Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 54. Bundesglied und Reichsland. von Preußen zum Bundesraths-Bevollmächtigten ernannt wordenund es ist dadurch eine neue Gewähr gegeben worden, daß es bei den Verhandlungen und Beschlüssen des Bundesrathes weder an genauer Kenntniß der Verhältnisse des Reichslandes noch an einer wirksamen Geltendmachung seiner Interessen fehle; man darf aber staatsrechtlich diese Thatsache nicht in der Art auffassen, als hätte Preußen von den ihm zustehenden 17 Stimmen eine an das Reichs- land abgetreten, deren Instruktion vom Kaiser als solchem d. h. im Gegensatz zum Könige von Preußen ausgehe. Denn nach der Reichsverfassung Art. 6 müssen die den einzelnen Staaten zustehen- den Stimmen einheitlich abgegeben werden. Es ist daher verfas- sungsmäßig unmöglich, daß im Bundesrath jemals die 17 Stimmen Preußens sich in 16 preußische und eine elsaß-lothringische zer- legen. Logisch unmöglich ist es aber, daß man für Elsaß-Loth- ringen eine oder einige neue Stimmen im Bundesrath errichtet und die Führung derselben dem Kaiser als solchem zuweist. Denn der Kaiser als solcher ist ein Organ des Reiches; das Reich kann aber sich selbst gegenüber keinerlei Mitgliedschaftsrechte ausüben, sowenig wie irgend eine andere juristische Person ihr eigenes Mit- glied sein kann. VI. Ebensowenig wie das Reichsland Mitgliedschaftsrechte 1) Der Beschluß des Bundesrathes v. 19. Febr. 1875 giebt jedoch Elsaß-
Lothringen einen Antheil an der Zusammensetzung der Reichsschulkommission. Siehe oben S. 324. Es ist dies bis jetzt der einzige Fall, in welchem das Reichsland in nicht finanziellen Angelegenheiten wie ein Gliedstaat behandelt wird; er beruht nicht auf einem staatsrechtlichen Prinzip, sondern ist eine Anomalie. §. 54. Bundesglied und Reichsland. von Preußen zum Bundesraths-Bevollmächtigten ernannt wordenund es iſt dadurch eine neue Gewähr gegeben worden, daß es bei den Verhandlungen und Beſchlüſſen des Bundesrathes weder an genauer Kenntniß der Verhältniſſe des Reichslandes noch an einer wirkſamen Geltendmachung ſeiner Intereſſen fehle; man darf aber ſtaatsrechtlich dieſe Thatſache nicht in der Art auffaſſen, als hätte Preußen von den ihm zuſtehenden 17 Stimmen eine an das Reichs- land abgetreten, deren Inſtruktion vom Kaiſer als ſolchem d. h. im Gegenſatz zum Könige von Preußen ausgehe. Denn nach der Reichsverfaſſung Art. 6 müſſen die den einzelnen Staaten zuſtehen- den Stimmen einheitlich abgegeben werden. Es iſt daher verfaſ- ſungsmäßig unmöglich, daß im Bundesrath jemals die 17 Stimmen Preußens ſich in 16 preußiſche und eine elſaß-lothringiſche zer- legen. Logiſch unmöglich iſt es aber, daß man für Elſaß-Loth- ringen eine oder einige neue Stimmen im Bundesrath errichtet und die Führung derſelben dem Kaiſer als ſolchem zuweiſt. Denn der Kaiſer als ſolcher iſt ein Organ des Reiches; das Reich kann aber ſich ſelbſt gegenüber keinerlei Mitgliedſchaftsrechte ausüben, ſowenig wie irgend eine andere juriſtiſche Perſon ihr eigenes Mit- glied ſein kann. VI. Ebenſowenig wie das Reichsland Mitgliedſchaftsrechte 1) Der Beſchluß des Bundesrathes v. 19. Febr. 1875 giebt jedoch Elſaß-
Lothringen einen Antheil an der Zuſammenſetzung der Reichsſchulkommiſſion. Siehe oben S. 324. Es iſt dies bis jetzt der einzige Fall, in welchem das Reichsland in nicht finanziellen Angelegenheiten wie ein Gliedſtaat behandelt wird; er beruht nicht auf einem ſtaatsrechtlichen Prinzip, ſondern iſt eine Anomalie. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0612" n="592"/><fw place="top" type="header">§. 54. Bundesglied und Reichsland.</fw><lb/> von Preußen zum Bundesraths-Bevollmächtigten ernannt worden<lb/> und es iſt dadurch eine neue Gewähr gegeben worden, daß es bei<lb/> den Verhandlungen und Beſchlüſſen des Bundesrathes weder an<lb/> genauer Kenntniß der Verhältniſſe des Reichslandes noch an einer<lb/> wirkſamen Geltendmachung ſeiner Intereſſen fehle; man darf aber<lb/> ſtaatsrechtlich dieſe Thatſache nicht in der Art auffaſſen, als hätte<lb/> Preußen von den ihm zuſtehenden 17 Stimmen eine an das Reichs-<lb/> land abgetreten, deren Inſtruktion vom Kaiſer als ſolchem d. h.<lb/> im Gegenſatz zum Könige von Preußen ausgehe. Denn nach der<lb/> Reichsverfaſſung Art. 6 müſſen die den einzelnen Staaten zuſtehen-<lb/> den Stimmen einheitlich abgegeben werden. Es iſt daher verfaſ-<lb/> ſungsmäßig unmöglich, daß im Bundesrath jemals die 17 Stimmen<lb/> Preußens ſich in 16 preußiſche und eine elſaß-lothringiſche zer-<lb/> legen. Logiſch unmöglich iſt es aber, daß man für Elſaß-Loth-<lb/> ringen eine oder einige neue Stimmen im Bundesrath errichtet<lb/> und die Führung derſelben dem Kaiſer als ſolchem zuweiſt. Denn<lb/> der Kaiſer als ſolcher iſt ein Organ des Reiches; das Reich kann<lb/> aber ſich ſelbſt gegenüber keinerlei Mitgliedſchaftsrechte ausüben,<lb/> ſowenig wie irgend eine andere juriſtiſche Perſon ihr eigenes Mit-<lb/> glied ſein kann.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">VI.</hi> Ebenſowenig wie das Reichsland Mitgliedſchaftsrechte<lb/> hat, ebenſowenig hat es auch <hi rendition="#g">Sonderrechte</hi> <note place="foot" n="1)">Der Beſchluß des Bundesrathes v. 19. Febr. 1875 giebt jedoch Elſaß-<lb/> Lothringen einen Antheil an der Zuſammenſetzung der Reichsſchulkommiſſion.<lb/> Siehe oben S. 324. Es iſt dies bis jetzt der einzige Fall, in welchem das<lb/> Reichsland in nicht finanziellen Angelegenheiten wie ein Gliedſtaat behandelt<lb/> wird; er beruht nicht auf einem ſtaatsrechtlichen Prinzip, ſondern iſt eine<lb/> Anomalie.</note>. Dagegen iſt<lb/> es nicht ausgeſchloſſen, daß für das Reichsland Ausnahmen von<lb/> reichsverfaſſungsmäßigen Grundſätzen beſtehen, durch welche es<lb/><hi rendition="#g">thatſächlich</hi> in dieſelbe Lage verſetzt wird, wie ſie für einzelne<lb/> Bundesſtaaten durch die ihnen zuſtehenden Sonderrechte begründet<lb/> wird. Dies iſt in der That der Fall. Das Geſ. v. 25. Juni<lb/> 1873 §. 4 ſchließt Elſaß-Lothringen von der Bierſteuer-Gemein-<lb/> ſchaft aus und §. 5 deſſelben Geſetzes geſtattet bis auf Weiteres die<lb/> Forterhebung des Octroi in Elſaß-Lothringen. Durch dieſe An-<lb/> ordnungen iſt das Reichsland aber nicht in diejenige ſtaatsrechtliche<lb/> Stellung in Betreff der Bierſteuer verſetzt worden, in welcher ſich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [592/0612]
§. 54. Bundesglied und Reichsland.
von Preußen zum Bundesraths-Bevollmächtigten ernannt worden
und es iſt dadurch eine neue Gewähr gegeben worden, daß es bei
den Verhandlungen und Beſchlüſſen des Bundesrathes weder an
genauer Kenntniß der Verhältniſſe des Reichslandes noch an einer
wirkſamen Geltendmachung ſeiner Intereſſen fehle; man darf aber
ſtaatsrechtlich dieſe Thatſache nicht in der Art auffaſſen, als hätte
Preußen von den ihm zuſtehenden 17 Stimmen eine an das Reichs-
land abgetreten, deren Inſtruktion vom Kaiſer als ſolchem d. h.
im Gegenſatz zum Könige von Preußen ausgehe. Denn nach der
Reichsverfaſſung Art. 6 müſſen die den einzelnen Staaten zuſtehen-
den Stimmen einheitlich abgegeben werden. Es iſt daher verfaſ-
ſungsmäßig unmöglich, daß im Bundesrath jemals die 17 Stimmen
Preußens ſich in 16 preußiſche und eine elſaß-lothringiſche zer-
legen. Logiſch unmöglich iſt es aber, daß man für Elſaß-Loth-
ringen eine oder einige neue Stimmen im Bundesrath errichtet
und die Führung derſelben dem Kaiſer als ſolchem zuweiſt. Denn
der Kaiſer als ſolcher iſt ein Organ des Reiches; das Reich kann
aber ſich ſelbſt gegenüber keinerlei Mitgliedſchaftsrechte ausüben,
ſowenig wie irgend eine andere juriſtiſche Perſon ihr eigenes Mit-
glied ſein kann.
VI. Ebenſowenig wie das Reichsland Mitgliedſchaftsrechte
hat, ebenſowenig hat es auch Sonderrechte 1). Dagegen iſt
es nicht ausgeſchloſſen, daß für das Reichsland Ausnahmen von
reichsverfaſſungsmäßigen Grundſätzen beſtehen, durch welche es
thatſächlich in dieſelbe Lage verſetzt wird, wie ſie für einzelne
Bundesſtaaten durch die ihnen zuſtehenden Sonderrechte begründet
wird. Dies iſt in der That der Fall. Das Geſ. v. 25. Juni
1873 §. 4 ſchließt Elſaß-Lothringen von der Bierſteuer-Gemein-
ſchaft aus und §. 5 deſſelben Geſetzes geſtattet bis auf Weiteres die
Forterhebung des Octroi in Elſaß-Lothringen. Durch dieſe An-
ordnungen iſt das Reichsland aber nicht in diejenige ſtaatsrechtliche
Stellung in Betreff der Bierſteuer verſetzt worden, in welcher ſich
1) Der Beſchluß des Bundesrathes v. 19. Febr. 1875 giebt jedoch Elſaß-
Lothringen einen Antheil an der Zuſammenſetzung der Reichsſchulkommiſſion.
Siehe oben S. 324. Es iſt dies bis jetzt der einzige Fall, in welchem das
Reichsland in nicht finanziellen Angelegenheiten wie ein Gliedſtaat behandelt
wird; er beruht nicht auf einem ſtaatsrechtlichen Prinzip, ſondern iſt eine
Anomalie.
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Zitationshilfe: | Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/612>, abgerufen am 16.02.2025. |