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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 70. Die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten.
nicht auf einem Satz der Reichsverfassung, sondern auf der völker-
rechtlichen Anerkennung des Reiches als politischer Körperschaft.
Denn das Gesandtschaftsrecht betrifft das Verhältniß des Reiches
zu anderen Staaten, kann daher nicht durch einen einseitigen Willens-
akt des Reiches, durch ein nur für das Reich selbst wirksames
Gesetz normirt werden. Die Reichsverfassung bestimmt vielmehr
nur, durch welches Organ das Reich das ihm nach völkerrecht-
lichen Grundsätzen zustehende Gesandtschaftsrecht ausübt, indem sie
im Art. 11 dem Kaiser die Befugniß beilegt, "Gesandte zu be-
glaubigen und zu empfangen" und indem sie den Kaiser ermächtigt,
"das Reich völkerrechtlich zu vertreten."

Durch diese Bestimmungen wird die Verwaltung der auswär-
tigen Angelegenheiten des Reiches zur unmittelbaren Reichs-
verwaltung erklärt; das Reich ist nicht darauf beschränkt, den di-
plomatischen Verkehr der Einzelstaaten zu überwachen und gesetzlich
zu regeln, sondern es hat seine eigene diplomatische Vertretung;
die Wahrnehmung der internationalen Beziehungen ist dem Kaiser
und seinem Minister, dem Reichskanzler übertragen.

Aber der Art. 11 der R.-V. überträgt dem Kaiser nicht das
ausschließliche Gesandtschaftsrecht; er enthält kein Verbot für
die Einzelstaaten, mit fremden Staaten einen diplomatischen Ver-
kehr zu erhalten und Gesandte zu entsenden oder zu empfangen.
Hieraus folgt, daß auch die einzelnen Bundesglieder das aktive
und passive Gesandtschaftsrecht ausüben können, wofern fremde
Staaten den diplomatischen Verkehr mit ihnen fortzusetzen geneigt
sind. Das Gesandtschaftsrecht der Einzelstaaten hat überdies eine
ausdrückliche Anerkennung gefunden in dem Schlußprotokoll zu dem
Bayrischen Bündniß-Vertrage v. 23. Nov. 1870 Art. VII. u. VIII.
und diese Bestimmungen haben eine auch die übrigen Bundesglie-
der betreffende Bedeutung, da sie über das Verhältniß des Ge-
sandtschaftsrechtes des Reiches zu dem Gesandtschaftsrecht der Ein-
zelstaaten positive Auskunft geben, während die Reichsverfassung
über das Gesandtschaftsrecht der Einzelstaaten völlig schweigt.


Geffcken. Leipzig 1866) und von Esperson, Diritto diplomatico. Vol. I.
Turin
1872. Speziell mit den Verhältnissen des Deutschen Reiches beschäftigt
sich der Aufsatz von Thudichum in v. Holtzendorff's Jahrbuch IV. S. 323 ff.
und der Aufsatz über die Reichsbehörden in Hartmann's Zeitschr. f. Ge-
setzgeb. u. Praxis auf dem Gebiet des öffentl. Rechts Bd. II. (1876) S. 15 ff.

§. 70. Die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten.
nicht auf einem Satz der Reichsverfaſſung, ſondern auf der völker-
rechtlichen Anerkennung des Reiches als politiſcher Körperſchaft.
Denn das Geſandtſchaftsrecht betrifft das Verhältniß des Reiches
zu anderen Staaten, kann daher nicht durch einen einſeitigen Willens-
akt des Reiches, durch ein nur für das Reich ſelbſt wirkſames
Geſetz normirt werden. Die Reichsverfaſſung beſtimmt vielmehr
nur, durch welches Organ das Reich das ihm nach völkerrecht-
lichen Grundſätzen zuſtehende Geſandtſchaftsrecht ausübt, indem ſie
im Art. 11 dem Kaiſer die Befugniß beilegt, „Geſandte zu be-
glaubigen und zu empfangen“ und indem ſie den Kaiſer ermächtigt,
„das Reich völkerrechtlich zu vertreten.“

Durch dieſe Beſtimmungen wird die Verwaltung der auswär-
tigen Angelegenheiten des Reiches zur unmittelbaren Reichs-
verwaltung erklärt; das Reich iſt nicht darauf beſchränkt, den di-
plomatiſchen Verkehr der Einzelſtaaten zu überwachen und geſetzlich
zu regeln, ſondern es hat ſeine eigene diplomatiſche Vertretung;
die Wahrnehmung der internationalen Beziehungen iſt dem Kaiſer
und ſeinem Miniſter, dem Reichskanzler übertragen.

Aber der Art. 11 der R.-V. überträgt dem Kaiſer nicht das
ausſchließliche Geſandtſchaftsrecht; er enthält kein Verbot für
die Einzelſtaaten, mit fremden Staaten einen diplomatiſchen Ver-
kehr zu erhalten und Geſandte zu entſenden oder zu empfangen.
Hieraus folgt, daß auch die einzelnen Bundesglieder das aktive
und paſſive Geſandtſchaftsrecht ausüben können, wofern fremde
Staaten den diplomatiſchen Verkehr mit ihnen fortzuſetzen geneigt
ſind. Das Geſandtſchaftsrecht der Einzelſtaaten hat überdies eine
ausdrückliche Anerkennung gefunden in dem Schlußprotokoll zu dem
Bayriſchen Bündniß-Vertrage v. 23. Nov. 1870 Art. VII. u. VIII.
und dieſe Beſtimmungen haben eine auch die übrigen Bundesglie-
der betreffende Bedeutung, da ſie über das Verhältniß des Ge-
ſandtſchaftsrechtes des Reiches zu dem Geſandtſchaftsrecht der Ein-
zelſtaaten poſitive Auskunft geben, während die Reichsverfaſſung
über das Geſandtſchaftsrecht der Einzelſtaaten völlig ſchweigt.


Geffcken. Leipzig 1866) und von Esperson, Diritto diplomatico. Vol. I.
Turin
1872. Speziell mit den Verhältniſſen des Deutſchen Reiches beſchäftigt
ſich der Aufſatz von Thudichum in v. Holtzendorff’s Jahrbuch IV. S. 323 ff.
und der Aufſatz über die Reichsbehörden in Hartmann’s Zeitſchr. f. Ge-
ſetzgeb. u. Praxis auf dem Gebiet des öffentl. Rechts Bd. II. (1876) S. 15 ff.
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[240/0254] §. 70. Die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten. nicht auf einem Satz der Reichsverfaſſung, ſondern auf der völker- rechtlichen Anerkennung des Reiches als politiſcher Körperſchaft. Denn das Geſandtſchaftsrecht betrifft das Verhältniß des Reiches zu anderen Staaten, kann daher nicht durch einen einſeitigen Willens- akt des Reiches, durch ein nur für das Reich ſelbſt wirkſames Geſetz normirt werden. Die Reichsverfaſſung beſtimmt vielmehr nur, durch welches Organ das Reich das ihm nach völkerrecht- lichen Grundſätzen zuſtehende Geſandtſchaftsrecht ausübt, indem ſie im Art. 11 dem Kaiſer die Befugniß beilegt, „Geſandte zu be- glaubigen und zu empfangen“ und indem ſie den Kaiſer ermächtigt, „das Reich völkerrechtlich zu vertreten.“ Durch dieſe Beſtimmungen wird die Verwaltung der auswär- tigen Angelegenheiten des Reiches zur unmittelbaren Reichs- verwaltung erklärt; das Reich iſt nicht darauf beſchränkt, den di- plomatiſchen Verkehr der Einzelſtaaten zu überwachen und geſetzlich zu regeln, ſondern es hat ſeine eigene diplomatiſche Vertretung; die Wahrnehmung der internationalen Beziehungen iſt dem Kaiſer und ſeinem Miniſter, dem Reichskanzler übertragen. Aber der Art. 11 der R.-V. überträgt dem Kaiſer nicht das ausſchließliche Geſandtſchaftsrecht; er enthält kein Verbot für die Einzelſtaaten, mit fremden Staaten einen diplomatiſchen Ver- kehr zu erhalten und Geſandte zu entſenden oder zu empfangen. Hieraus folgt, daß auch die einzelnen Bundesglieder das aktive und paſſive Geſandtſchaftsrecht ausüben können, wofern fremde Staaten den diplomatiſchen Verkehr mit ihnen fortzuſetzen geneigt ſind. Das Geſandtſchaftsrecht der Einzelſtaaten hat überdies eine ausdrückliche Anerkennung gefunden in dem Schlußprotokoll zu dem Bayriſchen Bündniß-Vertrage v. 23. Nov. 1870 Art. VII. u. VIII. und dieſe Beſtimmungen haben eine auch die übrigen Bundesglie- der betreffende Bedeutung, da ſie über das Verhältniß des Ge- ſandtſchaftsrechtes des Reiches zu dem Geſandtſchaftsrecht der Ein- zelſtaaten poſitive Auskunft geben, während die Reichsverfaſſung über das Geſandtſchaftsrecht der Einzelſtaaten völlig ſchweigt. 2) 2) Geffcken. Leipzig 1866) und von Esperson, Diritto diplomatico. Vol. I. Turin 1872. Speziell mit den Verhältniſſen des Deutſchen Reiches beſchäftigt ſich der Aufſatz von Thudichum in v. Holtzendorff’s Jahrbuch IV. S. 323 ff. und der Aufſatz über die Reichsbehörden in Hartmann’s Zeitſchr. f. Ge- ſetzgeb. u. Praxis auf dem Gebiet des öffentl. Rechts Bd. II. (1876) S. 15 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/254>, abgerufen am 27.11.2024.