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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedschaft.
periode durch das Etatsgesetz. In beiden Fällen aber wäre die
landesgesetzliche Bestimmung wegen des Art. 2 der R.-V. ungültig,
da ihr die Anordnung des Art. 32 der Reichsverfassung vorgehen
würde.

3) Die Hauptwirkung des Art. 32 besteht darin, daß die
Reichsregierung nicht befugt ist, aus Reichsmitteln den Mitgliedern
des Reichstages eine Besoldung oder Entschädigung zu zahlen und
daß, so lange der Art. 32 nicht in verfassungsmäßiger Form auf-
gehoben ist, keine Geldmittel dafür in den Reichs-Haushalts-Etat
aufgenommen werden dürfen. Man hat es indeß für vereinbar
mit diesem Grundsatz erachtet, den Reichstagsmitgliedern während
der Sitzungsperioden, sowie acht Tage vor Beginn und nach Schluß
derselben, freie Fahrt auf den Staats- und Privat-Eisenbahnen zu
gewähren und den letzteren dafür eine Entschädigung aus Reichs-
mitteln zu zahlen, für welche die erforderliche Summe im Reichs-
Haushalts-Etat angesetzt ist 1).




1) Nachtrag zum Etat für 1874. Ges. vom 18. Febr. 1874. (R.-G.-Bl.
S. 15. 16) und Etat für 1875. Fortdauernde Ausgaben. Kapitel 3. (R.-G.-
Bl. 1874 S. 175.) Etat für 1876 Kap. 10 a. Mit einer Buchstaben-Interpretation
des Art. 32 läßt sich dies in Einklang bringen; mit dem Sinne und der ge-
setzgeberischen Tendenz desselben nicht. So gut wie auf den Eisenbahnen freie
Fahrt könnte man den Abgeordneten auf Reichskosten auch in Berlin selbst
Fuhrwerke zur unentgeltlichen Benutzung zur Verfügung stellen; sodann aber
auch Hotels zur unentgeltlichen Wohnung und Verpflegung, Eintrittskarten in
die Theater u. s. w. Alles dieses wäre weder Besoldung noch Entschädigung
im buchstäblichen Sinne. Soll aber die Diätenlosigkeit der Abgeordneten, wie
dies bei Feststellung dieses Artikels die bestimmt ausgesprochene Absicht war,
ein Correctiv des allgemeinen gleichen Wahlrechts sein, so darf die Reichsregie-
rung den Abgeordneten die Kosten, welche ihnen aus der Mitgliedschaft im
Reichstage erwachsen, nicht abnehmen, weder durch Geld noch durch Verschaffung
von Natural-Leistungen, wenn nicht die beabsichtigte Wirkung dieser Verfassungs-
bestimmung vereitelt werden soll. Bei den Berathungen im Reichstage am
13. Febr. 1874 (Stenogr. Ber. S. 60 fg.) wurde von dem Staatsminister
Delbrück darauf Gewicht gelegt, daß die Eisenbahnen feste Aversional-Ent-
schädigungen erhalten, gleichviel ob und in welchem Umfange die einzelnen Mit-
glieder des Reichstages von der Fahrkarte Gebrauch machen, dadurch seien die
Zahlungen "von den Personen der Herren vollständig losgelöst." Dieser Um-
stand ändert aber Nichts an der Thatsache, daß die Reichskasse Kosten trägt
für "Mitglieder des Reichstages als solche", welche dieselben sonst aus eigenen
Mitteln bestreiten müßten.
Laband, Reichsstaatsrecht. I. 37

§. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedſchaft.
periode durch das Etatsgeſetz. In beiden Fällen aber wäre die
landesgeſetzliche Beſtimmung wegen des Art. 2 der R.-V. ungültig,
da ihr die Anordnung des Art. 32 der Reichsverfaſſung vorgehen
würde.

3) Die Hauptwirkung des Art. 32 beſteht darin, daß die
Reichsregierung nicht befugt iſt, aus Reichsmitteln den Mitgliedern
des Reichstages eine Beſoldung oder Entſchädigung zu zahlen und
daß, ſo lange der Art. 32 nicht in verfaſſungsmäßiger Form auf-
gehoben iſt, keine Geldmittel dafür in den Reichs-Haushalts-Etat
aufgenommen werden dürfen. Man hat es indeß für vereinbar
mit dieſem Grundſatz erachtet, den Reichstagsmitgliedern während
der Sitzungsperioden, ſowie acht Tage vor Beginn und nach Schluß
derſelben, freie Fahrt auf den Staats- und Privat-Eiſenbahnen zu
gewähren und den letzteren dafür eine Entſchädigung aus Reichs-
mitteln zu zahlen, für welche die erforderliche Summe im Reichs-
Haushalts-Etat angeſetzt iſt 1).




1) Nachtrag zum Etat für 1874. Geſ. vom 18. Febr. 1874. (R.-G.-Bl.
S. 15. 16) und Etat für 1875. Fortdauernde Ausgaben. Kapitel 3. (R.-G.-
Bl. 1874 S. 175.) Etat für 1876 Kap. 10 a. Mit einer Buchſtaben-Interpretation
des Art. 32 läßt ſich dies in Einklang bringen; mit dem Sinne und der ge-
ſetzgeberiſchen Tendenz deſſelben nicht. So gut wie auf den Eiſenbahnen freie
Fahrt könnte man den Abgeordneten auf Reichskoſten auch in Berlin ſelbſt
Fuhrwerke zur unentgeltlichen Benutzung zur Verfügung ſtellen; ſodann aber
auch Hotels zur unentgeltlichen Wohnung und Verpflegung, Eintrittskarten in
die Theater u. ſ. w. Alles dieſes wäre weder Beſoldung noch Entſchädigung
im buchſtäblichen Sinne. Soll aber die Diätenloſigkeit der Abgeordneten, wie
dies bei Feſtſtellung dieſes Artikels die beſtimmt ausgeſprochene Abſicht war,
ein Correctiv des allgemeinen gleichen Wahlrechts ſein, ſo darf die Reichsregie-
rung den Abgeordneten die Koſten, welche ihnen aus der Mitgliedſchaft im
Reichstage erwachſen, nicht abnehmen, weder durch Geld noch durch Verſchaffung
von Natural-Leiſtungen, wenn nicht die beabſichtigte Wirkung dieſer Verfaſſungs-
beſtimmung vereitelt werden ſoll. Bei den Berathungen im Reichstage am
13. Febr. 1874 (Stenogr. Ber. S. 60 fg.) wurde von dem Staatsminiſter
Delbrück darauf Gewicht gelegt, daß die Eiſenbahnen feſte Averſional-Ent-
ſchädigungen erhalten, gleichviel ob und in welchem Umfange die einzelnen Mit-
glieder des Reichstages von der Fahrkarte Gebrauch machen, dadurch ſeien die
Zahlungen „von den Perſonen der Herren vollſtändig losgelöſt.“ Dieſer Um-
ſtand ändert aber Nichts an der Thatſache, daß die Reichskaſſe Koſten trägt
für „Mitglieder des Reichstages als ſolche“, welche dieſelben ſonſt aus eigenen
Mitteln beſtreiten müßten.
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 37
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[577/0597] §. 53. Die Unentgeltlichkeit der Reichstags-Mitgliedſchaft. periode durch das Etatsgeſetz. In beiden Fällen aber wäre die landesgeſetzliche Beſtimmung wegen des Art. 2 der R.-V. ungültig, da ihr die Anordnung des Art. 32 der Reichsverfaſſung vorgehen würde. 3) Die Hauptwirkung des Art. 32 beſteht darin, daß die Reichsregierung nicht befugt iſt, aus Reichsmitteln den Mitgliedern des Reichstages eine Beſoldung oder Entſchädigung zu zahlen und daß, ſo lange der Art. 32 nicht in verfaſſungsmäßiger Form auf- gehoben iſt, keine Geldmittel dafür in den Reichs-Haushalts-Etat aufgenommen werden dürfen. Man hat es indeß für vereinbar mit dieſem Grundſatz erachtet, den Reichstagsmitgliedern während der Sitzungsperioden, ſowie acht Tage vor Beginn und nach Schluß derſelben, freie Fahrt auf den Staats- und Privat-Eiſenbahnen zu gewähren und den letzteren dafür eine Entſchädigung aus Reichs- mitteln zu zahlen, für welche die erforderliche Summe im Reichs- Haushalts-Etat angeſetzt iſt 1). 1) Nachtrag zum Etat für 1874. Geſ. vom 18. Febr. 1874. (R.-G.-Bl. S. 15. 16) und Etat für 1875. Fortdauernde Ausgaben. Kapitel 3. (R.-G.- Bl. 1874 S. 175.) Etat für 1876 Kap. 10 a. Mit einer Buchſtaben-Interpretation des Art. 32 läßt ſich dies in Einklang bringen; mit dem Sinne und der ge- ſetzgeberiſchen Tendenz deſſelben nicht. So gut wie auf den Eiſenbahnen freie Fahrt könnte man den Abgeordneten auf Reichskoſten auch in Berlin ſelbſt Fuhrwerke zur unentgeltlichen Benutzung zur Verfügung ſtellen; ſodann aber auch Hotels zur unentgeltlichen Wohnung und Verpflegung, Eintrittskarten in die Theater u. ſ. w. Alles dieſes wäre weder Beſoldung noch Entſchädigung im buchſtäblichen Sinne. Soll aber die Diätenloſigkeit der Abgeordneten, wie dies bei Feſtſtellung dieſes Artikels die beſtimmt ausgeſprochene Abſicht war, ein Correctiv des allgemeinen gleichen Wahlrechts ſein, ſo darf die Reichsregie- rung den Abgeordneten die Koſten, welche ihnen aus der Mitgliedſchaft im Reichstage erwachſen, nicht abnehmen, weder durch Geld noch durch Verſchaffung von Natural-Leiſtungen, wenn nicht die beabſichtigte Wirkung dieſer Verfaſſungs- beſtimmung vereitelt werden ſoll. Bei den Berathungen im Reichstage am 13. Febr. 1874 (Stenogr. Ber. S. 60 fg.) wurde von dem Staatsminiſter Delbrück darauf Gewicht gelegt, daß die Eiſenbahnen feſte Averſional-Ent- ſchädigungen erhalten, gleichviel ob und in welchem Umfange die einzelnen Mit- glieder des Reichstages von der Fahrkarte Gebrauch machen, dadurch ſeien die Zahlungen „von den Perſonen der Herren vollſtändig losgelöſt.“ Dieſer Um- ſtand ändert aber Nichts an der Thatſache, daß die Reichskaſſe Koſten trägt für „Mitglieder des Reichstages als ſolche“, welche dieſelben ſonſt aus eigenen Mitteln beſtreiten müßten. Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 37

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/597>, abgerufen am 22.11.2024.