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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 71. Die Verwaltung der Post und Telegraphie.

Bei der großen Bedeutung dieser Anordnungen für den Ver-
kehr, die Volkswohlfahrt und die Staatsfinanzen ist es aber er-
klärlich, daß man die wichtigsten Bestimmungen unter Zustimmung
der Volksvertretung d. h. in der Form und mit der Kraft des
Gesetzes zu erlassen pflegt. Soweit dies der Fall ist, hat dies
eine dreifache Wirkung. Erstens bildet das ius cogens keine
Schranke, es kann durch ein Spezialgesetz für die Geschäfte der
Post beseitigt werden. Zweitens ist die Freiheit der Verwaltung
in der Normirung der Bedingungen ausgeschlossen, soweit die im
Wege des Gesetzes erlassenen Vorschriften reichen. Drittens haben
diese Vorschriften die Natur von Rechtsnormen, sie bilden ein Spe-
zialrecht für die Geschäfte der Post. Diejenigen Bedingungen da-
gegen, deren Feststellung der Verwaltung überlassen ist, dürfen
nicht gegen das ius cogens vorstoßen, sie können im Wege der
Verordnung abgeändert werden und sie haben den Charakter von
Vertragsnormen 1). Das Reichspostgesetz §. 50 Abs. 2 hat
dies anerkannt, indem es bestimmt:
"Diese Vorschriften (nämlich das von dem Reichskanzler zu
erlassende Reglement) gelten als Bestandtheil des Ver-
trages
zwischen der Postanstalt und dem Absender, beziehungs-
weise Reisenden" 2).

Derselbe Satz findet auch auf die Telegraphen-Ordnung An-
wendung, obgleich er in derselben nicht ausdrücklich ausgesprochen
ist. Sie ist, soweit sie die interne Korrespondenz im Gebiete der
Reichstelegraphen-Verwaltung betrifft, in allen Beziehungen dem
Postreglement gleich zu stellen 3).


1) Vrgl. das Erk. des O.-A.-G. zu Dresden in Seuffert's Archiv VI.
58 und namentlich die Ausführungen von Goldschmidt in der Zeitschrift
f. das ges. Handelsr. Bd. IV. S. 585 ff.
2) Nur insofern ist dies nicht ganz richtig, als das im §. 50 cit. vorbe-
haltene Reglement auch auf solche Gegenstände sich erstreckt, die mit dem Post-
Transport-Vertrage Nichts zu thun haben, z. B. Anordnungen zur Aufrechthal-
tung der Ordnung, der Sicherheit und des Anstandes auf den Posten, in den
Postlokalen und Passagierstuben. §. 50 Z. 10.
3) Die Ansicht von Ludewig S. 97, daß die Telegraphen-Ordnung auf
Grund des Art. 48 der R.-V. "Gesetzeskraft" habe, ist demnach nicht zutref-
fend; daraus folgt aber nicht, daß sie überhaupt nicht gelte, weil die Ver-
waltung bestehende Rechtssätze nicht aufheben könne. Rechtssätze kann die
Verwaltung allerdings nicht aufheben, wohl aber, soweit sie nicht ius cogens
§. 71. Die Verwaltung der Poſt und Telegraphie.

Bei der großen Bedeutung dieſer Anordnungen für den Ver-
kehr, die Volkswohlfahrt und die Staatsfinanzen iſt es aber er-
klärlich, daß man die wichtigſten Beſtimmungen unter Zuſtimmung
der Volksvertretung d. h. in der Form und mit der Kraft des
Geſetzes zu erlaſſen pflegt. Soweit dies der Fall iſt, hat dies
eine dreifache Wirkung. Erſtens bildet das ius cogens keine
Schranke, es kann durch ein Spezialgeſetz für die Geſchäfte der
Poſt beſeitigt werden. Zweitens iſt die Freiheit der Verwaltung
in der Normirung der Bedingungen ausgeſchloſſen, ſoweit die im
Wege des Geſetzes erlaſſenen Vorſchriften reichen. Drittens haben
dieſe Vorſchriften die Natur von Rechtsnormen, ſie bilden ein Spe-
zialrecht für die Geſchäfte der Poſt. Diejenigen Bedingungen da-
gegen, deren Feſtſtellung der Verwaltung überlaſſen iſt, dürfen
nicht gegen das ius cogens vorſtoßen, ſie können im Wege der
Verordnung abgeändert werden und ſie haben den Charakter von
Vertragsnormen 1). Das Reichspoſtgeſetz §. 50 Abſ. 2 hat
dies anerkannt, indem es beſtimmt:
„Dieſe Vorſchriften (nämlich das von dem Reichskanzler zu
erlaſſende Reglement) gelten als Beſtandtheil des Ver-
trages
zwiſchen der Poſtanſtalt und dem Abſender, beziehungs-
weiſe Reiſenden“ 2).

Derſelbe Satz findet auch auf die Telegraphen-Ordnung An-
wendung, obgleich er in derſelben nicht ausdrücklich ausgeſprochen
iſt. Sie iſt, ſoweit ſie die interne Korreſpondenz im Gebiete der
Reichstelegraphen-Verwaltung betrifft, in allen Beziehungen dem
Poſtreglement gleich zu ſtellen 3).


1) Vrgl. das Erk. des O.-A.-G. zu Dresden in Seuffert’s Archiv VI.
58 und namentlich die Ausführungen von Goldſchmidt in der Zeitſchrift
f. das geſ. Handelsr. Bd. IV. S. 585 ff.
2) Nur inſofern iſt dies nicht ganz richtig, als das im §. 50 cit. vorbe-
haltene Reglement auch auf ſolche Gegenſtände ſich erſtreckt, die mit dem Poſt-
Transport-Vertrage Nichts zu thun haben, z. B. Anordnungen zur Aufrechthal-
tung der Ordnung, der Sicherheit und des Anſtandes auf den Poſten, in den
Poſtlokalen und Paſſagierſtuben. §. 50 Z. 10.
3) Die Anſicht von Ludewig S. 97, daß die Telegraphen-Ordnung auf
Grund des Art. 48 der R.-V. „Geſetzeskraft“ habe, iſt demnach nicht zutref-
fend; daraus folgt aber nicht, daß ſie überhaupt nicht gelte, weil die Ver-
waltung beſtehende Rechtsſätze nicht aufheben könne. Rechtsſätze kann die
Verwaltung allerdings nicht aufheben, wohl aber, ſoweit ſie nicht ius cogens
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[330/0344] §. 71. Die Verwaltung der Poſt und Telegraphie. Bei der großen Bedeutung dieſer Anordnungen für den Ver- kehr, die Volkswohlfahrt und die Staatsfinanzen iſt es aber er- klärlich, daß man die wichtigſten Beſtimmungen unter Zuſtimmung der Volksvertretung d. h. in der Form und mit der Kraft des Geſetzes zu erlaſſen pflegt. Soweit dies der Fall iſt, hat dies eine dreifache Wirkung. Erſtens bildet das ius cogens keine Schranke, es kann durch ein Spezialgeſetz für die Geſchäfte der Poſt beſeitigt werden. Zweitens iſt die Freiheit der Verwaltung in der Normirung der Bedingungen ausgeſchloſſen, ſoweit die im Wege des Geſetzes erlaſſenen Vorſchriften reichen. Drittens haben dieſe Vorſchriften die Natur von Rechtsnormen, ſie bilden ein Spe- zialrecht für die Geſchäfte der Poſt. Diejenigen Bedingungen da- gegen, deren Feſtſtellung der Verwaltung überlaſſen iſt, dürfen nicht gegen das ius cogens vorſtoßen, ſie können im Wege der Verordnung abgeändert werden und ſie haben den Charakter von Vertragsnormen 1). Das Reichspoſtgeſetz §. 50 Abſ. 2 hat dies anerkannt, indem es beſtimmt: „Dieſe Vorſchriften (nämlich das von dem Reichskanzler zu erlaſſende Reglement) gelten als Beſtandtheil des Ver- trages zwiſchen der Poſtanſtalt und dem Abſender, beziehungs- weiſe Reiſenden“ 2). Derſelbe Satz findet auch auf die Telegraphen-Ordnung An- wendung, obgleich er in derſelben nicht ausdrücklich ausgeſprochen iſt. Sie iſt, ſoweit ſie die interne Korreſpondenz im Gebiete der Reichstelegraphen-Verwaltung betrifft, in allen Beziehungen dem Poſtreglement gleich zu ſtellen 3). 1) Vrgl. das Erk. des O.-A.-G. zu Dresden in Seuffert’s Archiv VI. 58 und namentlich die Ausführungen von Goldſchmidt in der Zeitſchrift f. das geſ. Handelsr. Bd. IV. S. 585 ff. 2) Nur inſofern iſt dies nicht ganz richtig, als das im §. 50 cit. vorbe- haltene Reglement auch auf ſolche Gegenſtände ſich erſtreckt, die mit dem Poſt- Transport-Vertrage Nichts zu thun haben, z. B. Anordnungen zur Aufrechthal- tung der Ordnung, der Sicherheit und des Anſtandes auf den Poſten, in den Poſtlokalen und Paſſagierſtuben. §. 50 Z. 10. 3) Die Anſicht von Ludewig S. 97, daß die Telegraphen-Ordnung auf Grund des Art. 48 der R.-V. „Geſetzeskraft“ habe, iſt demnach nicht zutref- fend; daraus folgt aber nicht, daß ſie überhaupt nicht gelte, weil die Ver- waltung beſtehende Rechtsſätze nicht aufheben könne. Rechtsſätze kann die Verwaltung allerdings nicht aufheben, wohl aber, ſoweit ſie nicht ius cogens

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/344>, abgerufen am 26.06.2024.