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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 7. Das Reich als Rechtssubject.
nicht vertreten oder ersetzt werden durch übereinstimmende Beschlüsse
sämmtlicher Landtage der Einzelstaaten. Ein in allen deutschen
Staaten mit gleichem Wortlaut erlassenes Gesetz wird dadurch, daß
diese Staaten untereinander übereinkommen, nur nach gegenseitiger
Verständigung und allseitiger Zustimmung dieses Gesetz zu verän-
dern oder aufzuheben, noch kein Reichsgesetz und verlangt nicht die
Kraft eines solchen; es steht auf gleicher Stufe mit den Landes-
gesetzen und kann durch ein Reichsgesetz, welches nur mit der ver-
fassungsmäßigen Bundesraths-Majorität beschlossen worden ist,
in allen Staaten beseitigt werden. Andererseits kann ein Reichs-
gesetz dadurch nicht weggeschafft werden, daß sämmtliche Staaten
seine Aufhebung beschließen, falls der Reichstag in die Aufhebung
nicht einwilligt.

Bundesrath und Reichstag sind daher nicht Apparate, um
den Sonderwillen der Einzelstaaten zu sammeln und das Resultat
dieser zusammengezählten Einzelwillen herzustellen, sondern sie sind
Organe für die Herstellung eines selbstständigen, einheitlichen Willens,
der in Contrast treten kann selbst mit den überein-
stimmenden Willens-Entschlüssen sämmtlicher Ein-
zelstaaten
. Das ist der entscheidende Punkt; an ihm allein
wird es völlig klar, daß der Wille des Reiches nicht die Summe
der Willen der Einzelstaaten, auch nicht der Majorität derselben, ist.

2. Das Reich hat zur Durchführung seiner Wil-
lensentschlüsse
seine eigenen Organe, welche nicht gemeinschaft-
liche Organe der verbündeten Einzelstaaten sind. Der Reichs-
kanzler
ist weder dem Souverän noch dem Landtag irgend eines
Einzelstaates verantwortlich, sondern nur dem Kaiser und Bundesrath
und dem Reichstage 1). Die Reichsbeamten sind nicht Beamte
der verbündeten Regierungen 2); sie werden nicht in ihrem Namen
ernannt und für sie vereidigt, sondern sie werden vom Kaiser er-
nannt und für das Reich vereidigt; sie sind keinerlei Disciplinar-
gewalt der Landesregierungen, sondern ausschließlich der Discipli-

1) Siehe unten §. 33
2) Während z. B. im Zollverein die Vereinsbevollmächtigten und Kon-
trolleure "Beamte der einzelnen Vereinsstaaten" waren, die nur für gemein-
same Zwecke vom Präsidium verwendet wurden. Vgl. Zollvereinsvertr. vom
8. Juli 1867. Schlußprotokoll Ziff. 15 Abs. 1 zum Art. 20.
Laband, Reichsstaatsrecht. I. 5

§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.
nicht vertreten oder erſetzt werden durch übereinſtimmende Beſchlüſſe
ſämmtlicher Landtage der Einzelſtaaten. Ein in allen deutſchen
Staaten mit gleichem Wortlaut erlaſſenes Geſetz wird dadurch, daß
dieſe Staaten untereinander übereinkommen, nur nach gegenſeitiger
Verſtändigung und allſeitiger Zuſtimmung dieſes Geſetz zu verän-
dern oder aufzuheben, noch kein Reichsgeſetz und verlangt nicht die
Kraft eines ſolchen; es ſteht auf gleicher Stufe mit den Landes-
geſetzen und kann durch ein Reichsgeſetz, welches nur mit der ver-
faſſungsmäßigen Bundesraths-Majorität beſchloſſen worden iſt,
in allen Staaten beſeitigt werden. Andererſeits kann ein Reichs-
geſetz dadurch nicht weggeſchafft werden, daß ſämmtliche Staaten
ſeine Aufhebung beſchließen, falls der Reichstag in die Aufhebung
nicht einwilligt.

Bundesrath und Reichstag ſind daher nicht Apparate, um
den Sonderwillen der Einzelſtaaten zu ſammeln und das Reſultat
dieſer zuſammengezählten Einzelwillen herzuſtellen, ſondern ſie ſind
Organe für die Herſtellung eines ſelbſtſtändigen, einheitlichen Willens,
der in Contraſt treten kann ſelbſt mit den überein-
ſtimmenden Willens-Entſchlüſſen ſämmtlicher Ein-
zelſtaaten
. Das iſt der entſcheidende Punkt; an ihm allein
wird es völlig klar, daß der Wille des Reiches nicht die Summe
der Willen der Einzelſtaaten, auch nicht der Majorität derſelben, iſt.

2. Das Reich hat zur Durchführung ſeiner Wil-
lensentſchlüſſe
ſeine eigenen Organe, welche nicht gemeinſchaft-
liche Organe der verbündeten Einzelſtaaten ſind. Der Reichs-
kanzler
iſt weder dem Souverän noch dem Landtag irgend eines
Einzelſtaates verantwortlich, ſondern nur dem Kaiſer und Bundesrath
und dem Reichstage 1). Die Reichsbeamten ſind nicht Beamte
der verbündeten Regierungen 2); ſie werden nicht in ihrem Namen
ernannt und für ſie vereidigt, ſondern ſie werden vom Kaiſer er-
nannt und für das Reich vereidigt; ſie ſind keinerlei Disciplinar-
gewalt der Landesregierungen, ſondern ausſchließlich der Discipli-

1) Siehe unten §. 33
2) Während z. B. im Zollverein die Vereinsbevollmächtigten und Kon-
trolleure „Beamte der einzelnen Vereinsſtaaten“ waren, die nur für gemein-
ſame Zwecke vom Präſidium verwendet wurden. Vgl. Zollvereinsvertr. vom
8. Juli 1867. Schlußprotokoll Ziff. 15 Abſ. 1 zum Art. 20.
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 5
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[65/0085] §. 7. Das Reich als Rechtsſubject. nicht vertreten oder erſetzt werden durch übereinſtimmende Beſchlüſſe ſämmtlicher Landtage der Einzelſtaaten. Ein in allen deutſchen Staaten mit gleichem Wortlaut erlaſſenes Geſetz wird dadurch, daß dieſe Staaten untereinander übereinkommen, nur nach gegenſeitiger Verſtändigung und allſeitiger Zuſtimmung dieſes Geſetz zu verän- dern oder aufzuheben, noch kein Reichsgeſetz und verlangt nicht die Kraft eines ſolchen; es ſteht auf gleicher Stufe mit den Landes- geſetzen und kann durch ein Reichsgeſetz, welches nur mit der ver- faſſungsmäßigen Bundesraths-Majorität beſchloſſen worden iſt, in allen Staaten beſeitigt werden. Andererſeits kann ein Reichs- geſetz dadurch nicht weggeſchafft werden, daß ſämmtliche Staaten ſeine Aufhebung beſchließen, falls der Reichstag in die Aufhebung nicht einwilligt. Bundesrath und Reichstag ſind daher nicht Apparate, um den Sonderwillen der Einzelſtaaten zu ſammeln und das Reſultat dieſer zuſammengezählten Einzelwillen herzuſtellen, ſondern ſie ſind Organe für die Herſtellung eines ſelbſtſtändigen, einheitlichen Willens, der in Contraſt treten kann ſelbſt mit den überein- ſtimmenden Willens-Entſchlüſſen ſämmtlicher Ein- zelſtaaten. Das iſt der entſcheidende Punkt; an ihm allein wird es völlig klar, daß der Wille des Reiches nicht die Summe der Willen der Einzelſtaaten, auch nicht der Majorität derſelben, iſt. 2. Das Reich hat zur Durchführung ſeiner Wil- lensentſchlüſſe ſeine eigenen Organe, welche nicht gemeinſchaft- liche Organe der verbündeten Einzelſtaaten ſind. Der Reichs- kanzler iſt weder dem Souverän noch dem Landtag irgend eines Einzelſtaates verantwortlich, ſondern nur dem Kaiſer und Bundesrath und dem Reichstage 1). Die Reichsbeamten ſind nicht Beamte der verbündeten Regierungen 2); ſie werden nicht in ihrem Namen ernannt und für ſie vereidigt, ſondern ſie werden vom Kaiſer er- nannt und für das Reich vereidigt; ſie ſind keinerlei Disciplinar- gewalt der Landesregierungen, ſondern ausſchließlich der Discipli- 1) Siehe unten §. 33 2) Während z. B. im Zollverein die Vereinsbevollmächtigten und Kon- trolleure „Beamte der einzelnen Vereinsſtaaten“ waren, die nur für gemein- ſame Zwecke vom Präſidium verwendet wurden. Vgl. Zollvereinsvertr. vom 8. Juli 1867. Schlußprotokoll Ziff. 15 Abſ. 1 zum Art. 20. Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 5

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/85>, abgerufen am 25.11.2024.