Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. auch gar nicht bestimmen, sondern nur nach dem Motive des Thä-ters. Ein sehr großer Theil, vielleicht die Mehrzahl, aller Verbre- chensarten kann aus politischen Beweggründen verübt werden und andererseits brauchen die "gegen den Staat" gerichteten Verbrechen, wie Hochverrath und Landesverrath u. s. w., durchaus nicht immer politisch zu sein, da sie auch aus höchst egoistischen und ehrlosen Motiven begangen werden können. Da nun die Motive der ver- brecherischen That nicht durch rechtskräftiges Erkenntniß festgestellt werden, so fehlt es an einem juristischen Kriterium dafür, ob eine Verurtheilung wegen eines politischen Verbrechens oder Ver- gehens stattgefunden hat. Die Handhabung der in Rede stehenden Bestimmung des Wahlgesetzes müßte daher in der Praxis große Schwierigkeiten machen, wenn nicht das Reichsstrafgesetzbuch ihr den größten Theil ihrer praktischen Wichtigkeit indirekt entzogen hätte. Nach dem R.-St.-G.-B. zieht niemals irgend eine Strafe, 1) R.-St.-G.-B. §. 20. 2) Ausgenommen bei Verurtheilungen wegen Meineids (R.-St.-G.-B. §. 161)
und der schweren Fälle der Kuppelei des §. 181, die hier nicht in Betracht kommen können. §. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. auch gar nicht beſtimmen, ſondern nur nach dem Motive des Thä-ters. Ein ſehr großer Theil, vielleicht die Mehrzahl, aller Verbre- chensarten kann aus politiſchen Beweggründen verübt werden und andererſeits brauchen die „gegen den Staat“ gerichteten Verbrechen, wie Hochverrath und Landesverrath u. ſ. w., durchaus nicht immer politiſch zu ſein, da ſie auch aus höchſt egoiſtiſchen und ehrloſen Motiven begangen werden können. Da nun die Motive der ver- brecheriſchen That nicht durch rechtskräftiges Erkenntniß feſtgeſtellt werden, ſo fehlt es an einem juriſtiſchen Kriterium dafür, ob eine Verurtheilung wegen eines politiſchen Verbrechens oder Ver- gehens ſtattgefunden hat. Die Handhabung der in Rede ſtehenden Beſtimmung des Wahlgeſetzes müßte daher in der Praxis große Schwierigkeiten machen, wenn nicht das Reichsſtrafgeſetzbuch ihr den größten Theil ihrer praktiſchen Wichtigkeit indirekt entzogen hätte. Nach dem R.-St.-G.-B. zieht niemals irgend eine Strafe, 1) R.-St.-G.-B. §. 20. 2) Ausgenommen bei Verurtheilungen wegen Meineids (R.-St.-G.-B. §. 161)
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§. 49. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
auch gar nicht beſtimmen, ſondern nur nach dem Motive des Thä-
ters. Ein ſehr großer Theil, vielleicht die Mehrzahl, aller Verbre-
chensarten kann aus politiſchen Beweggründen verübt werden und
andererſeits brauchen die „gegen den Staat“ gerichteten Verbrechen,
wie Hochverrath und Landesverrath u. ſ. w., durchaus nicht immer
politiſch zu ſein, da ſie auch aus höchſt egoiſtiſchen und ehrloſen
Motiven begangen werden können. Da nun die Motive der ver-
brecheriſchen That nicht durch rechtskräftiges Erkenntniß feſtgeſtellt
werden, ſo fehlt es an einem juriſtiſchen Kriterium dafür, ob eine
Verurtheilung wegen eines politiſchen Verbrechens oder Ver-
gehens ſtattgefunden hat. Die Handhabung der in Rede ſtehenden
Beſtimmung des Wahlgeſetzes müßte daher in der Praxis große
Schwierigkeiten machen, wenn nicht das Reichsſtrafgeſetzbuch ihr den
größten Theil ihrer praktiſchen Wichtigkeit indirekt entzogen hätte.
Nach dem R.-St.-G.-B. zieht niemals irgend eine Strafe,
auch die Zuchthausſtrafe nicht, den Verluſt der bürgerlichen Ehren-
rechte nach ſich, ſondern es muß auf dieſe acceſſoriſche Strafe immer
beſonders erkannt werden. Neben der Gefängnißſtrafe kann dies
nur in den im §. 32 angeführten beiden Fällen geſchehen. Neben
der Zuchthausſtrafe kann zwar immer auf den Verluſt der bürger-
lichen Ehrenrechte erkannt werden, in allen Fällen aber, wo das
Geſetz die Wahl zwiſchen Zuchthaus oder Feſtungshaft geſtattet,
darf auf Zuchthaus nur dann erkannt werden, wenn feſtgeſtellt wird,
daß die ſtrafbar befundene Handlung aus einer ehrloſen Geſinnung
entſprungen iſt 1). Da nun politiſche Verbrechen und Vergehen
grade darin ihr charakteriſtiſches Weſen haben, daß ſie nicht aus
einer ehrloſen Geſinnung entſpringen, und der Richter, ſelbſt in
den Fällen, in denen er auf Zuchthaus erkennen muß, weil Fe-
ſtungshaft nicht alternativ angedroht iſt, nicht genöthigt iſt, zu-
gleich die bürgerl. Ehrenrechte abzuerkennen 2), ſo ſichert dieſe Be-
ſtimmungen des R.-St.-G.-Buchs im Weſentlichen das Reſultat,
daß bei allen politiſchen Verbrechen und Vergehen der Verluſt der
bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt gar nicht durch richterliches Er-
kenntniß verhängt wird, und daß andererſeits in den Fällen, in
1) R.-St.-G.-B. §. 20.
2) Ausgenommen bei Verurtheilungen wegen Meineids (R.-St.-G.-B. §. 161)
und der ſchweren Fälle der Kuppelei des §. 181, die hier nicht in Betracht
kommen können.
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