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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 72. Die Verwaltung des Eisenbahnwesens.
der Festsetzung oder Abänderung der Tarife aufzuopfern und den
Privat-Eisenbahn-Unternehmern eine größere Freiheit als bisher
zu gestatten, und noch viel weniger, für die Staats-Eisenbahnen
nach Belieben Tarife einzuführen oder abzuändern. Durch die bloße
Kontrole über das Tarifwesen wird weder dem Reiche irgend ein
Zwangsmittel beigelegt, um die Einzelstaaten zu Abänderungen be-
stehender Tarife und zur Einführung eines einheitlichen Tarifsystems
zu nöthigen, noch ein Veto oder Zustimmungsrecht des Reiches zur
Veränderung bestehender Tarife begründet. Man trug offenbar
und mit Recht bei Abfassung des Art. 45 Bedenken, dem Reiche,
welches bei den finanziellen Erträgnissen der Eisenbahnen gänzlich
unbetheiligt war und zur Zeit nur hinsichtlich der Reichseisenbahnen
in Elsaß-Lothringen betheiligt ist, die Befugniß zur Festsetzung der
Tarife einzuräumen, d. h. ihm eine Verfügung über die Einnahmen
der Staatskassen und Eisenbahn-Aktienvereine zu gewähren. Es
frägt sich daher, welchen Zweck die Kontrole des Reiches über das
Tarifwesen hat. Abgesehen nun von der Garantie gegen Willkühr-
lichkeiten und Ungesetzlichkeiten der Eisenbahn-Verwaltungen, welche
durch die Kontrole des Reiches gegeben ist, sollte dieselbe eine
Handhabe sein, mittelst deren das Reich auf die Fortentwickelung
und Umgestaltung des Tarifwesens einwirken könne; sie sollte dem
Reich einen Einfluß auf die sogenannte Tarifpolitik sichern 1). Dies

1) Bei den Verhandlungen des verfassungsberath. Reichstages von 1867
gab Minister Delbrück über den Sinn dieses Artikels folgende Erklärung
ab: "In dem Entwurfe ist eine Controlle der Tarife durch den Bund in Aus-
sicht genommen und der Gedanke dabei ist der, daß der Ausschuß des Bundes-
rathes, welcher nach Art. 8 des Entw. für das Eisenbahnwesen zu bilden ist,
durch die vorliegende Bestimmung die Befugniß erhält, von den Ta-
rifen Kenntniß zu nehmen
(!) und mit der Tendenz, welche in dem
weiteren Verlaufe des Art. 42 [45] ausgedrückt ist, wenn es ihm geeignet
scheint, die betheiligten Regierungen zu einer Einwirkung, soweit sie ihnen
gesetzlich zusteht, auf ihre Eisenbahnen im Sinne des Artikels 42 [45] zu ver-
anlassen". Der Abgeordn. Michaelis, von welchem die zum Gesetz erhobene
Fassung herrührt, fügte hinzu, daß er in der Controle der Tarife "durchaus
nicht eine Thätigkeit sehen könne, welche auf einen Zwang gegenüber den ein-
zelnen Eisenbahnen, ihren Tarif herabzusetzen, hinauslaufen könnte". ....
"Daß der Ausdruck Controlle die Bedeutung habe, daß er Zwangsmaßregeln
gegen die Eisenbahnen involvire, das kann ich meinerseits nicht annehmen."
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§. 72. Die Verwaltung des Eiſenbahnweſens.
der Feſtſetzung oder Abänderung der Tarife aufzuopfern und den
Privat-Eiſenbahn-Unternehmern eine größere Freiheit als bisher
zu geſtatten, und noch viel weniger, für die Staats-Eiſenbahnen
nach Belieben Tarife einzuführen oder abzuändern. Durch die bloße
Kontrole über das Tarifweſen wird weder dem Reiche irgend ein
Zwangsmittel beigelegt, um die Einzelſtaaten zu Abänderungen be-
ſtehender Tarife und zur Einführung eines einheitlichen Tarifſyſtems
zu nöthigen, noch ein Veto oder Zuſtimmungsrecht des Reiches zur
Veränderung beſtehender Tarife begründet. Man trug offenbar
und mit Recht bei Abfaſſung des Art. 45 Bedenken, dem Reiche,
welches bei den finanziellen Erträgniſſen der Eiſenbahnen gänzlich
unbetheiligt war und zur Zeit nur hinſichtlich der Reichseiſenbahnen
in Elſaß-Lothringen betheiligt iſt, die Befugniß zur Feſtſetzung der
Tarife einzuräumen, d. h. ihm eine Verfügung über die Einnahmen
der Staatskaſſen und Eiſenbahn-Aktienvereine zu gewähren. Es
frägt ſich daher, welchen Zweck die Kontrole des Reiches über das
Tarifweſen hat. Abgeſehen nun von der Garantie gegen Willkühr-
lichkeiten und Ungeſetzlichkeiten der Eiſenbahn-Verwaltungen, welche
durch die Kontrole des Reiches gegeben iſt, ſollte dieſelbe eine
Handhabe ſein, mittelſt deren das Reich auf die Fortentwickelung
und Umgeſtaltung des Tarifweſens einwirken könne; ſie ſollte dem
Reich einen Einfluß auf die ſogenannte Tarifpolitik ſichern 1). Dies

1) Bei den Verhandlungen des verfaſſungsberath. Reichstages von 1867
gab Miniſter Delbrück über den Sinn dieſes Artikels folgende Erklärung
ab: „In dem Entwurfe iſt eine Controlle der Tarife durch den Bund in Aus-
ſicht genommen und der Gedanke dabei iſt der, daß der Ausſchuß des Bundes-
rathes, welcher nach Art. 8 des Entw. für das Eiſenbahnweſen zu bilden iſt,
durch die vorliegende Beſtimmung die Befugniß erhält, von den Ta-
rifen Kenntniß zu nehmen
(!) und mit der Tendenz, welche in dem
weiteren Verlaufe des Art. 42 [45] ausgedrückt iſt, wenn es ihm geeignet
ſcheint, die betheiligten Regierungen zu einer Einwirkung, ſoweit ſie ihnen
geſetzlich zuſteht, auf ihre Eiſenbahnen im Sinne des Artikels 42 [45] zu ver-
anlaſſen“. Der Abgeordn. Michaelis, von welchem die zum Geſetz erhobene
Faſſung herrührt, fügte hinzu, daß er in der Controle der Tarife „durchaus
nicht eine Thätigkeit ſehen könne, welche auf einen Zwang gegenüber den ein-
zelnen Eiſenbahnen, ihren Tarif herabzuſetzen, hinauslaufen könnte“. ....
„Daß der Ausdruck Controlle die Bedeutung habe, daß er Zwangsmaßregeln
gegen die Eiſenbahnen involvire, das kann ich meinerſeits nicht annehmen.“
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[371/0385] §. 72. Die Verwaltung des Eiſenbahnweſens. der Feſtſetzung oder Abänderung der Tarife aufzuopfern und den Privat-Eiſenbahn-Unternehmern eine größere Freiheit als bisher zu geſtatten, und noch viel weniger, für die Staats-Eiſenbahnen nach Belieben Tarife einzuführen oder abzuändern. Durch die bloße Kontrole über das Tarifweſen wird weder dem Reiche irgend ein Zwangsmittel beigelegt, um die Einzelſtaaten zu Abänderungen be- ſtehender Tarife und zur Einführung eines einheitlichen Tarifſyſtems zu nöthigen, noch ein Veto oder Zuſtimmungsrecht des Reiches zur Veränderung beſtehender Tarife begründet. Man trug offenbar und mit Recht bei Abfaſſung des Art. 45 Bedenken, dem Reiche, welches bei den finanziellen Erträgniſſen der Eiſenbahnen gänzlich unbetheiligt war und zur Zeit nur hinſichtlich der Reichseiſenbahnen in Elſaß-Lothringen betheiligt iſt, die Befugniß zur Feſtſetzung der Tarife einzuräumen, d. h. ihm eine Verfügung über die Einnahmen der Staatskaſſen und Eiſenbahn-Aktienvereine zu gewähren. Es frägt ſich daher, welchen Zweck die Kontrole des Reiches über das Tarifweſen hat. Abgeſehen nun von der Garantie gegen Willkühr- lichkeiten und Ungeſetzlichkeiten der Eiſenbahn-Verwaltungen, welche durch die Kontrole des Reiches gegeben iſt, ſollte dieſelbe eine Handhabe ſein, mittelſt deren das Reich auf die Fortentwickelung und Umgeſtaltung des Tarifweſens einwirken könne; ſie ſollte dem Reich einen Einfluß auf die ſogenannte Tarifpolitik ſichern 1). Dies 1) Bei den Verhandlungen des verfaſſungsberath. Reichstages von 1867 gab Miniſter Delbrück über den Sinn dieſes Artikels folgende Erklärung ab: „In dem Entwurfe iſt eine Controlle der Tarife durch den Bund in Aus- ſicht genommen und der Gedanke dabei iſt der, daß der Ausſchuß des Bundes- rathes, welcher nach Art. 8 des Entw. für das Eiſenbahnweſen zu bilden iſt, durch die vorliegende Beſtimmung die Befugniß erhält, von den Ta- rifen Kenntniß zu nehmen (!) und mit der Tendenz, welche in dem weiteren Verlaufe des Art. 42 [45] ausgedrückt iſt, wenn es ihm geeignet ſcheint, die betheiligten Regierungen zu einer Einwirkung, ſoweit ſie ihnen geſetzlich zuſteht, auf ihre Eiſenbahnen im Sinne des Artikels 42 [45] zu ver- anlaſſen“. Der Abgeordn. Michaelis, von welchem die zum Geſetz erhobene Faſſung herrührt, fügte hinzu, daß er in der Controle der Tarife „durchaus nicht eine Thätigkeit ſehen könne, welche auf einen Zwang gegenüber den ein- zelnen Eiſenbahnen, ihren Tarif herabzuſetzen, hinauslaufen könnte“. .... „Daß der Ausdruck Controlle die Bedeutung habe, daß er Zwangsmaßregeln gegen die Eiſenbahnen involvire, das kann ich meinerſeits nicht annehmen.“ 24*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/385>, abgerufen am 24.05.2024.