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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
Abgeordneten bilden nicht den Gegenstand von Sonderrechten
(iura singularia); sie sind vielmehr lediglich das Ergebniß der
Anwendung eines allgemeinen Princips 1). Zu einer Aufhebung
oder Veränderung dieses Princips ist daher nicht die individuelle
Zustimmung der einzelnen Staaten erforderlich, auch nicht der im
Art. 20 Abs. 2 aufgeführten vier süddeutschen Staaten. R.-V. Art. 78
Abs. 2 ist hierauf nicht anwendbar 2). Dagegen ist in dem Princip
der Gleichberechtigung aller Mitglieder des Reiches der Satz ent-
halten, daß nicht einem oder einigen Staaten ohne ihre Zustim-
mung diejenige Anzahl von Abgeordneten geschmälert werden kann,
welche sich für sie aus der gleichmäßigen Anwendung des allgemeinen
Princips ergiebt 3).

IV. Die Wahlkreise.

"Jeder Abgeordnete wird in einem
besonderen Wahlkreise gewählt" 4). Für die Bildung der Wahlkreise
gilt der Grundsatz, daß sie räumlich abgegrenzt und thunlichst
abgerundet sein müssen 5), d. h. jeder Wahlkreis bildet einen
geographischen Bezirk, in welchem alle, in demselben wohnenden
Wahlberechtigten zu einer Wählerschaft verbunden sind ohne Unter-
schied des Standes oder der socialen Klasse 6). Die räumliche
Abgeschlossenheit und Abrundung der Wahlkreise erleidet eine Aus-
nahme nur durch die Rücksicht auf die Gebietshoheit der Einzel-
staaten in Ansehung der Enclaven. (Siehe oben S. 502.)

"Ein Reichsgesetz wird die Abgrenzung der Wahlkreise bestim-
men" 7). Bis dahin sind die Wahlkreise so beizubehalten, wie sie
beim Erlaß des Wahlgesetzes waren, mit Ausnahme derjenigen,
welche damals nicht örtlich abgegrenzt und zu einem räumlich zu-

1) Noch viel weniger passen sie unter den Begriff der iura singulorum
im eigentl. Sinne, wie er oben S. 121 fg. entwickelt worden ist.
2) Vgl. Laband in Hirth's Annalen 1874 S. 1512.
3) Siehe oben S. 112 und Hirth's Annalen 1874 S. 1514 fg.
4) Wahlges. §. 6 Abs. 1.
5) Wahlges. §. 6 Abs. 3.
6) Die Veranlassung zu der scharfen Hervorhebung dieses Grundsatzes bot
das in Mecklenburg bei den ersten Reichstagswahlen eingeschlagene Verfahren,
die Wahlkörperschaften nach Domanium, Rittergütern und Städten zu bilden.
Staatsminister Delbrück bemerkte im Reichstage am 13. Dez. 1869, daß
durch die in Rede stehende Anordnung des Wahlgesetzes der Wiederholung dieses
Verfahrens vorgebeugt werden sollte. Stenogr. Berichte 1869 S. 41.
7) Wahlges. §. 6 Abs. 4.

§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
Abgeordneten bilden nicht den Gegenſtand von Sonderrechten
(iura singularia); ſie ſind vielmehr lediglich das Ergebniß der
Anwendung eines allgemeinen Princips 1). Zu einer Aufhebung
oder Veränderung dieſes Princips iſt daher nicht die individuelle
Zuſtimmung der einzelnen Staaten erforderlich, auch nicht der im
Art. 20 Abſ. 2 aufgeführten vier ſüddeutſchen Staaten. R.-V. Art. 78
Abſ. 2 iſt hierauf nicht anwendbar 2). Dagegen iſt in dem Princip
der Gleichberechtigung aller Mitglieder des Reiches der Satz ent-
halten, daß nicht einem oder einigen Staaten ohne ihre Zuſtim-
mung diejenige Anzahl von Abgeordneten geſchmälert werden kann,
welche ſich für ſie aus der gleichmäßigen Anwendung des allgemeinen
Princips ergiebt 3).

IV. Die Wahlkreiſe.

„Jeder Abgeordnete wird in einem
beſonderen Wahlkreiſe gewählt“ 4). Für die Bildung der Wahlkreiſe
gilt der Grundſatz, daß ſie räumlich abgegrenzt und thunlichſt
abgerundet ſein müſſen 5), d. h. jeder Wahlkreis bildet einen
geographiſchen Bezirk, in welchem alle, in demſelben wohnenden
Wahlberechtigten zu einer Wählerſchaft verbunden ſind ohne Unter-
ſchied des Standes oder der ſocialen Klaſſe 6). Die räumliche
Abgeſchloſſenheit und Abrundung der Wahlkreiſe erleidet eine Aus-
nahme nur durch die Rückſicht auf die Gebietshoheit der Einzel-
ſtaaten in Anſehung der Enclaven. (Siehe oben S. 502.)

„Ein Reichsgeſetz wird die Abgrenzung der Wahlkreiſe beſtim-
men“ 7). Bis dahin ſind die Wahlkreiſe ſo beizubehalten, wie ſie
beim Erlaß des Wahlgeſetzes waren, mit Ausnahme derjenigen,
welche damals nicht örtlich abgegrenzt und zu einem räumlich zu-

1) Noch viel weniger paſſen ſie unter den Begriff der iura singulorum
im eigentl. Sinne, wie er oben S. 121 fg. entwickelt worden iſt.
2) Vgl. Laband in Hirth’s Annalen 1874 S. 1512.
3) Siehe oben S. 112 und Hirth’s Annalen 1874 S. 1514 fg.
4) Wahlgeſ. §. 6 Abſ. 1.
5) Wahlgeſ. §. 6 Abſ. 3.
6) Die Veranlaſſung zu der ſcharfen Hervorhebung dieſes Grundſatzes bot
das in Mecklenburg bei den erſten Reichstagswahlen eingeſchlagene Verfahren,
die Wahlkörperſchaften nach Domanium, Rittergütern und Städten zu bilden.
Staatsminiſter Delbrück bemerkte im Reichstage am 13. Dez. 1869, daß
durch die in Rede ſtehende Anordnung des Wahlgeſetzes der Wiederholung dieſes
Verfahrens vorgebeugt werden ſollte. Stenogr. Berichte 1869 S. 41.
7) Wahlgeſ. §. 6 Abſ. 4.
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[533/0553] §. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. Abgeordneten bilden nicht den Gegenſtand von Sonderrechten (iura singularia); ſie ſind vielmehr lediglich das Ergebniß der Anwendung eines allgemeinen Princips 1). Zu einer Aufhebung oder Veränderung dieſes Princips iſt daher nicht die individuelle Zuſtimmung der einzelnen Staaten erforderlich, auch nicht der im Art. 20 Abſ. 2 aufgeführten vier ſüddeutſchen Staaten. R.-V. Art. 78 Abſ. 2 iſt hierauf nicht anwendbar 2). Dagegen iſt in dem Princip der Gleichberechtigung aller Mitglieder des Reiches der Satz ent- halten, daß nicht einem oder einigen Staaten ohne ihre Zuſtim- mung diejenige Anzahl von Abgeordneten geſchmälert werden kann, welche ſich für ſie aus der gleichmäßigen Anwendung des allgemeinen Princips ergiebt 3). IV. Die Wahlkreiſe. „Jeder Abgeordnete wird in einem beſonderen Wahlkreiſe gewählt“ 4). Für die Bildung der Wahlkreiſe gilt der Grundſatz, daß ſie räumlich abgegrenzt und thunlichſt abgerundet ſein müſſen 5), d. h. jeder Wahlkreis bildet einen geographiſchen Bezirk, in welchem alle, in demſelben wohnenden Wahlberechtigten zu einer Wählerſchaft verbunden ſind ohne Unter- ſchied des Standes oder der ſocialen Klaſſe 6). Die räumliche Abgeſchloſſenheit und Abrundung der Wahlkreiſe erleidet eine Aus- nahme nur durch die Rückſicht auf die Gebietshoheit der Einzel- ſtaaten in Anſehung der Enclaven. (Siehe oben S. 502.) „Ein Reichsgeſetz wird die Abgrenzung der Wahlkreiſe beſtim- men“ 7). Bis dahin ſind die Wahlkreiſe ſo beizubehalten, wie ſie beim Erlaß des Wahlgeſetzes waren, mit Ausnahme derjenigen, welche damals nicht örtlich abgegrenzt und zu einem räumlich zu- 1) Noch viel weniger paſſen ſie unter den Begriff der iura singulorum im eigentl. Sinne, wie er oben S. 121 fg. entwickelt worden iſt. 2) Vgl. Laband in Hirth’s Annalen 1874 S. 1512. 3) Siehe oben S. 112 und Hirth’s Annalen 1874 S. 1514 fg. 4) Wahlgeſ. §. 6 Abſ. 1. 5) Wahlgeſ. §. 6 Abſ. 3. 6) Die Veranlaſſung zu der ſcharfen Hervorhebung dieſes Grundſatzes bot das in Mecklenburg bei den erſten Reichstagswahlen eingeſchlagene Verfahren, die Wahlkörperſchaften nach Domanium, Rittergütern und Städten zu bilden. Staatsminiſter Delbrück bemerkte im Reichstage am 13. Dez. 1869, daß durch die in Rede ſtehende Anordnung des Wahlgeſetzes der Wiederholung dieſes Verfahrens vorgebeugt werden ſollte. Stenogr. Berichte 1869 S. 41. 7) Wahlgeſ. §. 6 Abſ. 4.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/553>, abgerufen am 25.11.2024.