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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 54. Bundesglied und Reichsland.

Also nicht die Landesangehörigkeit, sondern die Reichsange-
hörigkeit ist entscheidend. Jeder Deutsche, gleichviel welchem Ein-
zelstaat er angehört, ist zur Ausübung des Wahlrechts in Elsaß-
Lothringen befugt, wofern er nur im Reichslande wohnt. Es ist
demnach für das Reichsland formell zwar das Reichsgesetz vom
1. Juni 1870 eingeführt, materiell aber gerade das entgegenge-
setzte, in Nordamerika geltende Princip verwirklicht worden, wo-
nach das Bundesbürgerrecht das primäre Recht und das Staats-
bürgerrecht im Einzelstaat die Folge und Wirkung desselben ist,
d. h. der Bundesbürger ist befugt in demjenigen Staate, in welchem
er wohnt, das Wahlrecht und die sonst etwa bestehenden staats-
bürgerlichen Rechte auszuüben 1).

Es ergiebt sich hieraus, daß das elsaß-lothringische Staats-
bürgerrecht im Gegensatz zur Reichsangehörigkeit oder zum Reichs-
bürgerrecht genommen, ein völlig inhaltsloses Recht ohne Rechts-
wirkungen wäre; ein solches Recht zu fingiren, widerspricht aber
allen Regeln einer vernunftmäßigen juristischen Construktion.

Zu demselben Resultate führt auch eine andere Erwägung. Als
Elsaß-Lothringen im Frankfurter Frieden an Deutschland abgetreten
wurde, gab es unzweifelhaft keinen Elsaß-Lothringen'schen Staat und
keine Elsaß-Lothringen'schen Staatsbürger. Die Bewohner dieser
Gebiete waren bis zum Frieden Franzosen und wurden durch den
Frieden, der die Souveränität über Land und Leute an das Deutsche
Reich abtrat, Deutsche, soweit sie nicht von der ihnen vorbe-
haltenen Auswanderungsfreiheit (sogen. Option) Gebrauch machten.
Durch den Frieden selbst wurde unzweifelhaft ein elsaß-lothringischer
Staat nicht gebildet und ebensowenig durch das Vereinigungsgesetz
v. 9. Juni 1871.

Die Zusatzconvention zum Frankfurter Frieden vom 11. Dez.
1871 unterscheidet an sämmtlichen, die Nationalität betreffenden
Artikeln zwischen der Deutschen und der französischen Nationali-
tät; die im Art. 2. im deutschen Text erwähnten "Angehörigen
der abgetretenen Gebietstheile" werden im französischen Text be-
zeichnet als "individus originaires des territoires cedes"
also nicht dem Staatsverbande nach, sondern der Abstammung oder

der staatsbürgerlichen Rechte befindet, sofern er im Bezirke beziehungsweise
Kreise eine direkte Steuer zahlt."
1) S. oben S. 135. Rüttimann Nordamerikan. Bundesstaatsr. I. §. 94.
§. 54. Bundesglied und Reichsland.

Alſo nicht die Landesangehörigkeit, ſondern die Reichsange-
hörigkeit iſt entſcheidend. Jeder Deutſche, gleichviel welchem Ein-
zelſtaat er angehört, iſt zur Ausübung des Wahlrechts in Elſaß-
Lothringen befugt, wofern er nur im Reichslande wohnt. Es iſt
demnach für das Reichsland formell zwar das Reichsgeſetz vom
1. Juni 1870 eingeführt, materiell aber gerade das entgegenge-
ſetzte, in Nordamerika geltende Princip verwirklicht worden, wo-
nach das Bundesbürgerrecht das primäre Recht und das Staats-
bürgerrecht im Einzelſtaat die Folge und Wirkung deſſelben iſt,
d. h. der Bundesbürger iſt befugt in demjenigen Staate, in welchem
er wohnt, das Wahlrecht und die ſonſt etwa beſtehenden ſtaats-
bürgerlichen Rechte auszuüben 1).

Es ergiebt ſich hieraus, daß das elſaß-lothringiſche Staats-
bürgerrecht im Gegenſatz zur Reichsangehörigkeit oder zum Reichs-
bürgerrecht genommen, ein völlig inhaltsloſes Recht ohne Rechts-
wirkungen wäre; ein ſolches Recht zu fingiren, widerſpricht aber
allen Regeln einer vernunftmäßigen juriſtiſchen Conſtruktion.

Zu demſelben Reſultate führt auch eine andere Erwägung. Als
Elſaß-Lothringen im Frankfurter Frieden an Deutſchland abgetreten
wurde, gab es unzweifelhaft keinen Elſaß-Lothringen’ſchen Staat und
keine Elſaß-Lothringen’ſchen Staatsbürger. Die Bewohner dieſer
Gebiete waren bis zum Frieden Franzoſen und wurden durch den
Frieden, der die Souveränität über Land und Leute an das Deutſche
Reich abtrat, Deutſche, ſoweit ſie nicht von der ihnen vorbe-
haltenen Auswanderungsfreiheit (ſogen. Option) Gebrauch machten.
Durch den Frieden ſelbſt wurde unzweifelhaft ein elſaß-lothringiſcher
Staat nicht gebildet und ebenſowenig durch das Vereinigungsgeſetz
v. 9. Juni 1871.

Die Zuſatzconvention zum Frankfurter Frieden vom 11. Dez.
1871 unterſcheidet an ſämmtlichen, die Nationalität betreffenden
Artikeln zwiſchen der Deutſchen und der franzöſiſchen Nationali-
tät; die im Art. 2. im deutſchen Text erwähnten „Angehörigen
der abgetretenen Gebietstheile“ werden im franzöſiſchen Text be-
zeichnet als »individus originaires des territoires cédés«
alſo nicht dem Staatsverbande nach, ſondern der Abſtammung oder

der ſtaatsbürgerlichen Rechte befindet, ſofern er im Bezirke beziehungsweiſe
Kreiſe eine direkte Steuer zahlt.“
1) S. oben S. 135. Rüttimann Nordamerikan. Bundesſtaatsr. I. §. 94.
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[596/0616] §. 54. Bundesglied und Reichsland. Alſo nicht die Landesangehörigkeit, ſondern die Reichsange- hörigkeit iſt entſcheidend. Jeder Deutſche, gleichviel welchem Ein- zelſtaat er angehört, iſt zur Ausübung des Wahlrechts in Elſaß- Lothringen befugt, wofern er nur im Reichslande wohnt. Es iſt demnach für das Reichsland formell zwar das Reichsgeſetz vom 1. Juni 1870 eingeführt, materiell aber gerade das entgegenge- ſetzte, in Nordamerika geltende Princip verwirklicht worden, wo- nach das Bundesbürgerrecht das primäre Recht und das Staats- bürgerrecht im Einzelſtaat die Folge und Wirkung deſſelben iſt, d. h. der Bundesbürger iſt befugt in demjenigen Staate, in welchem er wohnt, das Wahlrecht und die ſonſt etwa beſtehenden ſtaats- bürgerlichen Rechte auszuüben 1). Es ergiebt ſich hieraus, daß das elſaß-lothringiſche Staats- bürgerrecht im Gegenſatz zur Reichsangehörigkeit oder zum Reichs- bürgerrecht genommen, ein völlig inhaltsloſes Recht ohne Rechts- wirkungen wäre; ein ſolches Recht zu fingiren, widerſpricht aber allen Regeln einer vernunftmäßigen juriſtiſchen Conſtruktion. Zu demſelben Reſultate führt auch eine andere Erwägung. Als Elſaß-Lothringen im Frankfurter Frieden an Deutſchland abgetreten wurde, gab es unzweifelhaft keinen Elſaß-Lothringen’ſchen Staat und keine Elſaß-Lothringen’ſchen Staatsbürger. Die Bewohner dieſer Gebiete waren bis zum Frieden Franzoſen und wurden durch den Frieden, der die Souveränität über Land und Leute an das Deutſche Reich abtrat, Deutſche, ſoweit ſie nicht von der ihnen vorbe- haltenen Auswanderungsfreiheit (ſogen. Option) Gebrauch machten. Durch den Frieden ſelbſt wurde unzweifelhaft ein elſaß-lothringiſcher Staat nicht gebildet und ebenſowenig durch das Vereinigungsgeſetz v. 9. Juni 1871. Die Zuſatzconvention zum Frankfurter Frieden vom 11. Dez. 1871 unterſcheidet an ſämmtlichen, die Nationalität betreffenden Artikeln zwiſchen der Deutſchen und der franzöſiſchen Nationali- tät; die im Art. 2. im deutſchen Text erwähnten „Angehörigen der abgetretenen Gebietstheile“ werden im franzöſiſchen Text be- zeichnet als »individus originaires des territoires cédés« alſo nicht dem Staatsverbande nach, ſondern der Abſtammung oder 1) 1) S. oben S. 135. Rüttimann Nordamerikan. Bundesſtaatsr. I. §. 94. 1) der ſtaatsbürgerlichen Rechte befindet, ſofern er im Bezirke beziehungsweiſe Kreiſe eine direkte Steuer zahlt.“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/616>, abgerufen am 25.11.2024.