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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 7. Das Reich als Rechtssubject.

Es sind also zwei Gründe, auf welche diese Theorie sich stützt;
erstens die Entstehungsart des Reiches 1) und zweitens die verfas-
sungsmäßige Anerkennung der Bundesglieder als Staaten.

Die Berufung auf die Entstehungsgeschichte des Norddeutschen
Bundes, beziehentl. des Deutschen Reiches, ist von Hänel 2) in
so trefflicher Weise widerlegt worden, daß seinen Ausführungen
kaum etwas Wesentliches hinzugefügt werden kann. Aus der That-
sache, daß die Norddeutschen Staaten durch einen völkerrechtlichen
Vertrag sich gegenseitig verpflichtet haben, einen Bund zu gründen,
folgt ebenso wenig, daß dieser Bund selbst einen vertragsmäßigen
völkerrechtlichen Charakter habe, wie auf privatrechtlichem Gebiete
daraus, daß mehrere Personen behufs Gründung einer juristischen
Person, z. B. eines Actienvereins, einen Vertrag unter einander
abschließen, die Folgerung gerechtfertigt wäre, daß dieser Verein
selbst ein obligatorisches Verhältniß der Gründer sei 3). Die Ent-
stehungsgeschichte des Norddeutschen Bundes läßt, wie oben aus-
geführt worden ist 4), eine andere Auffassung nicht zu als die, daß
durch die Errichtung des Norddeutschen Bundes der Vertrag vom
18. August 1866 erfüllt wurde. Damit hörte das vertrags-
mäßige Verhältniß auf
und die staatsrechtliche Organisa-
tion trat an seine Stelle 5). Wenn Seydel 6) behauptet, der
Bündnißvertrag sei nicht auf eine einmalige Leistung, sondern
auf Begründung immerwährender gegenseitiger Verpflichtungen
gegangen; durch das Zustandekommen der Verfassung sei der Ver-
trag daher keineswegs vollständig erfüllt worden, er habe im Ge-
gentheil nun erst thatsächliche Bedeutung erlangt, -- so hat er

1) In dieser Hinsicht stimmt mit Seydel überein G. Meyer Staatsrechtl.
Erörterungen S. 56 ff.
2) Studien zum Deutschen Staatsrechte I S. 31 fg. 68 fg.
3) Hänel S. 32 fg. besonders S. 34.
4) Vgl. oben S. 17 ff. 30.
5) Logisch ungenau ist die Ausdrucksweise v. Rönne's S. 36: "der
Vertrag der Deutschen Staaten hat .... die rechtliche Natur einer
paktirten Verfassung erhalten, wodurch die Vertragseigenschaft in die
zweite Linie getreten ist." Der Vertrag kann nicht die Natur einer Ver-
fassung erhalten; der Bund kann nicht in erster Linie Staatseigenschaft und
in zweiter Linie Vertragseigenschaft haben. Das vertragsmäßige Verhält-
niß
(nicht der Vertrag selbst) hat vielmehr durch Erfüllung aufgehört. Vgl.
Seydel S. 6.
6) a. a. O. S. 5.
§. 7. Das Reich als Rechtsſubject.

Es ſind alſo zwei Gründe, auf welche dieſe Theorie ſich ſtützt;
erſtens die Entſtehungsart des Reiches 1) und zweitens die verfaſ-
ſungsmäßige Anerkennung der Bundesglieder als Staaten.

Die Berufung auf die Entſtehungsgeſchichte des Norddeutſchen
Bundes, beziehentl. des Deutſchen Reiches, iſt von Hänel 2) in
ſo trefflicher Weiſe widerlegt worden, daß ſeinen Ausführungen
kaum etwas Weſentliches hinzugefügt werden kann. Aus der That-
ſache, daß die Norddeutſchen Staaten durch einen völkerrechtlichen
Vertrag ſich gegenſeitig verpflichtet haben, einen Bund zu gründen,
folgt ebenſo wenig, daß dieſer Bund ſelbſt einen vertragsmäßigen
völkerrechtlichen Charakter habe, wie auf privatrechtlichem Gebiete
daraus, daß mehrere Perſonen behufs Gründung einer juriſtiſchen
Perſon, z. B. eines Actienvereins, einen Vertrag unter einander
abſchließen, die Folgerung gerechtfertigt wäre, daß dieſer Verein
ſelbſt ein obligatoriſches Verhältniß der Gründer ſei 3). Die Ent-
ſtehungsgeſchichte des Norddeutſchen Bundes läßt, wie oben aus-
geführt worden iſt 4), eine andere Auffaſſung nicht zu als die, daß
durch die Errichtung des Norddeutſchen Bundes der Vertrag vom
18. Auguſt 1866 erfüllt wurde. Damit hörte das vertrags-
mäßige Verhältniß auf
und die ſtaatsrechtliche Organiſa-
tion trat an ſeine Stelle 5). Wenn Seydel 6) behauptet, der
Bündnißvertrag ſei nicht auf eine einmalige Leiſtung, ſondern
auf Begründung immerwährender gegenſeitiger Verpflichtungen
gegangen; durch das Zuſtandekommen der Verfaſſung ſei der Ver-
trag daher keineswegs vollſtändig erfüllt worden, er habe im Ge-
gentheil nun erſt thatſächliche Bedeutung erlangt, — ſo hat er

1) In dieſer Hinſicht ſtimmt mit Seydel überein G. Meyer Staatsrechtl.
Erörterungen S. 56 ff.
2) Studien zum Deutſchen Staatsrechte I S. 31 fg. 68 fg.
3) Hänel S. 32 fg. beſonders S. 34.
4) Vgl. oben S. 17 ff. 30.
5) Logiſch ungenau iſt die Ausdrucksweiſe v. Rönne’s S. 36: „der
Vertrag der Deutſchen Staaten hat .... die rechtliche Natur einer
paktirten Verfaſſung erhalten, wodurch die Vertragseigenſchaft in die
zweite Linie getreten iſt.“ Der Vertrag kann nicht die Natur einer Ver-
faſſung erhalten; der Bund kann nicht in erſter Linie Staatseigenſchaft und
in zweiter Linie Vertragseigenſchaft haben. Das vertragsmäßige Verhält-
niß
(nicht der Vertrag ſelbſt) hat vielmehr durch Erfüllung aufgehört. Vgl.
Seydel S. 6.
6) a. a. O. S. 5.
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[60/0080] §. 7. Das Reich als Rechtsſubject. Es ſind alſo zwei Gründe, auf welche dieſe Theorie ſich ſtützt; erſtens die Entſtehungsart des Reiches 1) und zweitens die verfaſ- ſungsmäßige Anerkennung der Bundesglieder als Staaten. Die Berufung auf die Entſtehungsgeſchichte des Norddeutſchen Bundes, beziehentl. des Deutſchen Reiches, iſt von Hänel 2) in ſo trefflicher Weiſe widerlegt worden, daß ſeinen Ausführungen kaum etwas Weſentliches hinzugefügt werden kann. Aus der That- ſache, daß die Norddeutſchen Staaten durch einen völkerrechtlichen Vertrag ſich gegenſeitig verpflichtet haben, einen Bund zu gründen, folgt ebenſo wenig, daß dieſer Bund ſelbſt einen vertragsmäßigen völkerrechtlichen Charakter habe, wie auf privatrechtlichem Gebiete daraus, daß mehrere Perſonen behufs Gründung einer juriſtiſchen Perſon, z. B. eines Actienvereins, einen Vertrag unter einander abſchließen, die Folgerung gerechtfertigt wäre, daß dieſer Verein ſelbſt ein obligatoriſches Verhältniß der Gründer ſei 3). Die Ent- ſtehungsgeſchichte des Norddeutſchen Bundes läßt, wie oben aus- geführt worden iſt 4), eine andere Auffaſſung nicht zu als die, daß durch die Errichtung des Norddeutſchen Bundes der Vertrag vom 18. Auguſt 1866 erfüllt wurde. Damit hörte das vertrags- mäßige Verhältniß auf und die ſtaatsrechtliche Organiſa- tion trat an ſeine Stelle 5). Wenn Seydel 6) behauptet, der Bündnißvertrag ſei nicht auf eine einmalige Leiſtung, ſondern auf Begründung immerwährender gegenſeitiger Verpflichtungen gegangen; durch das Zuſtandekommen der Verfaſſung ſei der Ver- trag daher keineswegs vollſtändig erfüllt worden, er habe im Ge- gentheil nun erſt thatſächliche Bedeutung erlangt, — ſo hat er 1) In dieſer Hinſicht ſtimmt mit Seydel überein G. Meyer Staatsrechtl. Erörterungen S. 56 ff. 2) Studien zum Deutſchen Staatsrechte I S. 31 fg. 68 fg. 3) Hänel S. 32 fg. beſonders S. 34. 4) Vgl. oben S. 17 ff. 30. 5) Logiſch ungenau iſt die Ausdrucksweiſe v. Rönne’s S. 36: „der Vertrag der Deutſchen Staaten hat .... die rechtliche Natur einer paktirten Verfaſſung erhalten, wodurch die Vertragseigenſchaft in die zweite Linie getreten iſt.“ Der Vertrag kann nicht die Natur einer Ver- faſſung erhalten; der Bund kann nicht in erſter Linie Staatseigenſchaft und in zweiter Linie Vertragseigenſchaft haben. Das vertragsmäßige Verhält- niß (nicht der Vertrag ſelbſt) hat vielmehr durch Erfüllung aufgehört. Vgl. Seydel S. 6. 6) a. a. O. S. 5.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/80>, abgerufen am 24.11.2024.