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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 54. Bundesglied und Reichsland.
gehörigkeit" erworben habe. Eine solche Auslegung würde unter
den im Reichslande wohnenden Reichsangehörigen eine Rechtsun-
gleichheit bewirken, welche ebensowohl mit dem Sinne des Art. 14
als mit dem Ges. v. 1. Juni 1870 in Widerspruch stehen würde.

Das französische Gesetz vom 27. Juni 1866 hat dem Art. 5
des Code d'instruction criminelle eine Fassung gegeben, wonach
der Abs. 2 desselben lautet:

Tout Francais qui, hors du territoire de France, s'est
rendu coupable d'un fait qualifie delit par la loi francaise peut
etre poursuivi et juge en France, si le fait est puni par la
legislation du pays ou il a ete commis.

Dieses Gesetz ist in Geltung geblieben 1), soweit das Einf.-
Gesetz zum Reichsstrafgesetzbuch das partikuläre Landesstrafrecht
bestehen gelassen hat 2). Es begründet nicht nur einen Gerichts-
stand, sondern außerdem die Anwendung des elsaß-lothringischen
(französischen) Strafgesetzes auf alle in den Bereich des Landes-
strafrechts fallende Vergehen, welche ein Angehöriger von Elsaß-
Lothringen außerhalb des Reichslandes verübt hat, wofern die
That nach dem Recht des Ortes überhaupt strafbar war.

Derselbe Grundsatz ist für weitaus die meisten und wichtigsten
Materien, für welche das Landesstrafrecht in Geltung erhalten wor-
den ist, in dem erwähnten Gesetz vom 27. Juni 1866 sogar auch
auf alle Uebertretungen ausgedehnt worden 3):

Tout Francais, qui s'est rendu coupable de delits et
contraventions en matiere forestiere, rurale, de peche, de douanes
ou de contributions indirectes, sur le territoire de l'un des
Etats limitrophes peut etre poursuivi et juge en France d'apres
la loi francaise, si cet Etat autorise la poursuite de ses regni-
coles pour les memes faits commis en France.

Daß in diesen Gesetzesstellen tout Francais nicht zu ersetzen
ist durch "jeder Deutsche", ist so selbstverständlich, daß es keiner
Ausführung bedarf; würde man aber an Stelle von tout Francais

1) Herr Landgerichtsrath Mitscher in Straßburg hatte die Güte, mich
auf dieses Gesetz aufmerksam zu machen.
2) Vgl. Heinze Verhältn. des Reichsstrafrechts zu dem Landesstrafrecht
S. 45. Uebrigens hat das R.-St.-G.-B. §. 4 Ziff. 3 denselben Rechtsgrund-
satz aufgestellt.
3) Vgl. R.-St.-G.-B. §. 6.

§. 54. Bundesglied und Reichsland.
gehörigkeit“ erworben habe. Eine ſolche Auslegung würde unter
den im Reichslande wohnenden Reichsangehörigen eine Rechtsun-
gleichheit bewirken, welche ebenſowohl mit dem Sinne des Art. 14
als mit dem Geſ. v. 1. Juni 1870 in Widerſpruch ſtehen würde.

Das franzöſiſche Geſetz vom 27. Juni 1866 hat dem Art. 5
des Code d’instruction criminelle eine Faſſung gegeben, wonach
der Abſ. 2 deſſelben lautet:

Tout Français qui, hors du territoire de France, s’est
rendu coupable d’un fait qualifié délit par la loi française peut
être poursuivi et jugé en France, si le fait est puni par la
législation du pays où il a été commis.

Dieſes Geſetz iſt in Geltung geblieben 1), ſoweit das Einf.-
Geſetz zum Reichsſtrafgeſetzbuch das partikuläre Landesſtrafrecht
beſtehen gelaſſen hat 2). Es begründet nicht nur einen Gerichts-
ſtand, ſondern außerdem die Anwendung des elſaß-lothringiſchen
(franzöſiſchen) Strafgeſetzes auf alle in den Bereich des Landes-
ſtrafrechts fallende Vergehen, welche ein Angehöriger von Elſaß-
Lothringen außerhalb des Reichslandes verübt hat, wofern die
That nach dem Recht des Ortes überhaupt ſtrafbar war.

Derſelbe Grundſatz iſt für weitaus die meiſten und wichtigſten
Materien, für welche das Landesſtrafrecht in Geltung erhalten wor-
den iſt, in dem erwähnten Geſetz vom 27. Juni 1866 ſogar auch
auf alle Uebertretungen ausgedehnt worden 3):

Tout Français, qui s’est rendu coupable de délits et
contraventions en matière forestière, rurale, de pêche, de douanes
ou de contributions indirectes, sur le territoire de l’un des
Etats limitrophes peut être poursuivi et jugé en France d’après
la loi française, si cet État autorise la poursuite de ses régni-
coles pour les mêmes faits commis en France.

Daß in dieſen Geſetzesſtellen tout Français nicht zu erſetzen
iſt durch „jeder Deutſche“, iſt ſo ſelbſtverſtändlich, daß es keiner
Ausführung bedarf; würde man aber an Stelle von tout Français

1) Herr Landgerichtsrath Mitſcher in Straßburg hatte die Güte, mich
auf dieſes Geſetz aufmerkſam zu machen.
2) Vgl. Heinze Verhältn. des Reichsſtrafrechts zu dem Landesſtrafrecht
S. 45. Uebrigens hat das R.-St.-G.-B. §. 4 Ziff. 3 denſelben Rechtsgrund-
ſatz aufgeſtellt.
3) Vgl. R.-St.-G.-B. §. 6.
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[602/0622] §. 54. Bundesglied und Reichsland. gehörigkeit“ erworben habe. Eine ſolche Auslegung würde unter den im Reichslande wohnenden Reichsangehörigen eine Rechtsun- gleichheit bewirken, welche ebenſowohl mit dem Sinne des Art. 14 als mit dem Geſ. v. 1. Juni 1870 in Widerſpruch ſtehen würde. Das franzöſiſche Geſetz vom 27. Juni 1866 hat dem Art. 5 des Code d’instruction criminelle eine Faſſung gegeben, wonach der Abſ. 2 deſſelben lautet: Tout Français qui, hors du territoire de France, s’est rendu coupable d’un fait qualifié délit par la loi française peut être poursuivi et jugé en France, si le fait est puni par la législation du pays où il a été commis. Dieſes Geſetz iſt in Geltung geblieben 1), ſoweit das Einf.- Geſetz zum Reichsſtrafgeſetzbuch das partikuläre Landesſtrafrecht beſtehen gelaſſen hat 2). Es begründet nicht nur einen Gerichts- ſtand, ſondern außerdem die Anwendung des elſaß-lothringiſchen (franzöſiſchen) Strafgeſetzes auf alle in den Bereich des Landes- ſtrafrechts fallende Vergehen, welche ein Angehöriger von Elſaß- Lothringen außerhalb des Reichslandes verübt hat, wofern die That nach dem Recht des Ortes überhaupt ſtrafbar war. Derſelbe Grundſatz iſt für weitaus die meiſten und wichtigſten Materien, für welche das Landesſtrafrecht in Geltung erhalten wor- den iſt, in dem erwähnten Geſetz vom 27. Juni 1866 ſogar auch auf alle Uebertretungen ausgedehnt worden 3): Tout Français, qui s’est rendu coupable de délits et contraventions en matière forestière, rurale, de pêche, de douanes ou de contributions indirectes, sur le territoire de l’un des Etats limitrophes peut être poursuivi et jugé en France d’après la loi française, si cet État autorise la poursuite de ses régni- coles pour les mêmes faits commis en France. Daß in dieſen Geſetzesſtellen tout Français nicht zu erſetzen iſt durch „jeder Deutſche“, iſt ſo ſelbſtverſtändlich, daß es keiner Ausführung bedarf; würde man aber an Stelle von tout Français 1) Herr Landgerichtsrath Mitſcher in Straßburg hatte die Güte, mich auf dieſes Geſetz aufmerkſam zu machen. 2) Vgl. Heinze Verhältn. des Reichsſtrafrechts zu dem Landesſtrafrecht S. 45. Uebrigens hat das R.-St.-G.-B. §. 4 Ziff. 3 denſelben Rechtsgrund- ſatz aufgeſtellt. 3) Vgl. R.-St.-G.-B. §. 6.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/622>, abgerufen am 04.05.2024.