Man könnte vielleicht darauf Gewicht legen, daß in der Ge- schäfts-Ordnung des Reichstages §. 30. 31. die Behandlung der Interpellationen geregelt ist und dadurch die Stellung von Inter- pellationen ein juristisch bestimmtes Institut des öffentlichen Rechts geworden sei. Eine solche Auffassung würde aber auf einer un- richtigen Würdigung der Geschäftsordnung beruhen.
Im Laufe jeder Verhandlung des Reichstages kann jedes Reichstagsmitglied über jeden, mit dem Gegenstande der Verhand- lung in Zusammenhang stehenden Punkt Fragen an den Reichs- kanzler oder den Präsidenten des Reichskanzler-Amts oder einen Regierungskommissar richten, ohne daß es irgend welcher Förmlich- keiten bedarf und ohne daß die §§. 30. 31 der Gesch.-Ordn. An- wendung finden. Von dieser Befugniß ist in unzähligen Fällen Ge- brauch gemacht worden. Eine Interpellation unterscheidet sich von einer solchen Anfrage aber dadurch, daß sie einen Gegenstand betrifft, der nicht anderweitig zur Verhandlung steht, daß sie einen besonderen Punkt der Tagesordnung bildet. Es kann nun nicht jedem einzelnen Mitgliede des Reichstages frei stehen, beliebige Gegenstände zur Sprache zu bringen und die Zeit und Arbeitskraft des Reichstages in Anspruch zu nehmen. Eine Garantie gegen willkührliche und unangemessene Interpellationen und einen Schutz der Geschäfts- Oekonomie hat der Reichstag deshalb durch die Bestimmung gesucht, daß die Interpellation von 30 Mitgliedern unterzeichnet sein und dem Präsidenten des Reichstages bestimmt formulirt überreicht werden muß; sowie, daß eine Besprechung des Gegenstandes nur dann stattfindet, wenn mindestens 50 Mitglieder darauf antragen. Die Geschäfts-Ordnung begründet demnach kein Recht des Reichs- tages oder der Reichstagsmitglieder, was sie ja überhaupt nicht vermag, sondern sie legt den Mitgliedern des Reichstages eine Schranke auf, die Zeit des Reichstages durch Fragen an die Regierung zu verbrauchen und die Erledigung der dem Reichstage obliegenden Geschäfte zu verzögern. Diese, im Interesse der Ge- schäfsordnung gezogenen Beschränkungen geben aber der Stellung von Interpellationen an den Reichskanzler keinen positiven Rechts- Inhalt. Ueberdies ist noch hervorzuheben, daß niemals vom Reichstage als solchem, sondern immer nur von einem oder mehreren einzelnen Reichstags-Abgeordneten interpellirt wird. Die Stellung eines Antrages bei Gelegenheit einer Interpellation ist in der
§. 48. Die Zuſtändigkeit des Reichstages.
Man könnte vielleicht darauf Gewicht legen, daß in der Ge- ſchäfts-Ordnung des Reichstages §. 30. 31. die Behandlung der Interpellationen geregelt iſt und dadurch die Stellung von Inter- pellationen ein juriſtiſch beſtimmtes Inſtitut des öffentlichen Rechts geworden ſei. Eine ſolche Auffaſſung würde aber auf einer un- richtigen Würdigung der Geſchäftsordnung beruhen.
Im Laufe jeder Verhandlung des Reichstages kann jedes Reichstagsmitglied über jeden, mit dem Gegenſtande der Verhand- lung in Zuſammenhang ſtehenden Punkt Fragen an den Reichs- kanzler oder den Präſidenten des Reichskanzler-Amts oder einen Regierungskommiſſar richten, ohne daß es irgend welcher Förmlich- keiten bedarf und ohne daß die §§. 30. 31 der Geſch.-Ordn. An- wendung finden. Von dieſer Befugniß iſt in unzähligen Fällen Ge- brauch gemacht worden. Eine Interpellation unterſcheidet ſich von einer ſolchen Anfrage aber dadurch, daß ſie einen Gegenſtand betrifft, der nicht anderweitig zur Verhandlung ſteht, daß ſie einen beſonderen Punkt der Tagesordnung bildet. Es kann nun nicht jedem einzelnen Mitgliede des Reichstages frei ſtehen, beliebige Gegenſtände zur Sprache zu bringen und die Zeit und Arbeitskraft des Reichstages in Anſpruch zu nehmen. Eine Garantie gegen willkührliche und unangemeſſene Interpellationen und einen Schutz der Geſchäfts- Oekonomie hat der Reichstag deshalb durch die Beſtimmung geſucht, daß die Interpellation von 30 Mitgliedern unterzeichnet ſein und dem Präſidenten des Reichstages beſtimmt formulirt überreicht werden muß; ſowie, daß eine Beſprechung des Gegenſtandes nur dann ſtattfindet, wenn mindeſtens 50 Mitglieder darauf antragen. Die Geſchäfts-Ordnung begründet demnach kein Recht des Reichs- tages oder der Reichstagsmitglieder, was ſie ja überhaupt nicht vermag, ſondern ſie legt den Mitgliedern des Reichstages eine Schranke auf, die Zeit des Reichstages durch Fragen an die Regierung zu verbrauchen und die Erledigung der dem Reichstage obliegenden Geſchäfte zu verzögern. Dieſe, im Intereſſe der Ge- ſchäfsordnung gezogenen Beſchränkungen geben aber der Stellung von Interpellationen an den Reichskanzler keinen poſitiven Rechts- Inhalt. Ueberdies iſt noch hervorzuheben, daß niemals vom Reichstage als ſolchem, ſondern immer nur von einem oder mehreren einzelnen Reichstags-Abgeordneten interpellirt wird. Die Stellung eines Antrages bei Gelegenheit einer Interpellation iſt in der
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§. 48. Die Zuſtändigkeit des Reichstages.
Man könnte vielleicht darauf Gewicht legen, daß in der Ge-
ſchäfts-Ordnung des Reichstages §. 30. 31. die Behandlung der
Interpellationen geregelt iſt und dadurch die Stellung von Inter-
pellationen ein juriſtiſch beſtimmtes Inſtitut des öffentlichen Rechts
geworden ſei. Eine ſolche Auffaſſung würde aber auf einer un-
richtigen Würdigung der Geſchäftsordnung beruhen.
Im Laufe jeder Verhandlung des Reichstages kann jedes
Reichstagsmitglied über jeden, mit dem Gegenſtande der Verhand-
lung in Zuſammenhang ſtehenden Punkt Fragen an den Reichs-
kanzler oder den Präſidenten des Reichskanzler-Amts oder einen
Regierungskommiſſar richten, ohne daß es irgend welcher Förmlich-
keiten bedarf und ohne daß die §§. 30. 31 der Geſch.-Ordn. An-
wendung finden. Von dieſer Befugniß iſt in unzähligen Fällen Ge-
brauch gemacht worden. Eine Interpellation unterſcheidet ſich von
einer ſolchen Anfrage aber dadurch, daß ſie einen Gegenſtand betrifft,
der nicht anderweitig zur Verhandlung ſteht, daß ſie einen beſonderen
Punkt der Tagesordnung bildet. Es kann nun nicht jedem einzelnen
Mitgliede des Reichstages frei ſtehen, beliebige Gegenſtände zur
Sprache zu bringen und die Zeit und Arbeitskraft des Reichstages
in Anſpruch zu nehmen. Eine Garantie gegen willkührliche und
unangemeſſene Interpellationen und einen Schutz der Geſchäfts-
Oekonomie hat der Reichstag deshalb durch die Beſtimmung geſucht,
daß die Interpellation von 30 Mitgliedern unterzeichnet ſein und
dem Präſidenten des Reichstages beſtimmt formulirt überreicht
werden muß; ſowie, daß eine Beſprechung des Gegenſtandes nur
dann ſtattfindet, wenn mindeſtens 50 Mitglieder darauf antragen.
Die Geſchäfts-Ordnung begründet demnach kein Recht des Reichs-
tages oder der Reichstagsmitglieder, was ſie ja überhaupt nicht
vermag, ſondern ſie legt den Mitgliedern des Reichstages eine
Schranke auf, die Zeit des Reichstages durch Fragen an die
Regierung zu verbrauchen und die Erledigung der dem Reichstage
obliegenden Geſchäfte zu verzögern. Dieſe, im Intereſſe der Ge-
ſchäfsordnung gezogenen Beſchränkungen geben aber der Stellung
von Interpellationen an den Reichskanzler keinen poſitiven Rechts-
Inhalt. Ueberdies iſt noch hervorzuheben, daß niemals vom
Reichstage als ſolchem, ſondern immer nur von einem oder mehreren
einzelnen Reichstags-Abgeordneten interpellirt wird. Die Stellung
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/542>, abgerufen am 22.11.2024.
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