Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

§. 72. Die Verwaltung des Eisenbahnwesens.
Weise gehandhabt und im Einzelnen ausgeführt werde, so daß es
doch wieder zu neuer Zersplitterung und Verwirrung führen kann,
sondern sie läßt auch das Bedürfniß nach einem Organ, von welchem
die einheitliche und planmäßige Weiterbildung und Fortentwicklung
des Tarifwesens geleitet werde, unbefriedigt. Eine durchgreifende
Abhülfe kann auch hier nur ein Reichsgesetz gewähren, welches dem
Reich festumgränzte aber wirksame Befugnisse hinsichtlich der Tarif-
festsetzungen überträgt.

V. Im Gegensatz zu der unbestimmten und staatsrechtlich
wenig belangreichen Kontrole über das Tarifwesen, welche Art. 45
dem Reiche zuweist, sind dem Reiche zwei höchst eingreifende und
inhaltsvolle Befugnisse in den Art. 46 und 47 der R.-V. zuge-
sprochen.

1) Nach Art. 46 sind die Eisenbahnverwaltungen mit Ausschluß
Bayerns verpflichtet, bei eintretenden Nothständen, insbesondere
bei ungewöhnlicher Theuerung der Lebensmittel, für den Trans-
port, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln,
zeitweise einen dem Bedürfniß entsprechenden niedrigen Spezialtarif
einzuführen.

Dieser Spezialtarif wird von dem Kaiser auf Vorschlag des
betreffenden Bundesraths-Ausschusses (für Eisenbahnen, Post und
Telegraphen) festgestellt, darf jedoch nicht unter den niedrigsten auf
der betreffenden Bahn für Rohprodukte geltenden Satz herabgehen.

2) Den Anforderungen der Behörden des Reiches in Betreff
der Benutzung der Eisenbahnen zum Zweck der Vertheidigung Deutsch-
lands haben sämmtliche Eisenbahnverwaltungen unweigerlich Folge
zu leisten. Insbesondere ist das Militair und alles Kriegsmaterial
zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern. Art. 47.

Diese Verfassungsbestimmung gilt auch für Bayern. Ihre
Geltung ist nicht auf den Fall des Krieges oder der Kriegsvorbe-
reitungen beschränkt, sondern sie findet auch im Frieden Anwendung,
da sie nur eine Benutzung der Eisenbahnen zum Zweck der Ver-
theidigung Deutschlands voraussetzt, diesem Zwecke aber das Kriegs-
heer und die Marine auch im Frieden dienen 1). Durch diese Vor-
schrift sind sämmtliche Eisenbahnen Deutschlands zur vollen und un-
eingeschränkten Disposition für Militairzwecke gestellt und zwar

1) Vgl. auch Seydel, Kommentar S. 194.

§. 72. Die Verwaltung des Eiſenbahnweſens.
Weiſe gehandhabt und im Einzelnen ausgeführt werde, ſo daß es
doch wieder zu neuer Zerſplitterung und Verwirrung führen kann,
ſondern ſie läßt auch das Bedürfniß nach einem Organ, von welchem
die einheitliche und planmäßige Weiterbildung und Fortentwicklung
des Tarifweſens geleitet werde, unbefriedigt. Eine durchgreifende
Abhülfe kann auch hier nur ein Reichsgeſetz gewähren, welches dem
Reich feſtumgränzte aber wirkſame Befugniſſe hinſichtlich der Tarif-
feſtſetzungen überträgt.

V. Im Gegenſatz zu der unbeſtimmten und ſtaatsrechtlich
wenig belangreichen Kontrole über das Tarifweſen, welche Art. 45
dem Reiche zuweiſt, ſind dem Reiche zwei höchſt eingreifende und
inhaltsvolle Befugniſſe in den Art. 46 und 47 der R.-V. zuge-
ſprochen.

1) Nach Art. 46 ſind die Eiſenbahnverwaltungen mit Ausſchluß
Bayerns verpflichtet, bei eintretenden Nothſtänden, insbeſondere
bei ungewöhnlicher Theuerung der Lebensmittel, für den Trans-
port, namentlich von Getreide, Mehl, Hülſenfrüchten und Kartoffeln,
zeitweiſe einen dem Bedürfniß entſprechenden niedrigen Spezialtarif
einzuführen.

Dieſer Spezialtarif wird von dem Kaiſer auf Vorſchlag des
betreffenden Bundesraths-Ausſchuſſes (für Eiſenbahnen, Poſt und
Telegraphen) feſtgeſtellt, darf jedoch nicht unter den niedrigſten auf
der betreffenden Bahn für Rohprodukte geltenden Satz herabgehen.

2) Den Anforderungen der Behörden des Reiches in Betreff
der Benutzung der Eiſenbahnen zum Zweck der Vertheidigung Deutſch-
lands haben ſämmtliche Eiſenbahnverwaltungen unweigerlich Folge
zu leiſten. Insbeſondere iſt das Militair und alles Kriegsmaterial
zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern. Art. 47.

Dieſe Verfaſſungsbeſtimmung gilt auch für Bayern. Ihre
Geltung iſt nicht auf den Fall des Krieges oder der Kriegsvorbe-
reitungen beſchränkt, ſondern ſie findet auch im Frieden Anwendung,
da ſie nur eine Benutzung der Eiſenbahnen zum Zweck der Ver-
theidigung Deutſchlands vorausſetzt, dieſem Zwecke aber das Kriegs-
heer und die Marine auch im Frieden dienen 1). Durch dieſe Vor-
ſchrift ſind ſämmtliche Eiſenbahnen Deutſchlands zur vollen und un-
eingeſchränkten Dispoſition für Militairzwecke geſtellt und zwar

1) Vgl. auch Seydel, Kommentar S. 194.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0392" n="378"/><fw place="top" type="header">§. 72. Die Verwaltung des Ei&#x017F;enbahnwe&#x017F;ens.</fw><lb/>
Wei&#x017F;e gehandhabt und im Einzelnen ausgeführt werde, &#x017F;o daß es<lb/>
doch wieder zu neuer Zer&#x017F;plitterung und Verwirrung führen kann,<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;ie läßt auch das Bedürfniß nach einem Organ, von welchem<lb/>
die einheitliche und planmäßige Weiterbildung und Fortentwicklung<lb/>
des Tarifwe&#x017F;ens geleitet werde, unbefriedigt. Eine durchgreifende<lb/>
Abhülfe kann auch hier nur ein Reichsge&#x017F;etz gewähren, welches dem<lb/>
Reich fe&#x017F;tumgränzte aber wirk&#x017F;ame Befugni&#x017F;&#x017F;e hin&#x017F;ichtlich der Tarif-<lb/>
fe&#x017F;t&#x017F;etzungen überträgt.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#aq">V.</hi> Im Gegen&#x017F;atz zu der unbe&#x017F;timmten und <hi rendition="#g">&#x017F;taatsrechtlich</hi><lb/>
wenig <choice><sic>belangreicheu</sic><corr>belangreichen</corr></choice> Kontrole über das Tarifwe&#x017F;en, welche Art. 45<lb/>
dem Reiche zuwei&#x017F;t, &#x017F;ind dem Reiche zwei höch&#x017F;t eingreifende und<lb/>
inhaltsvolle Befugni&#x017F;&#x017F;e in den Art. 46 und 47 der R.-V. zuge-<lb/>
&#x017F;prochen.</p><lb/>
            <p>1) Nach Art. 46 &#x017F;ind die Ei&#x017F;enbahnverwaltungen mit Aus&#x017F;chluß<lb/>
Bayerns <hi rendition="#g">verpflichtet</hi>, bei eintretenden Noth&#x017F;tänden, insbe&#x017F;ondere<lb/>
bei ungewöhnlicher Theuerung der Lebensmittel, für den Trans-<lb/>
port, namentlich von Getreide, Mehl, Hül&#x017F;enfrüchten und Kartoffeln,<lb/>
zeitwei&#x017F;e einen dem Bedürfniß ent&#x017F;prechenden niedrigen Spezialtarif<lb/>
einzuführen.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Spezialtarif wird von dem <hi rendition="#g">Kai&#x017F;er</hi> auf Vor&#x017F;chlag des<lb/>
betreffenden Bundesraths-Aus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es (für Ei&#x017F;enbahnen, Po&#x017F;t und<lb/>
Telegraphen) fe&#x017F;tge&#x017F;tellt, darf jedoch nicht unter den niedrig&#x017F;ten auf<lb/>
der betreffenden Bahn für Rohprodukte geltenden Satz herabgehen.</p><lb/>
            <p>2) Den Anforderungen der Behörden des Reiches in Betreff<lb/>
der Benutzung der Ei&#x017F;enbahnen zum Zweck der Vertheidigung Deut&#x017F;ch-<lb/>
lands haben &#x017F;ämmtliche Ei&#x017F;enbahnverwaltungen unweigerlich Folge<lb/>
zu lei&#x017F;ten. Insbe&#x017F;ondere i&#x017F;t das Militair und alles Kriegsmaterial<lb/>
zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern. Art. 47.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Verfa&#x017F;&#x017F;ungsbe&#x017F;timmung gilt auch für <hi rendition="#g">Bayern</hi>. Ihre<lb/>
Geltung i&#x017F;t nicht auf den Fall des Krieges oder der Kriegsvorbe-<lb/>
reitungen be&#x017F;chränkt, &#x017F;ondern &#x017F;ie findet auch im Frieden Anwendung,<lb/>
da &#x017F;ie nur eine Benutzung der Ei&#x017F;enbahnen <hi rendition="#g">zum Zweck</hi> der Ver-<lb/>
theidigung Deut&#x017F;chlands voraus&#x017F;etzt, die&#x017F;em Zwecke aber das Kriegs-<lb/>
heer und die Marine auch im Frieden dienen <note place="foot" n="1)">Vgl. auch <hi rendition="#g">Seydel</hi>, Kommentar S. 194.</note>. Durch die&#x017F;e Vor-<lb/>
&#x017F;chrift &#x017F;ind &#x017F;ämmtliche Ei&#x017F;enbahnen Deut&#x017F;chlands zur vollen und un-<lb/>
einge&#x017F;chränkten Dispo&#x017F;ition für Militairzwecke ge&#x017F;tellt und zwar<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[378/0392] §. 72. Die Verwaltung des Eiſenbahnweſens. Weiſe gehandhabt und im Einzelnen ausgeführt werde, ſo daß es doch wieder zu neuer Zerſplitterung und Verwirrung führen kann, ſondern ſie läßt auch das Bedürfniß nach einem Organ, von welchem die einheitliche und planmäßige Weiterbildung und Fortentwicklung des Tarifweſens geleitet werde, unbefriedigt. Eine durchgreifende Abhülfe kann auch hier nur ein Reichsgeſetz gewähren, welches dem Reich feſtumgränzte aber wirkſame Befugniſſe hinſichtlich der Tarif- feſtſetzungen überträgt. V. Im Gegenſatz zu der unbeſtimmten und ſtaatsrechtlich wenig belangreichen Kontrole über das Tarifweſen, welche Art. 45 dem Reiche zuweiſt, ſind dem Reiche zwei höchſt eingreifende und inhaltsvolle Befugniſſe in den Art. 46 und 47 der R.-V. zuge- ſprochen. 1) Nach Art. 46 ſind die Eiſenbahnverwaltungen mit Ausſchluß Bayerns verpflichtet, bei eintretenden Nothſtänden, insbeſondere bei ungewöhnlicher Theuerung der Lebensmittel, für den Trans- port, namentlich von Getreide, Mehl, Hülſenfrüchten und Kartoffeln, zeitweiſe einen dem Bedürfniß entſprechenden niedrigen Spezialtarif einzuführen. Dieſer Spezialtarif wird von dem Kaiſer auf Vorſchlag des betreffenden Bundesraths-Ausſchuſſes (für Eiſenbahnen, Poſt und Telegraphen) feſtgeſtellt, darf jedoch nicht unter den niedrigſten auf der betreffenden Bahn für Rohprodukte geltenden Satz herabgehen. 2) Den Anforderungen der Behörden des Reiches in Betreff der Benutzung der Eiſenbahnen zum Zweck der Vertheidigung Deutſch- lands haben ſämmtliche Eiſenbahnverwaltungen unweigerlich Folge zu leiſten. Insbeſondere iſt das Militair und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern. Art. 47. Dieſe Verfaſſungsbeſtimmung gilt auch für Bayern. Ihre Geltung iſt nicht auf den Fall des Krieges oder der Kriegsvorbe- reitungen beſchränkt, ſondern ſie findet auch im Frieden Anwendung, da ſie nur eine Benutzung der Eiſenbahnen zum Zweck der Ver- theidigung Deutſchlands vorausſetzt, dieſem Zwecke aber das Kriegs- heer und die Marine auch im Frieden dienen 1). Durch dieſe Vor- ſchrift ſind ſämmtliche Eiſenbahnen Deutſchlands zur vollen und un- eingeſchränkten Dispoſition für Militairzwecke geſtellt und zwar 1) Vgl. auch Seydel, Kommentar S. 194.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/392
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/392>, abgerufen am 27.11.2024.