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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 72. Die Verwaltung des Eisenbahnwesens.

2. "Jede bestehende Eisenbahn-Verwaltung ist verpflichtet, sich
den Anschluß neu angelegter Eisenbahnen auf Kosten der letzteren
gefallen zu lassen." Art. 41 Abs. 2. Diese Vorschrift gilt auch
von den Staatsverwaltungen und sie enthält ebenfalls eine Be-
schränkung der Landeshoheit der Einzelstaaten, nicht blos eine Ver-
pflichtung der Eisenbahn-Unternehmer. Denn wenn die neu ange-
legte Eisenbahn auf dem Gebiete eines Nachbarstaates liegt und
von dem letzteren konzessionirt worden ist, so darf der Staat, wel-
chem die Anschlußstation zugehört, die Konzession zur Herstellung
und zum Betriebe der Anschlußstrecke, soweit dieselbe in seinem
eigenen Gebiete liegt, nicht versagen oder an erschwerende Be-
dingungen knüpfen.

Eine Verpflichtung bereits bestehender Bahnen, die Mitbe-
nutzung einzelner Strecken, Bahnhöfe u. s. w. Seitens der neu
anzulegenden Anschlußbahnen zu gestatten, ist durch den Art. 41
Abs. 2 nicht begründet.

3. Kein Einzelstaat ist befugt, einem Eisenbahn-Unternehmer
ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- oder Kon-
kurrenzbahnen zu verleihen. Alle gesetzlichen Bestimmungen
der Einzelstaaten, welche bestehenden Eisenbahn-Unternehmungen
ein solches Recht einräumen, sind durch die Verfassung aufgehoben.
Soweit jedoch ein solches Widerspruchsrecht die Eigenschaft eines
erworbenen Rechtes hat, d. h. auf speziellem Rechtstitel (Pri-
vileg, Vertrag) beruht, bleibt es in Kraft. Art. 41 Abs. 3.

Diese drei im Art. 41 enthaltenen Rechtssätze haben auch für
Bayern Geltung.

II. Neben der Tendenz, die Anlage neuer Bahnstrecken im

stehung ein auf Grund des Art. 41 erlassenes Reichsgesetz voraus, welches den
Unternehmer mit demselben ausstattet; andererseits kann der Natur der Sache
nach das Gesetz, welches die Anlage der Bahn gestattet, die erforderlichen Geld-
mittel bewilligt u. s. w., in der Regel doch erst auf Grund spezieller Vorar-
beiten formulirt werden. -- Was das eigentliche Expropriationsrecht anlangt,
so versteht es sich von selbst, daß, wofern das Reichsgesetz die Normen, nach
denen dasselbe ausgeübt werden soll, für die spezielle Eisenbahn-Anlage nicht
besonders aufstellt, die Gesetze des Bundesstaates, in dessen Gebiet die Eisen-
bahn hergestellt wird, Anwendung finden. Die Behauptung Seydel's (Kom-
mentar S. 189) aber, daß das Reich zur Erlassung eines Zwangsenteigungs-
Gesetzes überhaupt nicht kompetent sei, ist im Hinblick auf Art. 4 der R.-V.
gänzlich unhaltbar.
§. 72. Die Verwaltung des Eiſenbahnweſens.

2. „Jede beſtehende Eiſenbahn-Verwaltung iſt verpflichtet, ſich
den Anſchluß neu angelegter Eiſenbahnen auf Koſten der letzteren
gefallen zu laſſen.“ Art. 41 Abſ. 2. Dieſe Vorſchrift gilt auch
von den Staatsverwaltungen und ſie enthält ebenfalls eine Be-
ſchränkung der Landeshoheit der Einzelſtaaten, nicht blos eine Ver-
pflichtung der Eiſenbahn-Unternehmer. Denn wenn die neu ange-
legte Eiſenbahn auf dem Gebiete eines Nachbarſtaates liegt und
von dem letzteren konzeſſionirt worden iſt, ſo darf der Staat, wel-
chem die Anſchlußſtation zugehört, die Konzeſſion zur Herſtellung
und zum Betriebe der Anſchlußſtrecke, ſoweit dieſelbe in ſeinem
eigenen Gebiete liegt, nicht verſagen oder an erſchwerende Be-
dingungen knüpfen.

Eine Verpflichtung bereits beſtehender Bahnen, die Mitbe-
nutzung einzelner Strecken, Bahnhöfe u. ſ. w. Seitens der neu
anzulegenden Anſchlußbahnen zu geſtatten, iſt durch den Art. 41
Abſ. 2 nicht begründet.

3. Kein Einzelſtaat iſt befugt, einem Eiſenbahn-Unternehmer
ein Widerſpruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- oder Kon-
kurrenzbahnen zu verleihen. Alle geſetzlichen Beſtimmungen
der Einzelſtaaten, welche beſtehenden Eiſenbahn-Unternehmungen
ein ſolches Recht einräumen, ſind durch die Verfaſſung aufgehoben.
Soweit jedoch ein ſolches Widerſpruchsrecht die Eigenſchaft eines
erworbenen Rechtes hat, d. h. auf ſpeziellem Rechtstitel (Pri-
vileg, Vertrag) beruht, bleibt es in Kraft. Art. 41 Abſ. 3.

Dieſe drei im Art. 41 enthaltenen Rechtsſätze haben auch für
Bayern Geltung.

II. Neben der Tendenz, die Anlage neuer Bahnſtrecken im

ſtehung ein auf Grund des Art. 41 erlaſſenes Reichsgeſetz voraus, welches den
Unternehmer mit demſelben ausſtattet; andererſeits kann der Natur der Sache
nach das Geſetz, welches die Anlage der Bahn geſtattet, die erforderlichen Geld-
mittel bewilligt u. ſ. w., in der Regel doch erſt auf Grund ſpezieller Vorar-
beiten formulirt werden. — Was das eigentliche Expropriationsrecht anlangt,
ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß, wofern das Reichsgeſetz die Normen, nach
denen daſſelbe ausgeübt werden ſoll, für die ſpezielle Eiſenbahn-Anlage nicht
beſonders aufſtellt, die Geſetze des Bundesſtaates, in deſſen Gebiet die Eiſen-
bahn hergeſtellt wird, Anwendung finden. Die Behauptung Seydel’s (Kom-
mentar S. 189) aber, daß das Reich zur Erlaſſung eines Zwangsenteigungs-
Geſetzes überhaupt nicht kompetent ſei, iſt im Hinblick auf Art. 4 der R.-V.
gänzlich unhaltbar.
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[362/0376] §. 72. Die Verwaltung des Eiſenbahnweſens. 2. „Jede beſtehende Eiſenbahn-Verwaltung iſt verpflichtet, ſich den Anſchluß neu angelegter Eiſenbahnen auf Koſten der letzteren gefallen zu laſſen.“ Art. 41 Abſ. 2. Dieſe Vorſchrift gilt auch von den Staatsverwaltungen und ſie enthält ebenfalls eine Be- ſchränkung der Landeshoheit der Einzelſtaaten, nicht blos eine Ver- pflichtung der Eiſenbahn-Unternehmer. Denn wenn die neu ange- legte Eiſenbahn auf dem Gebiete eines Nachbarſtaates liegt und von dem letzteren konzeſſionirt worden iſt, ſo darf der Staat, wel- chem die Anſchlußſtation zugehört, die Konzeſſion zur Herſtellung und zum Betriebe der Anſchlußſtrecke, ſoweit dieſelbe in ſeinem eigenen Gebiete liegt, nicht verſagen oder an erſchwerende Be- dingungen knüpfen. Eine Verpflichtung bereits beſtehender Bahnen, die Mitbe- nutzung einzelner Strecken, Bahnhöfe u. ſ. w. Seitens der neu anzulegenden Anſchlußbahnen zu geſtatten, iſt durch den Art. 41 Abſ. 2 nicht begründet. 3. Kein Einzelſtaat iſt befugt, einem Eiſenbahn-Unternehmer ein Widerſpruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- oder Kon- kurrenzbahnen zu verleihen. Alle geſetzlichen Beſtimmungen der Einzelſtaaten, welche beſtehenden Eiſenbahn-Unternehmungen ein ſolches Recht einräumen, ſind durch die Verfaſſung aufgehoben. Soweit jedoch ein ſolches Widerſpruchsrecht die Eigenſchaft eines erworbenen Rechtes hat, d. h. auf ſpeziellem Rechtstitel (Pri- vileg, Vertrag) beruht, bleibt es in Kraft. Art. 41 Abſ. 3. Dieſe drei im Art. 41 enthaltenen Rechtsſätze haben auch für Bayern Geltung. II. Neben der Tendenz, die Anlage neuer Bahnſtrecken im 2) 2) ſtehung ein auf Grund des Art. 41 erlaſſenes Reichsgeſetz voraus, welches den Unternehmer mit demſelben ausſtattet; andererſeits kann der Natur der Sache nach das Geſetz, welches die Anlage der Bahn geſtattet, die erforderlichen Geld- mittel bewilligt u. ſ. w., in der Regel doch erſt auf Grund ſpezieller Vorar- beiten formulirt werden. — Was das eigentliche Expropriationsrecht anlangt, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß, wofern das Reichsgeſetz die Normen, nach denen daſſelbe ausgeübt werden ſoll, für die ſpezielle Eiſenbahn-Anlage nicht beſonders aufſtellt, die Geſetze des Bundesſtaates, in deſſen Gebiet die Eiſen- bahn hergeſtellt wird, Anwendung finden. Die Behauptung Seydel’s (Kom- mentar S. 189) aber, daß das Reich zur Erlaſſung eines Zwangsenteigungs- Geſetzes überhaupt nicht kompetent ſei, iſt im Hinblick auf Art. 4 der R.-V. gänzlich unhaltbar.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/376>, abgerufen am 26.11.2024.