Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 57. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung.
Grundsatz exceptio firmat regulam folgt aus dem Abs. 2 des
Art. 5, daß der Regel nach Reichsgesetze auch gegen den Willen
des Kaisers
zu Stande kommen können, wofern nämlich die
Preußischen Stimmen im Bundesrathe in der Minorität geblieben
sind. Folglich kann unmöglich derjenige Willensact, welcher den
Gesetzes-Entwurf zu einem Reichsgesetz umwandelt, ein Willensact
des Kaisers sein 1).

Auch Art. 17 der R.-V. bestätigt dies. Denn er überträgt
dem Kaiser die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze
und die Ueberwachung der Ausführung derselben, also nur Funk-
tionen, welche die Sanction des Gesetzes bereits voraussetzen.

Aus der Betrachtung der rechtlichen Grundlinien der Reichsver-
fassung ergiebt sich vielmehr ein anderes Resultat.

Träger der souverainen Reichsgewalt ist die Gesammtheit der
Deutschen Staaten als ideelle Einheit gedacht 2). Nur von ihr
kann daher der eigentliche Gesetzgebungsact, die Sanction der
Reichsgesetze ausgehen. Die Gesammtheit der Deutschen Landes-
herren und freien Städte ertheilt den Entwürfen zu Reichsgesetzen
die Sanction, welche sie in Reichsgesetze umwandelt. In allen
Fällen aber, in denen die Deutschen Bundesglieder ihren Antheil
an der Reichsgewalt auszuüben haben, ist der Bundesrath das
dafür verfassungsmäßig bestimmte Organ, nicht der Kaiser. Denn
der Kaiser handelt nach freier und höchst eigener Entschließung,
die Bundesraths-Mitglieder stimmen nach der ihnen ertheilten In-
struktion. Der Kaiser ist daher wohl geeignet, Rechte des Reiches
gegen
die Gliedstaaten, gegen die Reichsangehörigen und gegen
auswärtige Mächte zu verwalten, niemals aber den Antheil der
Bundesglieder an der Reichsgewalt zu verwirklichen. Dazu ist
allein der Bundesrath geeignet, dessen Mitglieder rechtlich keinen

1) Auch die überwiegende Mehrzahl der Schriftsteller stimmt darin über-
ein, daß dem Kaiser die Sanction der Gesetze nicht zusteht. Vgl. Thudichum,
Verf.-R. S. 88. Meyer, Grundzüge S. 67. 69. Hiersemenzel I.
S. 70. 71. Riedel S. 22. 25. v. Held S. 106. v. Mohl S. 290.
Seydel, Kommentar S. 124. v. Gerber S. 246. Auch v. Rönne
(2. Aufl.) I. S. 230 ist derselben Ansicht; jedoch verbindet er damit das Miß-
verständniß, daß in den Fällen des Art. 5 Abs. 2 der R.-V. der Kaiser "das
Recht der Sanction besitzt" (!) und er in den übrigen Fällen nicht berechtigt
sei, "die Sanction zu verweigern."
2) Vrgl. Bd. I. S. 87 ff.

§. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung.
Grundſatz exceptio firmat regulam folgt aus dem Abſ. 2 des
Art. 5, daß der Regel nach Reichsgeſetze auch gegen den Willen
des Kaiſers
zu Stande kommen können, wofern nämlich die
Preußiſchen Stimmen im Bundesrathe in der Minorität geblieben
ſind. Folglich kann unmöglich derjenige Willensact, welcher den
Geſetzes-Entwurf zu einem Reichsgeſetz umwandelt, ein Willensact
des Kaiſers ſein 1).

Auch Art. 17 der R.-V. beſtätigt dies. Denn er überträgt
dem Kaiſer die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgeſetze
und die Ueberwachung der Ausführung derſelben, alſo nur Funk-
tionen, welche die Sanction des Geſetzes bereits vorausſetzen.

Aus der Betrachtung der rechtlichen Grundlinien der Reichsver-
faſſung ergiebt ſich vielmehr ein anderes Reſultat.

Träger der ſouverainen Reichsgewalt iſt die Geſammtheit der
Deutſchen Staaten als ideelle Einheit gedacht 2). Nur von ihr
kann daher der eigentliche Geſetzgebungsact, die Sanction der
Reichsgeſetze ausgehen. Die Geſammtheit der Deutſchen Landes-
herren und freien Städte ertheilt den Entwürfen zu Reichsgeſetzen
die Sanction, welche ſie in Reichsgeſetze umwandelt. In allen
Fällen aber, in denen die Deutſchen Bundesglieder ihren Antheil
an der Reichsgewalt auszuüben haben, iſt der Bundesrath das
dafür verfaſſungsmäßig beſtimmte Organ, nicht der Kaiſer. Denn
der Kaiſer handelt nach freier und höchſt eigener Entſchließung,
die Bundesraths-Mitglieder ſtimmen nach der ihnen ertheilten In-
ſtruktion. Der Kaiſer iſt daher wohl geeignet, Rechte des Reiches
gegen
die Gliedſtaaten, gegen die Reichsangehörigen und gegen
auswärtige Mächte zu verwalten, niemals aber den Antheil der
Bundesglieder an der Reichsgewalt zu verwirklichen. Dazu iſt
allein der Bundesrath geeignet, deſſen Mitglieder rechtlich keinen

1) Auch die überwiegende Mehrzahl der Schriftſteller ſtimmt darin über-
ein, daß dem Kaiſer die Sanction der Geſetze nicht zuſteht. Vgl. Thudichum,
Verf.-R. S. 88. Meyer, Grundzüge S. 67. 69. Hierſemenzel I.
S. 70. 71. Riedel S. 22. 25. v. Held S. 106. v. Mohl S. 290.
Seydel, Kommentar S. 124. v. Gerber S. 246. Auch v. Rönne
(2. Aufl.) I. S. 230 iſt derſelben Anſicht; jedoch verbindet er damit das Miß-
verſtändniß, daß in den Fällen des Art. 5 Abſ. 2 der R.-V. der Kaiſer „das
Recht der Sanction beſitzt“ (!) und er in den übrigen Fällen nicht berechtigt
ſei, „die Sanction zu verweigern.“
2) Vrgl. Bd. I. S. 87 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0046" n="32"/><fw place="top" type="header">§. 57. Der Weg der Ge&#x017F;etzgebung nach der Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung.</fw><lb/>
Grund&#x017F;atz <hi rendition="#aq">exceptio firmat regulam</hi> folgt aus dem Ab&#x017F;. 2 des<lb/>
Art. 5, daß der Regel nach Reichsge&#x017F;etze auch <hi rendition="#g">gegen den Willen<lb/>
des Kai&#x017F;ers</hi> zu Stande kommen können, wofern nämlich die<lb/>
Preußi&#x017F;chen Stimmen im Bundesrathe in der Minorität geblieben<lb/>
&#x017F;ind. Folglich kann unmöglich derjenige Willensact, welcher den<lb/>
Ge&#x017F;etzes-Entwurf zu einem Reichsge&#x017F;etz umwandelt, ein Willensact<lb/>
des <hi rendition="#g">Kai&#x017F;ers</hi> &#x017F;ein <note place="foot" n="1)">Auch die überwiegende Mehrzahl der Schrift&#x017F;teller &#x017F;timmt darin über-<lb/>
ein, daß dem Kai&#x017F;er die Sanction der Ge&#x017F;etze nicht zu&#x017F;teht. Vgl. <hi rendition="#g">Thudichum</hi>,<lb/>
Verf.-R. S. 88. <hi rendition="#g">Meyer</hi>, Grundzüge S. 67. 69. <hi rendition="#g">Hier&#x017F;emenzel</hi> <hi rendition="#aq">I.</hi><lb/>
S. 70. 71. <hi rendition="#g">Riedel</hi> S. 22. 25. v. <hi rendition="#g">Held</hi> S. 106. v. <hi rendition="#g">Mohl</hi> S. 290.<lb/><hi rendition="#g">Seydel</hi>, Kommentar S. 124. v. <hi rendition="#g">Gerber</hi> S. 246. Auch v. <hi rendition="#g">Rönne</hi><lb/>
(2. Aufl.) <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 230 i&#x017F;t der&#x017F;elben An&#x017F;icht; jedoch verbindet er damit das Miß-<lb/>
ver&#x017F;tändniß, daß in den Fällen des Art. 5 Ab&#x017F;. 2 der R.-V. der Kai&#x017F;er &#x201E;das<lb/>
Recht der Sanction be&#x017F;itzt&#x201C; (!) und er in den übrigen Fällen nicht berechtigt<lb/>
&#x017F;ei, &#x201E;die Sanction zu verweigern.&#x201C;</note>.</p><lb/>
            <p>Auch Art. 17 der R.-V. be&#x017F;tätigt dies. Denn er überträgt<lb/>
dem Kai&#x017F;er die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsge&#x017F;etze<lb/>
und die Ueberwachung der Ausführung der&#x017F;elben, al&#x017F;o nur Funk-<lb/>
tionen, welche die Sanction des Ge&#x017F;etzes bereits voraus&#x017F;etzen.</p><lb/>
            <p>Aus der Betrachtung der rechtlichen Grundlinien der Reichsver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung ergiebt &#x017F;ich vielmehr ein anderes Re&#x017F;ultat.</p><lb/>
            <p>Träger der &#x017F;ouverainen Reichsgewalt i&#x017F;t die Ge&#x017F;ammtheit der<lb/>
Deut&#x017F;chen Staaten als ideelle Einheit gedacht <note place="foot" n="2)">Vrgl. Bd. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 87 ff.</note>. Nur von ihr<lb/>
kann daher der eigentliche Ge&#x017F;etzgebungsact, die Sanction der<lb/>
Reichsge&#x017F;etze ausgehen. Die Ge&#x017F;ammtheit der Deut&#x017F;chen Landes-<lb/>
herren und freien Städte ertheilt den Entwürfen zu Reichsge&#x017F;etzen<lb/>
die Sanction, welche &#x017F;ie in Reichsge&#x017F;etze umwandelt. In allen<lb/>
Fällen aber, in denen die Deut&#x017F;chen Bundesglieder ihren Antheil<lb/>
an der Reichsgewalt auszuüben haben, i&#x017F;t der <hi rendition="#g">Bundesrath</hi> das<lb/>
dafür verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßig be&#x017F;timmte Organ, nicht der Kai&#x017F;er. Denn<lb/>
der Kai&#x017F;er handelt nach freier und höch&#x017F;t eigener Ent&#x017F;chließung,<lb/>
die Bundesraths-Mitglieder &#x017F;timmen nach der ihnen ertheilten In-<lb/>
&#x017F;truktion. Der Kai&#x017F;er i&#x017F;t daher wohl geeignet, Rechte <hi rendition="#g">des Reiches<lb/>
gegen</hi> die Glied&#x017F;taaten, gegen die Reichsangehörigen und gegen<lb/>
auswärtige Mächte zu verwalten, niemals aber den Antheil der<lb/>
Bundesglieder an der Reichsgewalt zu verwirklichen. Dazu i&#x017F;t<lb/>
allein der Bundesrath geeignet, de&#x017F;&#x017F;en Mitglieder rechtlich keinen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0046] §. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung. Grundſatz exceptio firmat regulam folgt aus dem Abſ. 2 des Art. 5, daß der Regel nach Reichsgeſetze auch gegen den Willen des Kaiſers zu Stande kommen können, wofern nämlich die Preußiſchen Stimmen im Bundesrathe in der Minorität geblieben ſind. Folglich kann unmöglich derjenige Willensact, welcher den Geſetzes-Entwurf zu einem Reichsgeſetz umwandelt, ein Willensact des Kaiſers ſein 1). Auch Art. 17 der R.-V. beſtätigt dies. Denn er überträgt dem Kaiſer die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgeſetze und die Ueberwachung der Ausführung derſelben, alſo nur Funk- tionen, welche die Sanction des Geſetzes bereits vorausſetzen. Aus der Betrachtung der rechtlichen Grundlinien der Reichsver- faſſung ergiebt ſich vielmehr ein anderes Reſultat. Träger der ſouverainen Reichsgewalt iſt die Geſammtheit der Deutſchen Staaten als ideelle Einheit gedacht 2). Nur von ihr kann daher der eigentliche Geſetzgebungsact, die Sanction der Reichsgeſetze ausgehen. Die Geſammtheit der Deutſchen Landes- herren und freien Städte ertheilt den Entwürfen zu Reichsgeſetzen die Sanction, welche ſie in Reichsgeſetze umwandelt. In allen Fällen aber, in denen die Deutſchen Bundesglieder ihren Antheil an der Reichsgewalt auszuüben haben, iſt der Bundesrath das dafür verfaſſungsmäßig beſtimmte Organ, nicht der Kaiſer. Denn der Kaiſer handelt nach freier und höchſt eigener Entſchließung, die Bundesraths-Mitglieder ſtimmen nach der ihnen ertheilten In- ſtruktion. Der Kaiſer iſt daher wohl geeignet, Rechte des Reiches gegen die Gliedſtaaten, gegen die Reichsangehörigen und gegen auswärtige Mächte zu verwalten, niemals aber den Antheil der Bundesglieder an der Reichsgewalt zu verwirklichen. Dazu iſt allein der Bundesrath geeignet, deſſen Mitglieder rechtlich keinen 1) Auch die überwiegende Mehrzahl der Schriftſteller ſtimmt darin über- ein, daß dem Kaiſer die Sanction der Geſetze nicht zuſteht. Vgl. Thudichum, Verf.-R. S. 88. Meyer, Grundzüge S. 67. 69. Hierſemenzel I. S. 70. 71. Riedel S. 22. 25. v. Held S. 106. v. Mohl S. 290. Seydel, Kommentar S. 124. v. Gerber S. 246. Auch v. Rönne (2. Aufl.) I. S. 230 iſt derſelben Anſicht; jedoch verbindet er damit das Miß- verſtändniß, daß in den Fällen des Art. 5 Abſ. 2 der R.-V. der Kaiſer „das Recht der Sanction beſitzt“ (!) und er in den übrigen Fällen nicht berechtigt ſei, „die Sanction zu verweigern.“ 2) Vrgl. Bd. I. S. 87 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/46
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/46>, abgerufen am 22.11.2024.