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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 72. Die Verwaltung des Eisenbahnwesens.
wesen klar und bestimmt sind und überdies durch den im Art. 40
aufrecht erhaltenen Zollvereins-Vertrag eine bis auf die Einzel-
heiten sich erstreckende Ergänzung erhalten, zeichnen sich die Vor-
schriften der R.-V. über das Eisenbahnwesen hinsichtlich aller Kom-
petenzverhältnisse durch eine vage Unbestimmtheit aus, die fast
absichtlich darauf berechnet zu sein scheint, der weiteren Entwicklung
des öffentlichen Rechts in Angelegenheiten der Eisenbahnen einen
möglichst freien Spielraum zu gewähren. Aus der im Art. 42
der R.-V. anerkannten Verpflichtung der Bundesregierungen, "die
Deutschen Eisenbahnen wie ein einheitliches Netz zu verwalten",
kann man einerseits jeden Eingriff des Reiches in die selbstständige
Verwaltung der Einzelstaaten herleiten und für das Reich eine
nicht viel geringere Kompetenz in Anspruch nehmen, wie sie hin-
sichtlich der Post und Telegraphie anerkannt ist, die nach Art. 48
auch "als einheitliche Staats-Verkehrsanstalten eingerichtet und
verwaltet werden". Andererseits kann man aus den Vorschriften
der Reichsverfassung darthun, daß dem Reich keinerlei Verwal-
tungsbefugnisse hinsichtlich der Eisenbahnen zugewiesen sind, daß
das Reich an dem finanziellen Erträgniß der Eisenbahn-Unterneh-
mungen (abgesehen vom Reichslande) unbetheiligt ist und daher
jeder Eingriff in die Selbstbestimmung der Eisenbahn-Verwaltungen
eine Verfügung über fremde Kassen wäre, und daß die Aufsicht,
welche nach Art. 4 dem Reiche zusteht, nicht die Befugniß in sich
schließt, nach Belieben und Willkühr Anordnungen zu treffen, son-
dern nur die Befolgung der in Geltung stehenden Vorschriften zu
controliren, so daß ihr bis zum Erlaß eines Reichseisenbahnge-
setzes jede rechtliche Grundlage fehlt.

Insbesondere läßt Art. 42 es auch ganz unbestimmt, in welcher
Form und durch welches Organ, resp. mit welchen Mitteln das
Reich befugt ist, die einzelne Bundesregierung zu zwingen, die
Verpflichtung, welche sie nach Art. 42 übernommen hat, zu erfüllen.

Eine nähere Bestimmung hat der Art. 42 jedoch erhalten
durch Art. 43 und Art. 46 Abs. 3, welche folgende 3 Rechtssätze
aufstellen:

1) "Es sollen demgemäß in thunlichster Beschleunigung über-
einstimmende Betriebseinrichtungen getroffen, insbesondere gleiche
Bahnpolizei-Reglements eingeführt werden". Dieser Satz schließt
sich unmittelbar an Art. 42 an und durch das Wort "demgemäß"

§. 72. Die Verwaltung des Eiſenbahnweſens.
weſen klar und beſtimmt ſind und überdies durch den im Art. 40
aufrecht erhaltenen Zollvereins-Vertrag eine bis auf die Einzel-
heiten ſich erſtreckende Ergänzung erhalten, zeichnen ſich die Vor-
ſchriften der R.-V. über das Eiſenbahnweſen hinſichtlich aller Kom-
petenzverhältniſſe durch eine vage Unbeſtimmtheit aus, die faſt
abſichtlich darauf berechnet zu ſein ſcheint, der weiteren Entwicklung
des öffentlichen Rechts in Angelegenheiten der Eiſenbahnen einen
möglichſt freien Spielraum zu gewähren. Aus der im Art. 42
der R.-V. anerkannten Verpflichtung der Bundesregierungen, „die
Deutſchen Eiſenbahnen wie ein einheitliches Netz zu verwalten“,
kann man einerſeits jeden Eingriff des Reiches in die ſelbſtſtändige
Verwaltung der Einzelſtaaten herleiten und für das Reich eine
nicht viel geringere Kompetenz in Anſpruch nehmen, wie ſie hin-
ſichtlich der Poſt und Telegraphie anerkannt iſt, die nach Art. 48
auch „als einheitliche Staats-Verkehrsanſtalten eingerichtet und
verwaltet werden“. Andererſeits kann man aus den Vorſchriften
der Reichsverfaſſung darthun, daß dem Reich keinerlei Verwal-
tungsbefugniſſe hinſichtlich der Eiſenbahnen zugewieſen ſind, daß
das Reich an dem finanziellen Erträgniß der Eiſenbahn-Unterneh-
mungen (abgeſehen vom Reichslande) unbetheiligt iſt und daher
jeder Eingriff in die Selbſtbeſtimmung der Eiſenbahn-Verwaltungen
eine Verfügung über fremde Kaſſen wäre, und daß die Aufſicht,
welche nach Art. 4 dem Reiche zuſteht, nicht die Befugniß in ſich
ſchließt, nach Belieben und Willkühr Anordnungen zu treffen, ſon-
dern nur die Befolgung der in Geltung ſtehenden Vorſchriften zu
controliren, ſo daß ihr bis zum Erlaß eines Reichseiſenbahnge-
ſetzes jede rechtliche Grundlage fehlt.

Insbeſondere läßt Art. 42 es auch ganz unbeſtimmt, in welcher
Form und durch welches Organ, reſp. mit welchen Mitteln das
Reich befugt iſt, die einzelne Bundesregierung zu zwingen, die
Verpflichtung, welche ſie nach Art. 42 übernommen hat, zu erfüllen.

Eine nähere Beſtimmung hat der Art. 42 jedoch erhalten
durch Art. 43 und Art. 46 Abſ. 3, welche folgende 3 Rechtsſätze
aufſtellen:

1) „Es ſollen demgemäß in thunlichſter Beſchleunigung über-
einſtimmende Betriebseinrichtungen getroffen, insbeſondere gleiche
Bahnpolizei-Reglements eingeführt werden“. Dieſer Satz ſchließt
ſich unmittelbar an Art. 42 an und durch das Wort „demgemäß“

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[364/0378] §. 72. Die Verwaltung des Eiſenbahnweſens. weſen klar und beſtimmt ſind und überdies durch den im Art. 40 aufrecht erhaltenen Zollvereins-Vertrag eine bis auf die Einzel- heiten ſich erſtreckende Ergänzung erhalten, zeichnen ſich die Vor- ſchriften der R.-V. über das Eiſenbahnweſen hinſichtlich aller Kom- petenzverhältniſſe durch eine vage Unbeſtimmtheit aus, die faſt abſichtlich darauf berechnet zu ſein ſcheint, der weiteren Entwicklung des öffentlichen Rechts in Angelegenheiten der Eiſenbahnen einen möglichſt freien Spielraum zu gewähren. Aus der im Art. 42 der R.-V. anerkannten Verpflichtung der Bundesregierungen, „die Deutſchen Eiſenbahnen wie ein einheitliches Netz zu verwalten“, kann man einerſeits jeden Eingriff des Reiches in die ſelbſtſtändige Verwaltung der Einzelſtaaten herleiten und für das Reich eine nicht viel geringere Kompetenz in Anſpruch nehmen, wie ſie hin- ſichtlich der Poſt und Telegraphie anerkannt iſt, die nach Art. 48 auch „als einheitliche Staats-Verkehrsanſtalten eingerichtet und verwaltet werden“. Andererſeits kann man aus den Vorſchriften der Reichsverfaſſung darthun, daß dem Reich keinerlei Verwal- tungsbefugniſſe hinſichtlich der Eiſenbahnen zugewieſen ſind, daß das Reich an dem finanziellen Erträgniß der Eiſenbahn-Unterneh- mungen (abgeſehen vom Reichslande) unbetheiligt iſt und daher jeder Eingriff in die Selbſtbeſtimmung der Eiſenbahn-Verwaltungen eine Verfügung über fremde Kaſſen wäre, und daß die Aufſicht, welche nach Art. 4 dem Reiche zuſteht, nicht die Befugniß in ſich ſchließt, nach Belieben und Willkühr Anordnungen zu treffen, ſon- dern nur die Befolgung der in Geltung ſtehenden Vorſchriften zu controliren, ſo daß ihr bis zum Erlaß eines Reichseiſenbahnge- ſetzes jede rechtliche Grundlage fehlt. Insbeſondere läßt Art. 42 es auch ganz unbeſtimmt, in welcher Form und durch welches Organ, reſp. mit welchen Mitteln das Reich befugt iſt, die einzelne Bundesregierung zu zwingen, die Verpflichtung, welche ſie nach Art. 42 übernommen hat, zu erfüllen. Eine nähere Beſtimmung hat der Art. 42 jedoch erhalten durch Art. 43 und Art. 46 Abſ. 3, welche folgende 3 Rechtsſätze aufſtellen: 1) „Es ſollen demgemäß in thunlichſter Beſchleunigung über- einſtimmende Betriebseinrichtungen getroffen, insbeſondere gleiche Bahnpolizei-Reglements eingeführt werden“. Dieſer Satz ſchließt ſich unmittelbar an Art. 42 an und durch das Wort „demgemäß“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/378>, abgerufen am 26.11.2024.