können die öffentliche Ordnung verletzen, beide können gegen die Wohlfahrt und Sicherheit des Staates gerichtet sein, beide können mit Vorsatz oder aus Fahrlässigkeit begangen werden; die Schwere des Vergehens unterscheidet sie nicht, denn es giebt geringfügige Amtsvergehen, welche mit öffentlicher Strafe bedroht sind; für den Thatbestand der Amtsvergehen und für den Thatbestand der Dienst- vergehen giebt es keinen logischen Gegensatz, der beide Begriffe von einander zu scheiden vermag. Die Verfolgung der strafbaren Hand- lungen ist eine Pflicht des Staates, welcher sich die dazu bestellten Be- hörden nicht entziehen dürfen; die Handhabung der Disciplin ist in das Ermessen der Behörden gestellt; sie können Nachsicht üben und Pflichtverletzungen hingehen lassen; Disciplinarvergehen können demnach keine Unterart der Kriminalvergehen sein.
Alle diese Schwierigkeiten sind die Folgen des falschen Aus- gangspunktes, den man wählt. Trotzdem zwischen dem Kriminal- recht und dem Disciplinarrecht äußerlich eine große Aehnlichkeit besteht, in dem beide durch das Mittel der Strafe verwirklicht werden, darf man den Begriff des Disciplinarrechts nicht im Ge- gensatz und in der Vergleichung zum Strafrecht, sondern zum Privatrecht suchen. Er fällt zusammen mit dem Gegensatz der obligatorischen Vertragsverhältnisse und der Gewaltsverhältnisse.
In contractlichen Verhältnissen hat jeder Theil gegen den andern eine Klage auf Erfüllung oder auf Ersatz des Interesse wegen Nichterfüllung oder nicht ordentlicher Erfüllung. Jedes dolose oder culpose Verhalten eines Kontrahenten, durch welches er die ordnungsmäßige oder vertragsmäßige Leistung vereitelt, begründet für den andern Kontrahenten eine Klage auf das Interesse.
Bei den Dienstverhältnissen oder Gewaltverhältnissen dagegen tritt an die Stelle der Forderung der Befehl und an die Stelle der Klage der Zwang. Die Disciplinargewalt ist das Recht zur Ausübung dieses Zwanges. Es bestand im Mittelalter gegen Lehnsmannen und gegen Ministerialen; es bestand bis in die neuere Zeit gegen Leibeigene und gegen Dienstboten; es besteht noch jetzt in dem Züchtigungsrecht der Eltern und Lehrherren, in dem Recht des Schiffsführers gegen die Mannschaft, im Heere und in der Marine. Hierin liegt auch das Wesen der Discipli- nargewalt des Staates gegen seine Beamte; es ist das Mittel,
Laband, Reichsstaatsrecht. I. 29
§. 41. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung.
können die öffentliche Ordnung verletzen, beide können gegen die Wohlfahrt und Sicherheit des Staates gerichtet ſein, beide können mit Vorſatz oder aus Fahrläſſigkeit begangen werden; die Schwere des Vergehens unterſcheidet ſie nicht, denn es giebt geringfügige Amtsvergehen, welche mit öffentlicher Strafe bedroht ſind; für den Thatbeſtand der Amtsvergehen und für den Thatbeſtand der Dienſt- vergehen giebt es keinen logiſchen Gegenſatz, der beide Begriffe von einander zu ſcheiden vermag. Die Verfolgung der ſtrafbaren Hand- lungen iſt eine Pflicht des Staates, welcher ſich die dazu beſtellten Be- hörden nicht entziehen dürfen; die Handhabung der Disciplin iſt in das Ermeſſen der Behörden geſtellt; ſie können Nachſicht üben und Pflichtverletzungen hingehen laſſen; Disciplinarvergehen können demnach keine Unterart der Kriminalvergehen ſein.
Alle dieſe Schwierigkeiten ſind die Folgen des falſchen Aus- gangspunktes, den man wählt. Trotzdem zwiſchen dem Kriminal- recht und dem Disciplinarrecht äußerlich eine große Aehnlichkeit beſteht, in dem beide durch das Mittel der Strafe verwirklicht werden, darf man den Begriff des Disciplinarrechts nicht im Ge- genſatz und in der Vergleichung zum Strafrecht, ſondern zum Privatrecht ſuchen. Er fällt zuſammen mit dem Gegenſatz der obligatoriſchen Vertragsverhältniſſe und der Gewaltsverhältniſſe.
In contractlichen Verhältniſſen hat jeder Theil gegen den andern eine Klage auf Erfüllung oder auf Erſatz des Intereſſe wegen Nichterfüllung oder nicht ordentlicher Erfüllung. Jedes doloſe oder culpoſe Verhalten eines Kontrahenten, durch welches er die ordnungsmäßige oder vertragsmäßige Leiſtung vereitelt, begründet für den andern Kontrahenten eine Klage auf das Intereſſe.
Bei den Dienſtverhältniſſen oder Gewaltverhältniſſen dagegen tritt an die Stelle der Forderung der Befehl und an die Stelle der Klage der Zwang. Die Disciplinargewalt iſt das Recht zur Ausübung dieſes Zwanges. Es beſtand im Mittelalter gegen Lehnsmannen und gegen Miniſterialen; es beſtand bis in die neuere Zeit gegen Leibeigene und gegen Dienſtboten; es beſteht noch jetzt in dem Züchtigungsrecht der Eltern und Lehrherren, in dem Recht des Schiffsführers gegen die Mannſchaft, im Heere und in der Marine. Hierin liegt auch das Weſen der Discipli- nargewalt des Staates gegen ſeine Beamte; es iſt das Mittel,
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 29
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§. 41. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung.
können die öffentliche Ordnung verletzen, beide können gegen die
Wohlfahrt und Sicherheit des Staates gerichtet ſein, beide können
mit Vorſatz oder aus Fahrläſſigkeit begangen werden; die Schwere
des Vergehens unterſcheidet ſie nicht, denn es giebt geringfügige
Amtsvergehen, welche mit öffentlicher Strafe bedroht ſind; für den
Thatbeſtand der Amtsvergehen und für den Thatbeſtand der Dienſt-
vergehen giebt es keinen logiſchen Gegenſatz, der beide Begriffe von
einander zu ſcheiden vermag. Die Verfolgung der ſtrafbaren Hand-
lungen iſt eine Pflicht des Staates, welcher ſich die dazu beſtellten Be-
hörden nicht entziehen dürfen; die Handhabung der Disciplin iſt in
das Ermeſſen der Behörden geſtellt; ſie können Nachſicht üben und
Pflichtverletzungen hingehen laſſen; Disciplinarvergehen können
demnach keine Unterart der Kriminalvergehen ſein.
Alle dieſe Schwierigkeiten ſind die Folgen des falſchen Aus-
gangspunktes, den man wählt. Trotzdem zwiſchen dem Kriminal-
recht und dem Disciplinarrecht äußerlich eine große Aehnlichkeit
beſteht, in dem beide durch das Mittel der Strafe verwirklicht
werden, darf man den Begriff des Disciplinarrechts nicht im Ge-
genſatz und in der Vergleichung zum Strafrecht, ſondern zum
Privatrecht ſuchen. Er fällt zuſammen mit dem Gegenſatz der
obligatoriſchen Vertragsverhältniſſe und der Gewaltsverhältniſſe.
In contractlichen Verhältniſſen hat jeder Theil gegen den
andern eine Klage auf Erfüllung oder auf Erſatz des Intereſſe
wegen Nichterfüllung oder nicht ordentlicher Erfüllung. Jedes
doloſe oder culpoſe Verhalten eines Kontrahenten, durch welches
er die ordnungsmäßige oder vertragsmäßige Leiſtung vereitelt,
begründet für den andern Kontrahenten eine Klage auf das
Intereſſe.
Bei den Dienſtverhältniſſen oder Gewaltverhältniſſen dagegen
tritt an die Stelle der Forderung der Befehl und an die Stelle
der Klage der Zwang. Die Disciplinargewalt iſt das Recht zur
Ausübung dieſes Zwanges. Es beſtand im Mittelalter gegen
Lehnsmannen und gegen Miniſterialen; es beſtand bis in die
neuere Zeit gegen Leibeigene und gegen Dienſtboten; es beſteht
noch jetzt in dem Züchtigungsrecht der Eltern und Lehrherren, in
dem Recht des Schiffsführers gegen die Mannſchaft, im Heere
und in der Marine. Hierin liegt auch das Weſen der Discipli-
nargewalt des Staates gegen ſeine Beamte; es iſt das Mittel,
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/469>, abgerufen am 24.07.2024.
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