vertrages erforderlichen Befehle selbstständig (im Verordnungs- Wege) zu erlassen befugt ist 1).
In diesem Sinne verstanden ist die Anordnung in Art. 11 Abs. 3 nicht nur im Einklang mit den übrigen Vorschriften der R.-V. und der allgemein herrschenden staatsrechtlichen Theorie, sondern sie ist ganz unentbehrlich und im Grunde genommen völlig selbstverständlich. Denn die Rechte des Bundesrathes und des Reichstages, an den Willensakten des Reiches mitzuwirken, könnten mit Leichtigkeit umgangen und völlig illusorisch gemacht werden, wenn es dem Kaiser frei stünde, anstatt den Weg der Gesetzgebung zu betreten, unbehindert durch Bundesrath und Reichstag die von ihm gewünschte Vorschrift zum Gegenstande eines Staatsvertrages mit der Rechtswirkung zu machen, daß sie für Behörden und Unterthanen verbindlich ist.
3. Die vorstehende Erörterung hat das Resultat ergeben, daß die beiden Klassen von Staatsverträgen, welche nach Abs. 1 und Abs. 3 des Art. 11 zu unterscheiden sind, sich durch ein Kriterium bestimmen, welches lediglich die Vollziehung des Ver- trages, d. h. seine staatsrechtliche Gültigkeit betrifft. Es wäre nicht nur unzweckmäßig, sondern vernunftwidrig und sich selbst widersprechend, wenn der Kaiser einen Befehl, den er nur mit Zu- stimmung des Bundesrathes und Reichstages erlassen kann, als- dann ohne Zustimmung des Bundesrathes und Reichstages erlassen dürfte, wenn er zuvor den Erlaß dieses Befehls in einem Vertrage mit einer fremden Macht der letzteren zugesichert hat. Diese Ab- surdität sollte durch Art. 11 Abs. 3 ausgeschlossen werden, weil man in mißverständlicher Auffassung des Wesens eines Staats- vertrages glaubte, daß sie aus Abs. 1 des Art. 11 hergeleitet werden könnte. Abs. 3 hebt diejenigen Verträge heraus, welche nur mit Zustimmung des Bundesrathes und Genehmigung des Reichstages vollzogen werden können, weil zu ihrer Vollziehung ein Gesetz nothwendig ist. Eine Bestimmung über die Bedingungen der Vollziehbarkeit kann vollkommen unabhängig von den Vor- schriften über die Legitimation zum Abschluß eines Staatsvertrages bestehen. Es ist daher durchaus nicht erforderlich, die Anordnun-
1) In vollkommen übereinstimmender Weise wird Art. 11 Abs. 3 von Meier a. a. O. S. 294 ff. ausgelegt.
In dieſem Sinne verſtanden iſt die Anordnung in Art. 11 Abſ. 3 nicht nur im Einklang mit den übrigen Vorſchriften der R.-V. und der allgemein herrſchenden ſtaatsrechtlichen Theorie, ſondern ſie iſt ganz unentbehrlich und im Grunde genommen völlig ſelbſtverſtändlich. Denn die Rechte des Bundesrathes und des Reichstages, an den Willensakten des Reiches mitzuwirken, könnten mit Leichtigkeit umgangen und völlig illuſoriſch gemacht werden, wenn es dem Kaiſer frei ſtünde, anſtatt den Weg der Geſetzgebung zu betreten, unbehindert durch Bundesrath und Reichstag die von ihm gewünſchte Vorſchrift zum Gegenſtande eines Staatsvertrages mit der Rechtswirkung zu machen, daß ſie für Behörden und Unterthanen verbindlich iſt.
3. Die vorſtehende Erörterung hat das Reſultat ergeben, daß die beiden Klaſſen von Staatsverträgen, welche nach Abſ. 1 und Abſ. 3 des Art. 11 zu unterſcheiden ſind, ſich durch ein Kriterium beſtimmen, welches lediglich die Vollziehung des Ver- trages, d. h. ſeine ſtaatsrechtliche Gültigkeit betrifft. Es wäre nicht nur unzweckmäßig, ſondern vernunftwidrig und ſich ſelbſt widerſprechend, wenn der Kaiſer einen Befehl, den er nur mit Zu- ſtimmung des Bundesrathes und Reichstages erlaſſen kann, als- dann ohne Zuſtimmung des Bundesrathes und Reichstages erlaſſen dürfte, wenn er zuvor den Erlaß dieſes Befehls in einem Vertrage mit einer fremden Macht der letzteren zugeſichert hat. Dieſe Ab- ſurdität ſollte durch Art. 11 Abſ. 3 ausgeſchloſſen werden, weil man in mißverſtändlicher Auffaſſung des Weſens eines Staats- vertrages glaubte, daß ſie aus Abſ. 1 des Art. 11 hergeleitet werden könnte. Abſ. 3 hebt diejenigen Verträge heraus, welche nur mit Zuſtimmung des Bundesrathes und Genehmigung des Reichstages vollzogen werden können, weil zu ihrer Vollziehung ein Geſetz nothwendig iſt. Eine Beſtimmung über die Bedingungen der Vollziehbarkeit kann vollkommen unabhängig von den Vor- ſchriften über die Legitimation zum Abſchluß eines Staatsvertrages beſtehen. Es iſt daher durchaus nicht erforderlich, die Anordnun-
1) In vollkommen übereinſtimmender Weiſe wird Art. 11 Abſ. 3 von Meier a. a. O. S. 294 ff. ausgelegt.
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§. 64. Der Abſchluß von Staatsverträgen.
vertrages erforderlichen Befehle ſelbſtſtändig (im Verordnungs-
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In dieſem Sinne verſtanden iſt die Anordnung in Art. 11
Abſ. 3 nicht nur im Einklang mit den übrigen Vorſchriften der
R.-V. und der allgemein herrſchenden ſtaatsrechtlichen Theorie,
ſondern ſie iſt ganz unentbehrlich und im Grunde genommen völlig
ſelbſtverſtändlich. Denn die Rechte des Bundesrathes und des
Reichstages, an den Willensakten des Reiches mitzuwirken, könnten
mit Leichtigkeit umgangen und völlig illuſoriſch gemacht werden,
wenn es dem Kaiſer frei ſtünde, anſtatt den Weg der Geſetzgebung
zu betreten, unbehindert durch Bundesrath und Reichstag die von
ihm gewünſchte Vorſchrift zum Gegenſtande eines Staatsvertrages
mit der Rechtswirkung zu machen, daß ſie für Behörden und
Unterthanen verbindlich iſt.
3. Die vorſtehende Erörterung hat das Reſultat ergeben, daß
die beiden Klaſſen von Staatsverträgen, welche nach Abſ. 1 und
Abſ. 3 des Art. 11 zu unterſcheiden ſind, ſich durch ein Kriterium
beſtimmen, welches lediglich die Vollziehung des Ver-
trages, d. h. ſeine ſtaatsrechtliche Gültigkeit betrifft. Es wäre
nicht nur unzweckmäßig, ſondern vernunftwidrig und ſich ſelbſt
widerſprechend, wenn der Kaiſer einen Befehl, den er nur mit Zu-
ſtimmung des Bundesrathes und Reichstages erlaſſen kann, als-
dann ohne Zuſtimmung des Bundesrathes und Reichstages erlaſſen
dürfte, wenn er zuvor den Erlaß dieſes Befehls in einem Vertrage
mit einer fremden Macht der letzteren zugeſichert hat. Dieſe Ab-
ſurdität ſollte durch Art. 11 Abſ. 3 ausgeſchloſſen werden, weil
man in mißverſtändlicher Auffaſſung des Weſens eines Staats-
vertrages glaubte, daß ſie aus Abſ. 1 des Art. 11 hergeleitet
werden könnte. Abſ. 3 hebt diejenigen Verträge heraus, welche
nur mit Zuſtimmung des Bundesrathes und Genehmigung des
Reichstages vollzogen werden können, weil zu ihrer Vollziehung
ein Geſetz nothwendig iſt. Eine Beſtimmung über die Bedingungen
der Vollziehbarkeit kann vollkommen unabhängig von den Vor-
ſchriften über die Legitimation zum Abſchluß eines Staatsvertrages
beſtehen. Es iſt daher durchaus nicht erforderlich, die Anordnun-
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Meier a. a. O. S. 294 ff. ausgelegt.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/182>, abgerufen am 24.11.2024.
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