhebung des Schiedsſpruches zugelaſſen iſt und nach §. 868 aus<lb/> dem Schiedsſpruche die Zwangsvollſtreckung nur ſtattfindet, wenn<lb/> ihre Zuläſſigkeit <hi rendition="#g">durch ein Vollſtreckungsurtheil</hi> ausge-<lb/> ſprochen iſt. Dem Schiedsſpruch fehlt alſo gerade die für das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [26/0036]
§. 97. Die ordentliche ſtreitige Gerichtsbarkeit.
entzieht ſich faſt der Wahrnehmung 1); bei den Staatsverträgen
beſteht daſſelbe Verhältniß hinſichtlich der Herſtellung des völker-
rechtlichen Vertrags und der ſtaatlichen Vollziehbarkeitserklärung 2).
So iſt auch bei der Erledigung bürgerlicher Rechtsſtreitigkeiten die
Feſtſtellung des concreten Rechts allein von praktiſcher Wichtigkeit;
daß der urtheilsmäßig anerkannte Rechtsanſpruch unter den Schutz
des Staates genommen und eventuell mit den ſtaatlichen Macht-
mitteln durchgeführt wird, verſteht ſich von ſelbſt und braucht nicht
beſonders erklärt zu werden. Es genügt, wenn das Urtheil ſagt,
daß der Verklagte ſchuldig ſei dem Kläger 100 zu zahlen; die
Hauptſache, nämlich der ſtaatliche Befehl an den Verklagten, auf
Verlangen des Klägers dieſe Summe zu zahlen und die Drohung,
daß der Staat nöthigenfalls dies erzwingen würde, bleibt als
ſelbſtverſtändlich fort 3). Hieraus wird es erklärlich, daß nach
einer faſt allgemein herrſchenden, offenbar durch römiſch rechtliche
Prozeßinſtitutionen beeinflußten Anſchauung das Weſen des Ur-
theils in der Entſcheidung über das Rechtsverhältniß geſehen, da-
gegen der dahinter ſtehende Befehl, dem Urtheil Folge zu leiſten,
als etwas Nebenſächliches oder Zufälliges erachtet wird.
Der wahre ſtaatsrechtliche Charakter des rechtskräftigen Ur-
theils wird klar, wenn man den Schiedsſpruch und ſeine Wirkungen
mit ihm in Vergleich ſtellt. In der Civil-Proz.-Ordn. §. 866 heißt
es zwar: „Der Schiedsſpruch hat unter den Parteien die Wirkungen
eines rechtskräftigen gerichtlichen Urtheils“; dies wird aber ſofort
durch die folgenden Beſtimmungen in der bündigſten Weiſe wider-
legt, indem in §. 867 aus beſtimmten Gründen die Klage auf
Aufhebung des Schiedsſpruches zugelaſſen iſt und nach §. 868 aus
dem Schiedsſpruche die Zwangsvollſtreckung nur ſtattfindet, wenn
ihre Zuläſſigkeit durch ein Vollſtreckungsurtheil ausge-
ſprochen iſt. Dem Schiedsſpruch fehlt alſo gerade die für das
1) Vgl. Bd. II. S. 34.
2) Vgl. Bd. II. S. 157 ff.,
3) Eine Hinweiſung iſt aber nicht ausgeſchloſſen; öfters wird dem Tenor
die Klauſel: „bei Vermeidung der Exekution“ hinzugefügt; im mittelalterlichen
Verfahren ſchloß ſich an die Findung des Urtheils (Wahrſpruchs der Schöffen)
das ihm entſprechende Gebot des Richters. Vgl. Planck, das Deutſche
Gerichtsverf. im M.A. I. Bd. S. 301 ff. Parallelen aus anderen Rechtskreiſen
laſſen ſich leicht nachweiſen. Vgl. Degenkolb a. a. O. S. 98 ff.
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