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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 105. Die Zeugenpflicht.

a) Die Einzelstaaten sind hinsichtlich des Disciplinarrechts
völlig autonom und von Reichswegen ungehindert, die Zeugen-
pflicht für Zwecke der Disciplin einzuführen. Soweit durch ältere
Gesetze eine Zeugenpflicht und ein Zeugenzwang im Discplinar-
verfahren begründet war, ist durch Einführung der Strafprozeß-
Ordnung Nichts daran geändert worden 1). Auch steht es den
Einzelstaaten völlig frei, die Bestimmungen der Strafproz.-Ordnung
über die Zeugenpflicht auf das Disciplinarverfahren mit oder ohne
Veränderungen für anwendbar zu erklären. Ein näheres Eingehen
auf den Rechtszustand, der in dieser Hinsicht zur Zeit in den ein-
zelnen Bundesstaaten besteht, liegt nicht in unserer Aufgabe; es
genügt die Darlegung des Prinzips 2).

b) Für das Reichsstaatsrecht kömmt ausschließlich das
Reichsbeamten-Gesetz v. 31. März 1873 in Betracht. Dasselbe
enthält zwar keine Vorschrift, welche ausdrücklich und zweifellos
die Zeugenpflicht im Disciplinarverfahren sanctionirt, aus dem
Zusammenhange seiner Bestimmungen ergibt sich dies aber als
der Wille des Gesetzgebers. Zunächst ist ein contradiktorisches
Verfahren mit Beweiserhebungen gerade in Disciplinarsachen ohne
den Zeugenzwang nur schwer durchführbar, da es einem wegen
Verletzung der Dienstpflicht zur Verantwortung gezogenen Beamten
verhältnißmäßig leicht gelingen wird, die Belastungszeugen zur
Verweigerung der Aussage zu bestimmen, wenn dies von ihrem
freien Belieben abhängig ist. Der Gesetzgeber kann daher ver-
nünftiger Weise nicht ein bestimmt geartetes Disciplinarverfahren
anordnen, zugleich aber die zur Durchführung desselben unentbehr-
lichen Machtmittel versagen wollen. Das Reichsbeamten-Gesetz
enthält ferner mehrfache Bestimmungen, welche das Recht zum
Zeugenzwang stillschweigend voraussetzen. Nach §. 94 werden die
Zeugen in der Voruntersuchung vernommen und nach Befinden
vereidigt; nach §. 96 kann die Staatsanwaltschaft eine Ergänzung
der Voruntersuchung, also auch die Vernehmung weiterer Zeugen
beantragen; nach §. 106 muß die Vernehmung der Zeugen auf
Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten in der

1) wol aber möglicher Weise durch die landesgesetzlich ausgesprochene
gänzliche Aufhebung der älteren Gesetze.
2) Vgl. für Preußen: v. Lilienthal a. a. O. S. 1429, dessen Erörte-
rung auf dem richtigen Prinzip beruht.
§. 105. Die Zeugenpflicht.

a) Die Einzelſtaaten ſind hinſichtlich des Disciplinarrechts
völlig autonom und von Reichswegen ungehindert, die Zeugen-
pflicht für Zwecke der Disciplin einzuführen. Soweit durch ältere
Geſetze eine Zeugenpflicht und ein Zeugenzwang im Discplinar-
verfahren begründet war, iſt durch Einführung der Strafprozeß-
Ordnung Nichts daran geändert worden 1). Auch ſteht es den
Einzelſtaaten völlig frei, die Beſtimmungen der Strafproz.-Ordnung
über die Zeugenpflicht auf das Disciplinarverfahren mit oder ohne
Veränderungen für anwendbar zu erklären. Ein näheres Eingehen
auf den Rechtszuſtand, der in dieſer Hinſicht zur Zeit in den ein-
zelnen Bundesſtaaten beſteht, liegt nicht in unſerer Aufgabe; es
genügt die Darlegung des Prinzips 2).

b) Für das Reichsſtaatsrecht kömmt ausſchließlich das
Reichsbeamten-Geſetz v. 31. März 1873 in Betracht. Daſſelbe
enthält zwar keine Vorſchrift, welche ausdrücklich und zweifellos
die Zeugenpflicht im Disciplinarverfahren ſanctionirt, aus dem
Zuſammenhange ſeiner Beſtimmungen ergibt ſich dies aber als
der Wille des Geſetzgebers. Zunächſt iſt ein contradiktoriſches
Verfahren mit Beweiserhebungen gerade in Disciplinarſachen ohne
den Zeugenzwang nur ſchwer durchführbar, da es einem wegen
Verletzung der Dienſtpflicht zur Verantwortung gezogenen Beamten
verhältnißmäßig leicht gelingen wird, die Belaſtungszeugen zur
Verweigerung der Ausſage zu beſtimmen, wenn dies von ihrem
freien Belieben abhängig iſt. Der Geſetzgeber kann daher ver-
nünftiger Weiſe nicht ein beſtimmt geartetes Disciplinarverfahren
anordnen, zugleich aber die zur Durchführung deſſelben unentbehr-
lichen Machtmittel verſagen wollen. Das Reichsbeamten-Geſetz
enthält ferner mehrfache Beſtimmungen, welche das Recht zum
Zeugenzwang ſtillſchweigend vorausſetzen. Nach §. 94 werden die
Zeugen in der Vorunterſuchung vernommen und nach Befinden
vereidigt; nach §. 96 kann die Staatsanwaltſchaft eine Ergänzung
der Vorunterſuchung, alſo auch die Vernehmung weiterer Zeugen
beantragen; nach §. 106 muß die Vernehmung der Zeugen auf
Antrag der Staatsanwaltſchaft oder des Angeſchuldigten in der

1) wol aber möglicher Weiſe durch die landesgeſetzlich ausgeſprochene
gänzliche Aufhebung der älteren Geſetze.
2) Vgl. für Preußen: v. Lilienthal a. a. O. S. 1429, deſſen Erörte-
rung auf dem richtigen Prinzip beruht.
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[164/0174] §. 105. Die Zeugenpflicht. a) Die Einzelſtaaten ſind hinſichtlich des Disciplinarrechts völlig autonom und von Reichswegen ungehindert, die Zeugen- pflicht für Zwecke der Disciplin einzuführen. Soweit durch ältere Geſetze eine Zeugenpflicht und ein Zeugenzwang im Discplinar- verfahren begründet war, iſt durch Einführung der Strafprozeß- Ordnung Nichts daran geändert worden 1). Auch ſteht es den Einzelſtaaten völlig frei, die Beſtimmungen der Strafproz.-Ordnung über die Zeugenpflicht auf das Disciplinarverfahren mit oder ohne Veränderungen für anwendbar zu erklären. Ein näheres Eingehen auf den Rechtszuſtand, der in dieſer Hinſicht zur Zeit in den ein- zelnen Bundesſtaaten beſteht, liegt nicht in unſerer Aufgabe; es genügt die Darlegung des Prinzips 2). b) Für das Reichsſtaatsrecht kömmt ausſchließlich das Reichsbeamten-Geſetz v. 31. März 1873 in Betracht. Daſſelbe enthält zwar keine Vorſchrift, welche ausdrücklich und zweifellos die Zeugenpflicht im Disciplinarverfahren ſanctionirt, aus dem Zuſammenhange ſeiner Beſtimmungen ergibt ſich dies aber als der Wille des Geſetzgebers. Zunächſt iſt ein contradiktoriſches Verfahren mit Beweiserhebungen gerade in Disciplinarſachen ohne den Zeugenzwang nur ſchwer durchführbar, da es einem wegen Verletzung der Dienſtpflicht zur Verantwortung gezogenen Beamten verhältnißmäßig leicht gelingen wird, die Belaſtungszeugen zur Verweigerung der Ausſage zu beſtimmen, wenn dies von ihrem freien Belieben abhängig iſt. Der Geſetzgeber kann daher ver- nünftiger Weiſe nicht ein beſtimmt geartetes Disciplinarverfahren anordnen, zugleich aber die zur Durchführung deſſelben unentbehr- lichen Machtmittel verſagen wollen. Das Reichsbeamten-Geſetz enthält ferner mehrfache Beſtimmungen, welche das Recht zum Zeugenzwang ſtillſchweigend vorausſetzen. Nach §. 94 werden die Zeugen in der Vorunterſuchung vernommen und nach Befinden vereidigt; nach §. 96 kann die Staatsanwaltſchaft eine Ergänzung der Vorunterſuchung, alſo auch die Vernehmung weiterer Zeugen beantragen; nach §. 106 muß die Vernehmung der Zeugen auf Antrag der Staatsanwaltſchaft oder des Angeſchuldigten in der 1) wol aber möglicher Weiſe durch die landesgeſetzlich ausgeſprochene gänzliche Aufhebung der älteren Geſetze. 2) Vgl. für Preußen: v. Lilienthal a. a. O. S. 1429, deſſen Erörte- rung auf dem richtigen Prinzip beruht.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/174>, abgerufen am 25.11.2024.