Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. Moralisch mögen die Mittel, welche zur Beeinflußung der Wählerverwendet werden, oft recht verwerflich sein; rechtlich ist ein Mittel nur unstatthaft, wenn es gesetzlich verboten ist. Die Praxis des Reichstages bei Prüfung der Wahlen ist auch im Wesentlichen von dem Grundsatz ausgegangen, daß solche Beeinflußungen von Wah- len, welche nicht gegen Strafgesetze verstoßen, für die Gültigkeit der Wahl ohne Belang sind 1). 5) Endlich ist hierher zu zählen die Bestimmung des Art. 21, 1) Eingehende Details bei v. Mohl a. a. O. S. 49 ff. Vergl. auch Bamberger in v. Holtzend. Jahrb. I. S. 160 ff. Sehr empfindlich hat sich aber der Reichstag wiederholt in dem Falle gezeigt, wenn ein Gensdarm die, jedem andern Menschen freistehende Befugniß, Stimmzettel zu vertheilen, aus- geübt hat. Vgl. z. B. Stenogr. Berichte 1874 I. Sess. S. 689 ff. 187 4/5 S. 870 ff. 2) Der verfassungsber. Reichstag von 1867 hat einen Antrag, die Befrei-
ung der Beamten von den Stellvertretungskosten auszusprechen, verworfen. Stenogr. Berichte S. 711. Daraus folgt nicht, daß die einzelnen Regierungen den Beamten Gehalts-Abzüge machen oder von ihnen die Stellvertretungskosten einziehen müssen oder auch nur dürfen, wie Hiersemenzel I. S. 84. Thu- dichum S. 155. Auerbach S. 112 annehmen; sondern die Frage ist in jedem einzelnen Staat und für jede Kategorie von Beamten nach dem parti- kulären Staats- und Verwaltungsrechte zu entscheiden. Vgl. v. Martitz Be- trachtungen S. 82 Note 77. Meyer, Grundz. S. 100. Riedel S. 112. v. Rönne S. 165 Note c. Seydel S. 145. v. Mohl S. 352. In Preußen werden die Stellvertretungskosten für die aus Staatsfonds be- §. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. Moraliſch mögen die Mittel, welche zur Beeinflußung der Wählerverwendet werden, oft recht verwerflich ſein; rechtlich iſt ein Mittel nur unſtatthaft, wenn es geſetzlich verboten iſt. Die Praxis des Reichstages bei Prüfung der Wahlen iſt auch im Weſentlichen von dem Grundſatz ausgegangen, daß ſolche Beeinflußungen von Wah- len, welche nicht gegen Strafgeſetze verſtoßen, für die Gültigkeit der Wahl ohne Belang ſind 1). 5) Endlich iſt hierher zu zählen die Beſtimmung des Art. 21, 1) Eingehende Details bei v. Mohl a. a. O. S. 49 ff. Vergl. auch Bamberger in v. Holtzend. Jahrb. I. S. 160 ff. Sehr empfindlich hat ſich aber der Reichstag wiederholt in dem Falle gezeigt, wenn ein Gensdarm die, jedem andern Menſchen freiſtehende Befugniß, Stimmzettel zu vertheilen, aus- geübt hat. Vgl. z. B. Stenogr. Berichte 1874 I. Seſſ. S. 689 ff. 187⅘ S. 870 ff. 2) Der verfaſſungsber. Reichstag von 1867 hat einen Antrag, die Befrei-
ung der Beamten von den Stellvertretungskoſten auszuſprechen, verworfen. Stenogr. Berichte S. 711. Daraus folgt nicht, daß die einzelnen Regierungen den Beamten Gehalts-Abzüge machen oder von ihnen die Stellvertretungskoſten einziehen müſſen oder auch nur dürfen, wie Hierſemenzel I. S. 84. Thu- dichum S. 155. Auerbach S. 112 annehmen; ſondern die Frage iſt in jedem einzelnen Staat und für jede Kategorie von Beamten nach dem parti- kulären Staats- und Verwaltungsrechte zu entſcheiden. Vgl. v. Martitz Be- trachtungen S. 82 Note 77. Meyer, Grundz. S. 100. Riedel S. 112. v. Rönne S. 165 Note c. Seydel S. 145. v. Mohl S. 352. In Preußen werden die Stellvertretungskoſten für die aus Staatsfonds be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0571" n="551"/><fw place="top" type="header">§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.</fw><lb/> Moraliſch mögen die Mittel, welche zur Beeinflußung der Wähler<lb/> verwendet werden, oft recht verwerflich ſein; rechtlich iſt ein Mittel<lb/> nur unſtatthaft, wenn es geſetzlich verboten iſt. Die Praxis des<lb/> Reichstages bei Prüfung der Wahlen iſt auch im Weſentlichen von<lb/> dem Grundſatz ausgegangen, daß ſolche Beeinflußungen von Wah-<lb/> len, welche nicht gegen Strafgeſetze verſtoßen, für die Gültigkeit<lb/> der Wahl ohne Belang ſind <note place="foot" n="1)">Eingehende Details bei v. <hi rendition="#g">Mohl</hi> a. a. O. S. 49 ff. Vergl. auch<lb/><hi rendition="#g">Bamberger</hi> in v. Holtzend. Jahrb. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 160 ff. Sehr empfindlich hat ſich<lb/> aber der Reichstag wiederholt in dem Falle gezeigt, wenn ein Gensdarm die,<lb/> jedem andern Menſchen freiſtehende Befugniß, Stimmzettel zu vertheilen, aus-<lb/> geübt hat. Vgl. z. B. Stenogr. Berichte 1874 <hi rendition="#aq">I.</hi> Seſſ. S. 689 ff. 187⅘<lb/> S. 870 ff.</note>.</p><lb/> <p>5) Endlich iſt hierher zu zählen die Beſtimmung des Art. 21,<lb/> Abſ. 1 der Reichsverf.: „Beamte bedürfen keines Urlaubs zum<lb/> Eintritt in den Reichstag“. Dieſe Beſtimmung ſtellt das allge-<lb/> meine Wahlrecht in der Richtung ſicher, daß der durch dasſelbe<lb/> zum Mitglied des Reichstages Berufene nicht durch die ihm dienſt-<lb/> lich vorgeſetzte Behörde gehindert werden darf, die ihm übertragene<lb/> Function auszuüben. Die Beſtimmung enthält keinen anderen<lb/> Satz, als daß der Beamte, welcher ſeinen Dienſt verläßt, um der<lb/> auf ihn gefallenen Wahl Folge zu leiſten, keine unbefugte und<lb/> ſchuldbare Verletzung der Dienſtpflichten verübt und daß er keiner<lb/><hi rendition="#g">Erlaubniß</hi> ſeiner vorgeſetzten Behörde zum Eintritt in den<lb/> Reichstag bedarf. Dagegen enthält dieſer Artikel gar nichts über<lb/> anderweitige Rechtsfolgen, welche ſich für den Beamten an den<lb/> Eintritt in den Reichstag knüpfen können, namentlich keine Ent-<lb/> ſcheidung der Frage, ob ein Abzug vom Gehalte ſtattfindet oder<lb/> dem Beamten die Stellvertretungskoſten zur Laſt fallen <note xml:id="seg2pn_63_1" next="#seg2pn_63_2" place="foot" n="2)">Der verfaſſungsber. Reichstag von 1867 hat einen Antrag, die Befrei-<lb/> ung der Beamten von den Stellvertretungskoſten auszuſprechen, verworfen.<lb/> Stenogr. Berichte S. 711. Daraus folgt nicht, daß die einzelnen Regierungen<lb/> den Beamten Gehalts-Abzüge machen oder von ihnen die Stellvertretungskoſten<lb/> einziehen müſſen oder auch nur dürfen, wie <hi rendition="#g">Hierſemenzel</hi> <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 84. <hi rendition="#g">Thu-<lb/> dichum</hi> S. 155. <hi rendition="#g">Auerbach</hi> S. 112 annehmen; ſondern die Frage iſt in<lb/> jedem einzelnen Staat und für jede Kategorie von Beamten nach dem parti-<lb/> kulären Staats- und Verwaltungsrechte zu entſcheiden. Vgl. v. <hi rendition="#g">Martitz</hi> Be-<lb/> trachtungen S. 82 Note 77. <hi rendition="#g">Meyer</hi>, Grundz. S. 100. <hi rendition="#g">Riedel</hi> S. 112.<lb/> v. <hi rendition="#g">Rönne</hi> S. 165 Note <hi rendition="#aq">c.</hi> <hi rendition="#g">Seydel</hi> S. 145. v. <hi rendition="#g">Mohl</hi> S. 352. In<lb/><hi rendition="#g">Preußen</hi> werden die Stellvertretungskoſten für die aus Staatsfonds be-</note>. Für<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [551/0571]
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Moraliſch mögen die Mittel, welche zur Beeinflußung der Wähler
verwendet werden, oft recht verwerflich ſein; rechtlich iſt ein Mittel
nur unſtatthaft, wenn es geſetzlich verboten iſt. Die Praxis des
Reichstages bei Prüfung der Wahlen iſt auch im Weſentlichen von
dem Grundſatz ausgegangen, daß ſolche Beeinflußungen von Wah-
len, welche nicht gegen Strafgeſetze verſtoßen, für die Gültigkeit
der Wahl ohne Belang ſind 1).
5) Endlich iſt hierher zu zählen die Beſtimmung des Art. 21,
Abſ. 1 der Reichsverf.: „Beamte bedürfen keines Urlaubs zum
Eintritt in den Reichstag“. Dieſe Beſtimmung ſtellt das allge-
meine Wahlrecht in der Richtung ſicher, daß der durch dasſelbe
zum Mitglied des Reichstages Berufene nicht durch die ihm dienſt-
lich vorgeſetzte Behörde gehindert werden darf, die ihm übertragene
Function auszuüben. Die Beſtimmung enthält keinen anderen
Satz, als daß der Beamte, welcher ſeinen Dienſt verläßt, um der
auf ihn gefallenen Wahl Folge zu leiſten, keine unbefugte und
ſchuldbare Verletzung der Dienſtpflichten verübt und daß er keiner
Erlaubniß ſeiner vorgeſetzten Behörde zum Eintritt in den
Reichstag bedarf. Dagegen enthält dieſer Artikel gar nichts über
anderweitige Rechtsfolgen, welche ſich für den Beamten an den
Eintritt in den Reichstag knüpfen können, namentlich keine Ent-
ſcheidung der Frage, ob ein Abzug vom Gehalte ſtattfindet oder
dem Beamten die Stellvertretungskoſten zur Laſt fallen 2). Für
1) Eingehende Details bei v. Mohl a. a. O. S. 49 ff. Vergl. auch
Bamberger in v. Holtzend. Jahrb. I. S. 160 ff. Sehr empfindlich hat ſich
aber der Reichstag wiederholt in dem Falle gezeigt, wenn ein Gensdarm die,
jedem andern Menſchen freiſtehende Befugniß, Stimmzettel zu vertheilen, aus-
geübt hat. Vgl. z. B. Stenogr. Berichte 1874 I. Seſſ. S. 689 ff. 187⅘
S. 870 ff.
2) Der verfaſſungsber. Reichstag von 1867 hat einen Antrag, die Befrei-
ung der Beamten von den Stellvertretungskoſten auszuſprechen, verworfen.
Stenogr. Berichte S. 711. Daraus folgt nicht, daß die einzelnen Regierungen
den Beamten Gehalts-Abzüge machen oder von ihnen die Stellvertretungskoſten
einziehen müſſen oder auch nur dürfen, wie Hierſemenzel I. S. 84. Thu-
dichum S. 155. Auerbach S. 112 annehmen; ſondern die Frage iſt in
jedem einzelnen Staat und für jede Kategorie von Beamten nach dem parti-
kulären Staats- und Verwaltungsrechte zu entſcheiden. Vgl. v. Martitz Be-
trachtungen S. 82 Note 77. Meyer, Grundz. S. 100. Riedel S. 112.
v. Rönne S. 165 Note c. Seydel S. 145. v. Mohl S. 352. In
Preußen werden die Stellvertretungskoſten für die aus Staatsfonds be-
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