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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 56. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes.
Gesetzgebers voraus 1). In jedem Gesetz ist deshalb ein doppelter
Bestandtheil zu unterscheiden, die in dem Gesetze formulirte Rechts-
regel und die Ausstattung derselben mit rechtsverbindlicher Kraft,
oder wie man auch sagen kann, der Gesetzes-Inhalt und der
Gesetzes-Befehl.

Diese beiden Elemente des Gesetzesbegriffes können mit ein-
ander derartig verbunden sein, daß ihre Unterscheidung ohne staats-
rechtliche Bedeutung ist. Sowohl die souveraine Volksversammlung
wie der absolute Monarch beschließt die Rechtsregel und befiehlt
zugleich ihre Geltung. Es ist aber ebenso gut möglich, daß für
die Feststellung des Gesetzes-Inhaltes andere Vorschriften bestehen
und daß dabei andere Kräfte mitwirken, wie für die Ertheilung
des Gesetzes-Befehles. Alsdann wird die Unterscheidung beider
Momente von großer theoretischer und praktischer Wichtigkeit. Man
verschließt sich jede Möglichkeit einer wissenschaftlichen Erkenntniß
der Lehre von der Gesetzgebung, wenn man das Wesen des Gesetzes
in der Schaffung eines Rechtssatzes erblickt. Gesetzgebung
ist vielmehr lediglich die Ausstattung eines Rechtssatzes mit ver-
bindlicher Kraft, mit äußerer Autorität; sie besteht in der Sanc-
tion eines Rechtssatzes
2).

Es ist nicht einmal nothwendig, daß ein Organ des Staates
an der Feststellung des Gesetzes-Inhaltes mitwirkt; der Staat kann
in die Lage kommen, nicht nur den Rechtssatz in dem geltenden
Gewohnheitsrecht, sondern sogar den Wortlaut des Gesetzes, dem
er die Sanction ertheilen soll, bereits als gegeben vorzufinden.
Durch einen völkerrechtlichen Vertrag können zwei oder mehrere
Staaten sich verpflichten, einen vertragsmäßig festgestellten Complex
von Rechtssätzen gleichlautend zum Gesetz zu erheben. Im ehe-
maligen Deutschen Bunde konnte die Bundes-Versammlung durch
Beschluß Rechtsregeln formuliren, sogenannte Bundesgesetze machen,
welche an sich keine Gesetzeskraft hatten, denen aber die einzelnen

1) Die alte römische Formel des Gesetzes-Vorschlags lautete velitis iubea-
tis hoc, Quirites, rogo. -- Gaius I.
§. 3 definirt: Lex est quod populus
iubet atque constituit; plebiscitum est quod plebs iubet atque con-
stituit.
2) Gute Bemerkungen über die Bedeutung der Gesetzgebung als Rechts-
quelle finden sich bei von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht, Politik II. S. 380 ff.
Vgl. auch Jordan, Lehrb. des Staatsrechts §. 186. 213. (S. 341 fg.)

§. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes.
Geſetzgebers voraus 1). In jedem Geſetz iſt deshalb ein doppelter
Beſtandtheil zu unterſcheiden, die in dem Geſetze formulirte Rechts-
regel und die Ausſtattung derſelben mit rechtsverbindlicher Kraft,
oder wie man auch ſagen kann, der Geſetzes-Inhalt und der
Geſetzes-Befehl.

Dieſe beiden Elemente des Geſetzesbegriffes können mit ein-
ander derartig verbunden ſein, daß ihre Unterſcheidung ohne ſtaats-
rechtliche Bedeutung iſt. Sowohl die ſouveraine Volksverſammlung
wie der abſolute Monarch beſchließt die Rechtsregel und befiehlt
zugleich ihre Geltung. Es iſt aber ebenſo gut möglich, daß für
die Feſtſtellung des Geſetzes-Inhaltes andere Vorſchriften beſtehen
und daß dabei andere Kräfte mitwirken, wie für die Ertheilung
des Geſetzes-Befehles. Alsdann wird die Unterſcheidung beider
Momente von großer theoretiſcher und praktiſcher Wichtigkeit. Man
verſchließt ſich jede Möglichkeit einer wiſſenſchaftlichen Erkenntniß
der Lehre von der Geſetzgebung, wenn man das Weſen des Geſetzes
in der Schaffung eines Rechtsſatzes erblickt. Geſetzgebung
iſt vielmehr lediglich die Ausſtattung eines Rechtsſatzes mit ver-
bindlicher Kraft, mit äußerer Autorität; ſie beſteht in der Sanc-
tion eines Rechtsſatzes
2).

Es iſt nicht einmal nothwendig, daß ein Organ des Staates
an der Feſtſtellung des Geſetzes-Inhaltes mitwirkt; der Staat kann
in die Lage kommen, nicht nur den Rechtsſatz in dem geltenden
Gewohnheitsrecht, ſondern ſogar den Wortlaut des Geſetzes, dem
er die Sanction ertheilen ſoll, bereits als gegeben vorzufinden.
Durch einen völkerrechtlichen Vertrag können zwei oder mehrere
Staaten ſich verpflichten, einen vertragsmäßig feſtgeſtellten Complex
von Rechtsſätzen gleichlautend zum Geſetz zu erheben. Im ehe-
maligen Deutſchen Bunde konnte die Bundes-Verſammlung durch
Beſchluß Rechtsregeln formuliren, ſogenannte Bundesgeſetze machen,
welche an ſich keine Geſetzeskraft hatten, denen aber die einzelnen

1) Die alte römiſche Formel des Geſetzes-Vorſchlags lautete velitis iubea-
tis hoc, Quirites, rogo. — Gaius I.
§. 3 definirt: Lex est quod populus
iubet atque constituit; plebiscitum est quod plebs iubet atque con-
stituit.
2) Gute Bemerkungen über die Bedeutung der Geſetzgebung als Rechts-
quelle finden ſich bei von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht, Politik II. S. 380 ff.
Vgl. auch Jordan, Lehrb. des Staatsrechts §. 186. 213. (S. 341 fg.)
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[5/0019] §. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes. Geſetzgebers voraus 1). In jedem Geſetz iſt deshalb ein doppelter Beſtandtheil zu unterſcheiden, die in dem Geſetze formulirte Rechts- regel und die Ausſtattung derſelben mit rechtsverbindlicher Kraft, oder wie man auch ſagen kann, der Geſetzes-Inhalt und der Geſetzes-Befehl. Dieſe beiden Elemente des Geſetzesbegriffes können mit ein- ander derartig verbunden ſein, daß ihre Unterſcheidung ohne ſtaats- rechtliche Bedeutung iſt. Sowohl die ſouveraine Volksverſammlung wie der abſolute Monarch beſchließt die Rechtsregel und befiehlt zugleich ihre Geltung. Es iſt aber ebenſo gut möglich, daß für die Feſtſtellung des Geſetzes-Inhaltes andere Vorſchriften beſtehen und daß dabei andere Kräfte mitwirken, wie für die Ertheilung des Geſetzes-Befehles. Alsdann wird die Unterſcheidung beider Momente von großer theoretiſcher und praktiſcher Wichtigkeit. Man verſchließt ſich jede Möglichkeit einer wiſſenſchaftlichen Erkenntniß der Lehre von der Geſetzgebung, wenn man das Weſen des Geſetzes in der Schaffung eines Rechtsſatzes erblickt. Geſetzgebung iſt vielmehr lediglich die Ausſtattung eines Rechtsſatzes mit ver- bindlicher Kraft, mit äußerer Autorität; ſie beſteht in der Sanc- tion eines Rechtsſatzes 2). Es iſt nicht einmal nothwendig, daß ein Organ des Staates an der Feſtſtellung des Geſetzes-Inhaltes mitwirkt; der Staat kann in die Lage kommen, nicht nur den Rechtsſatz in dem geltenden Gewohnheitsrecht, ſondern ſogar den Wortlaut des Geſetzes, dem er die Sanction ertheilen ſoll, bereits als gegeben vorzufinden. Durch einen völkerrechtlichen Vertrag können zwei oder mehrere Staaten ſich verpflichten, einen vertragsmäßig feſtgeſtellten Complex von Rechtsſätzen gleichlautend zum Geſetz zu erheben. Im ehe- maligen Deutſchen Bunde konnte die Bundes-Verſammlung durch Beſchluß Rechtsregeln formuliren, ſogenannte Bundesgeſetze machen, welche an ſich keine Geſetzeskraft hatten, denen aber die einzelnen 1) Die alte römiſche Formel des Geſetzes-Vorſchlags lautete velitis iubea- tis hoc, Quirites, rogo. — Gaius I. §. 3 definirt: Lex est quod populus iubet atque constituit; plebiscitum est quod plebs iubet atque con- stituit. 2) Gute Bemerkungen über die Bedeutung der Geſetzgebung als Rechts- quelle finden ſich bei von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht, Politik II. S. 380 ff. Vgl. auch Jordan, Lehrb. des Staatsrechts §. 186. 213. (S. 341 fg.)

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/19>, abgerufen am 24.11.2024.