Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 96. Einleitung. erfuhr aber vielseitige Angriffe, weil er die Schwurgerichte gänz-lich beseitigen und durch Schöffengerichte ersetzen wollte, und da vorauszusehen war, daß der Reichstag in die Aufhebung der Schwur- gerichte nicht willigen würde, so mußte der Entwurf einer noch- maligen Umarbeitung unterworfen werden, so daß er erst im Som- mer 1874 die Gestalt erhielt, in welcher er an den Reichstag ge- bracht worden ist. Daß die Ordnung des Prozeßverfahrens eine bestimmte Or- 1) Ueber die Entstehungsgeschichte des Gerichtsverfassungsgesetzes vgl. die
Erklärung des Justizministers Dr. Leonhardt in der Reichstagssitzung vom 25. Nov. 1876. (Stenogr. Berichte S. 358 ff.) §. 96. Einleitung. erfuhr aber vielſeitige Angriffe, weil er die Schwurgerichte gänz-lich beſeitigen und durch Schöffengerichte erſetzen wollte, und da vorauszuſehen war, daß der Reichstag in die Aufhebung der Schwur- gerichte nicht willigen würde, ſo mußte der Entwurf einer noch- maligen Umarbeitung unterworfen werden, ſo daß er erſt im Som- mer 1874 die Geſtalt erhielt, in welcher er an den Reichstag ge- bracht worden iſt. Daß die Ordnung des Prozeßverfahrens eine beſtimmte Or- 1) Ueber die Entſtehungsgeſchichte des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes vgl. die
Erklärung des Juſtizminiſters Dr. Leonhardt in der Reichstagsſitzung vom 25. Nov. 1876. (Stenogr. Berichte S. 358 ff.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0019" n="9"/><fw place="top" type="header">§. 96. Einleitung.</fw><lb/> erfuhr aber vielſeitige Angriffe, weil er die Schwurgerichte gänz-<lb/> lich beſeitigen und durch Schöffengerichte erſetzen wollte, und da<lb/> vorauszuſehen war, daß der Reichstag in die Aufhebung der Schwur-<lb/> gerichte nicht willigen würde, ſo mußte der Entwurf einer noch-<lb/> maligen Umarbeitung unterworfen werden, ſo daß er erſt im Som-<lb/> mer 1874 die Geſtalt erhielt, in welcher er an den Reichstag ge-<lb/> bracht worden iſt.</p><lb/> <p>Daß die Ordnung des Prozeßverfahrens eine beſtimmte Or-<lb/> ganiſation der Gerichte vorausſetzt, iſt ſelbſtverſtändlich; die Civil-<lb/> und Strafprozeß-Ordnungen mußten daher entweder ſelbſt die er-<lb/> forderlichen Anordnungen über die Zuſammenſetzung der Gerichte<lb/> und ihr gegenſeitiges Verhältniß enthalten oder ſie mußten in<lb/> dieſer Hinſicht durch ein beſonderes <hi rendition="#g">Gerichtsverfaſſungsgeſetz</hi><lb/> ergänzt werden <note place="foot" n="1)">Ueber die Entſtehungsgeſchichte des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes vgl. die<lb/> Erklärung des Juſtizminiſters <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Leonhardt</hi> in der Reichstagsſitzung vom<lb/> 25. Nov. 1876. (Stenogr. Berichte S. 358 ff.)</note>. Demgemäß wurde gegen Ende des Jahres<lb/> 1869 der Preußiſche Juſtizminiſter von dem Bundeskanzler erſucht,<lb/> die Ausarbeitung eines Geſetzentwurfs zu veranlaſſen, welcher die<lb/> die Gerichtsverfaſſung betreffenden Vorſchriften enthalte, ſo weit<lb/> ſie für die Civilrechtspflege nach der kommiſſariſch feſtgeſtellten Ci-<lb/> vilprozeßordnung nothwendig wurden. Indeß ergab ſich von ſelbſt<lb/> die Nothwendigkeit, nachdem man auch die Abfaſſung einer Straf-<lb/> prozeßordnung in’s Auge gefaßt hatte, auch die Strafrechtspflege<lb/> mitzuberückſichtigen. Der Preuß. Juſtizminiſter ging indeſſen über<lb/> die Gränzen dieſes Auftrages hinaus; er ließ einen Entwurf aus-<lb/> arbeiten, der nicht nur die durch die Civil- und Strafprozeß-Ordnung<lb/> nothwendig gemachten Vorſchriften über die Gerichtseinrichtungen,<lb/> ſondern eine <hi rendition="#g">vollſtändige</hi> Regelung der Gerichtsverfaſſung<lb/> enthielt, ſo daß er ohne Mitwirkung der Landesgeſetzgebungen d. h.<lb/> ohne Ausführungsgeſetze der Einzelſtaaten hätte in’s Leben treten<lb/> können. Mit dieſer Ausdehnung erklärten ſich jedoch die Juſtiz-<lb/> miniſter der größeren Deutſchen Bundesſtaaten, welche zu Berathun-<lb/> gen über den Entwurf in Berlin ſich verſammelt hatten, nicht einver-<lb/> ſtanden und es ergab ſich hieraus die Nothwendigkeit, den Entwurf<lb/> nach dieſem Geſichtspunkt umzuarbeiten d. h. aus einer vollſtän-<lb/> digen Regelung der Gerichtsverfaſſung eine fragmentariſche zu<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [9/0019]
§. 96. Einleitung.
erfuhr aber vielſeitige Angriffe, weil er die Schwurgerichte gänz-
lich beſeitigen und durch Schöffengerichte erſetzen wollte, und da
vorauszuſehen war, daß der Reichstag in die Aufhebung der Schwur-
gerichte nicht willigen würde, ſo mußte der Entwurf einer noch-
maligen Umarbeitung unterworfen werden, ſo daß er erſt im Som-
mer 1874 die Geſtalt erhielt, in welcher er an den Reichstag ge-
bracht worden iſt.
Daß die Ordnung des Prozeßverfahrens eine beſtimmte Or-
ganiſation der Gerichte vorausſetzt, iſt ſelbſtverſtändlich; die Civil-
und Strafprozeß-Ordnungen mußten daher entweder ſelbſt die er-
forderlichen Anordnungen über die Zuſammenſetzung der Gerichte
und ihr gegenſeitiges Verhältniß enthalten oder ſie mußten in
dieſer Hinſicht durch ein beſonderes Gerichtsverfaſſungsgeſetz
ergänzt werden 1). Demgemäß wurde gegen Ende des Jahres
1869 der Preußiſche Juſtizminiſter von dem Bundeskanzler erſucht,
die Ausarbeitung eines Geſetzentwurfs zu veranlaſſen, welcher die
die Gerichtsverfaſſung betreffenden Vorſchriften enthalte, ſo weit
ſie für die Civilrechtspflege nach der kommiſſariſch feſtgeſtellten Ci-
vilprozeßordnung nothwendig wurden. Indeß ergab ſich von ſelbſt
die Nothwendigkeit, nachdem man auch die Abfaſſung einer Straf-
prozeßordnung in’s Auge gefaßt hatte, auch die Strafrechtspflege
mitzuberückſichtigen. Der Preuß. Juſtizminiſter ging indeſſen über
die Gränzen dieſes Auftrages hinaus; er ließ einen Entwurf aus-
arbeiten, der nicht nur die durch die Civil- und Strafprozeß-Ordnung
nothwendig gemachten Vorſchriften über die Gerichtseinrichtungen,
ſondern eine vollſtändige Regelung der Gerichtsverfaſſung
enthielt, ſo daß er ohne Mitwirkung der Landesgeſetzgebungen d. h.
ohne Ausführungsgeſetze der Einzelſtaaten hätte in’s Leben treten
können. Mit dieſer Ausdehnung erklärten ſich jedoch die Juſtiz-
miniſter der größeren Deutſchen Bundesſtaaten, welche zu Berathun-
gen über den Entwurf in Berlin ſich verſammelt hatten, nicht einver-
ſtanden und es ergab ſich hieraus die Nothwendigkeit, den Entwurf
nach dieſem Geſichtspunkt umzuarbeiten d. h. aus einer vollſtän-
digen Regelung der Gerichtsverfaſſung eine fragmentariſche zu
1) Ueber die Entſtehungsgeſchichte des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes vgl. die
Erklärung des Juſtizminiſters Dr. Leonhardt in der Reichstagsſitzung vom
25. Nov. 1876. (Stenogr. Berichte S. 358 ff.)
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