Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 32. Begriff und System der Reichsbehörden.
Dies ist nicht in dem Sinne zu verstehen, als ob es in das will-
kürliche Belieben des Kaisers gestellt wäre, die Geschäfte unter
die Reichsbehörden zu vertheilen, oder nach Lust und Laune Ge-
schäfte untergeordneter Art bald selbst zu erledigen bald sie Reichs-
behörden zu überlassen. Die Reichsbehörden sind vielmehr von
Rechtswegen dem Kaiser beigeordnet, damit er sich ihrer bei der
Führung der Reichsgeschäfte bediene, so daß er die Geschäfte nicht
anders als durch die vermittelnde Thätigkeit der Behörden führen
kann und darf. Es ist ferner der Kreis derjenigen Geschäfte,
welche die einzelnen Behörden zu erledigen haben, durch Rechts-
Vorschriften abgegrenzt, so daß ihre Kompetenz-Bestimmung ein
Theil der staatlichen Rechtsordnung ist, welche der Kaiser einseitig
nicht ändern kann. Auch empfangen die Behörden die Anweisung,
nach welchen Gesichtspunkten sie die zu ihrem Ressort gehörenden
Geschäfte zu erledigen haben, zum größten Theil durch die Ge-
setze des Reiches, und auch in den, nicht gesetzlich normirten Be-
ziehungen nicht von dem persönlichen (privaten) Willen des Kaisers,
sondern von dem in staatsrechtlichen Formen erklärten, (staatlichen)
Willen desselben.

Aber die Behörden haben kein subjectives Recht darauf, daß
ihnen die Erledigung und Führung von Geschäften des Reiches
zustehe; ein solches Recht hat nur der Kaiser, welchem nach der
R.-V. Art. 17 "die Ueberwachung der Ausführung der Reichsge-
setze" zusteht. Dem Bundesrath und dem Reichstage gegenüber
erscheint der Inbegriff aller Befugnisse, welche sämmtlichen Reichs-
behörden zustehen, als ein Antheil des Kaisers an dem Verfassungs-
leben des Reiches. Wenn andererseits in einem Reichsgesetze die
Erledigung staatlicher Geschäfte oder der Erlaß von Anordnungen
dem Kaiser zugeschrieben wird, so bedeutet dies die Erledigung
dieser Geschäfte durch die Reichsbehörden, mit Ausschluß nicht
nur der Einzelstaaten, sondern auch des Bundesrathes und des
Reichstages.

In dieser Art sind alle den Reichsbehörden zustehenden Be-
fugnisse enthalten und umschlossen von dem einheitlichen Rechte
des Kaisers, der kaiserlichen Prärogative, und das Recht des
Kaisers zur Geschäftsführung für das Reich kömmt anders nicht
zur Erscheinung und Wirkung als in der Differenzirung durch

§. 32. Begriff und Syſtem der Reichsbehörden.
Dies iſt nicht in dem Sinne zu verſtehen, als ob es in das will-
kürliche Belieben des Kaiſers geſtellt wäre, die Geſchäfte unter
die Reichsbehörden zu vertheilen, oder nach Luſt und Laune Ge-
ſchäfte untergeordneter Art bald ſelbſt zu erledigen bald ſie Reichs-
behörden zu überlaſſen. Die Reichsbehörden ſind vielmehr von
Rechtswegen dem Kaiſer beigeordnet, damit er ſich ihrer bei der
Führung der Reichsgeſchäfte bediene, ſo daß er die Geſchäfte nicht
anders als durch die vermittelnde Thätigkeit der Behörden führen
kann und darf. Es iſt ferner der Kreis derjenigen Geſchäfte,
welche die einzelnen Behörden zu erledigen haben, durch Rechts-
Vorſchriften abgegrenzt, ſo daß ihre Kompetenz-Beſtimmung ein
Theil der ſtaatlichen Rechtsordnung iſt, welche der Kaiſer einſeitig
nicht ändern kann. Auch empfangen die Behörden die Anweiſung,
nach welchen Geſichtspunkten ſie die zu ihrem Reſſort gehörenden
Geſchäfte zu erledigen haben, zum größten Theil durch die Ge-
ſetze des Reiches, und auch in den, nicht geſetzlich normirten Be-
ziehungen nicht von dem perſönlichen (privaten) Willen des Kaiſers,
ſondern von dem in ſtaatsrechtlichen Formen erklärten, (ſtaatlichen)
Willen deſſelben.

Aber die Behörden haben kein ſubjectives Recht darauf, daß
ihnen die Erledigung und Führung von Geſchäften des Reiches
zuſtehe; ein ſolches Recht hat nur der Kaiſer, welchem nach der
R.-V. Art. 17 „die Ueberwachung der Ausführung der Reichsge-
ſetze“ zuſteht. Dem Bundesrath und dem Reichstage gegenüber
erſcheint der Inbegriff aller Befugniſſe, welche ſämmtlichen Reichs-
behörden zuſtehen, als ein Antheil des Kaiſers an dem Verfaſſungs-
leben des Reiches. Wenn andererſeits in einem Reichsgeſetze die
Erledigung ſtaatlicher Geſchäfte oder der Erlaß von Anordnungen
dem Kaiſer zugeſchrieben wird, ſo bedeutet dies die Erledigung
dieſer Geſchäfte durch die Reichsbehörden, mit Ausſchluß nicht
nur der Einzelſtaaten, ſondern auch des Bundesrathes und des
Reichstages.

In dieſer Art ſind alle den Reichsbehörden zuſtehenden Be-
fugniſſe enthalten und umſchloſſen von dem einheitlichen Rechte
des Kaiſers, der kaiſerlichen Prärogative, und das Recht des
Kaiſers zur Geſchäftsführung für das Reich kömmt anders nicht
zur Erſcheinung und Wirkung als in der Differenzirung durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0319" n="299"/><fw place="top" type="header">§. 32. Begriff und Sy&#x017F;tem der Reichsbehörden.</fw><lb/>
Dies i&#x017F;t nicht in dem Sinne zu ver&#x017F;tehen, als ob es in das will-<lb/>
kürliche Belieben des Kai&#x017F;ers ge&#x017F;tellt wäre, die Ge&#x017F;chäfte unter<lb/>
die Reichsbehörden zu vertheilen, oder nach Lu&#x017F;t und Laune Ge-<lb/>
&#x017F;chäfte untergeordneter Art bald &#x017F;elb&#x017F;t zu erledigen bald &#x017F;ie Reichs-<lb/>
behörden zu überla&#x017F;&#x017F;en. Die Reichsbehörden &#x017F;ind vielmehr von<lb/>
Rechtswegen dem Kai&#x017F;er beigeordnet, damit er &#x017F;ich ihrer bei der<lb/>
Führung der Reichsge&#x017F;chäfte bediene, &#x017F;o daß er die Ge&#x017F;chäfte nicht<lb/>
anders als durch die vermittelnde Thätigkeit der Behörden führen<lb/>
kann und darf. Es i&#x017F;t ferner der Kreis derjenigen Ge&#x017F;chäfte,<lb/>
welche die einzelnen Behörden zu erledigen haben, durch Rechts-<lb/>
Vor&#x017F;chriften abgegrenzt, &#x017F;o daß ihre Kompetenz-Be&#x017F;timmung ein<lb/>
Theil der &#x017F;taatlichen Rechtsordnung i&#x017F;t, welche der Kai&#x017F;er ein&#x017F;eitig<lb/>
nicht ändern kann. Auch empfangen die Behörden die Anwei&#x017F;ung,<lb/>
nach welchen Ge&#x017F;ichtspunkten &#x017F;ie die zu ihrem Re&#x017F;&#x017F;ort gehörenden<lb/>
Ge&#x017F;chäfte zu erledigen haben, zum größten Theil durch die Ge-<lb/>
&#x017F;etze des Reiches, und auch in den, nicht ge&#x017F;etzlich normirten Be-<lb/>
ziehungen nicht von dem per&#x017F;önlichen (privaten) Willen des Kai&#x017F;ers,<lb/>
&#x017F;ondern von dem in &#x017F;taatsrechtlichen Formen erklärten, (&#x017F;taatlichen)<lb/>
Willen de&#x017F;&#x017F;elben.</p><lb/>
              <p>Aber die Behörden haben kein &#x017F;ubjectives Recht darauf, daß<lb/>
ihnen die Erledigung und Führung von Ge&#x017F;chäften des Reiches<lb/>
zu&#x017F;tehe; ein &#x017F;olches Recht hat nur der Kai&#x017F;er, welchem nach der<lb/>
R.-V. Art. 17 &#x201E;die Ueberwachung der Ausführung der Reichsge-<lb/>
&#x017F;etze&#x201C; zu&#x017F;teht. Dem Bundesrath und dem Reichstage gegenüber<lb/>
er&#x017F;cheint der Inbegriff aller Befugni&#x017F;&#x017F;e, welche &#x017F;ämmtlichen Reichs-<lb/>
behörden zu&#x017F;tehen, als ein Antheil des Kai&#x017F;ers an dem Verfa&#x017F;&#x017F;ungs-<lb/>
leben des Reiches. Wenn anderer&#x017F;eits in einem Reichsge&#x017F;etze die<lb/>
Erledigung &#x017F;taatlicher Ge&#x017F;chäfte oder der Erlaß von Anordnungen<lb/>
dem <hi rendition="#g">Kai&#x017F;er</hi> zuge&#x017F;chrieben wird, &#x017F;o bedeutet dies die Erledigung<lb/>
die&#x017F;er Ge&#x017F;chäfte durch die <hi rendition="#g">Reichsbehörden</hi>, mit Aus&#x017F;chluß nicht<lb/>
nur der Einzel&#x017F;taaten, &#x017F;ondern auch des Bundesrathes und des<lb/>
Reichstages.</p><lb/>
              <p>In die&#x017F;er Art &#x017F;ind alle den Reichsbehörden zu&#x017F;tehenden Be-<lb/>
fugni&#x017F;&#x017F;e enthalten und um&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en von dem einheitlichen Rechte<lb/>
des Kai&#x017F;ers, der kai&#x017F;erlichen Prärogative, und das Recht des<lb/>
Kai&#x017F;ers zur Ge&#x017F;chäftsführung für das Reich kömmt anders nicht<lb/>
zur Er&#x017F;cheinung und Wirkung als in der Differenzirung durch<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0319] §. 32. Begriff und Syſtem der Reichsbehörden. Dies iſt nicht in dem Sinne zu verſtehen, als ob es in das will- kürliche Belieben des Kaiſers geſtellt wäre, die Geſchäfte unter die Reichsbehörden zu vertheilen, oder nach Luſt und Laune Ge- ſchäfte untergeordneter Art bald ſelbſt zu erledigen bald ſie Reichs- behörden zu überlaſſen. Die Reichsbehörden ſind vielmehr von Rechtswegen dem Kaiſer beigeordnet, damit er ſich ihrer bei der Führung der Reichsgeſchäfte bediene, ſo daß er die Geſchäfte nicht anders als durch die vermittelnde Thätigkeit der Behörden führen kann und darf. Es iſt ferner der Kreis derjenigen Geſchäfte, welche die einzelnen Behörden zu erledigen haben, durch Rechts- Vorſchriften abgegrenzt, ſo daß ihre Kompetenz-Beſtimmung ein Theil der ſtaatlichen Rechtsordnung iſt, welche der Kaiſer einſeitig nicht ändern kann. Auch empfangen die Behörden die Anweiſung, nach welchen Geſichtspunkten ſie die zu ihrem Reſſort gehörenden Geſchäfte zu erledigen haben, zum größten Theil durch die Ge- ſetze des Reiches, und auch in den, nicht geſetzlich normirten Be- ziehungen nicht von dem perſönlichen (privaten) Willen des Kaiſers, ſondern von dem in ſtaatsrechtlichen Formen erklärten, (ſtaatlichen) Willen deſſelben. Aber die Behörden haben kein ſubjectives Recht darauf, daß ihnen die Erledigung und Führung von Geſchäften des Reiches zuſtehe; ein ſolches Recht hat nur der Kaiſer, welchem nach der R.-V. Art. 17 „die Ueberwachung der Ausführung der Reichsge- ſetze“ zuſteht. Dem Bundesrath und dem Reichstage gegenüber erſcheint der Inbegriff aller Befugniſſe, welche ſämmtlichen Reichs- behörden zuſtehen, als ein Antheil des Kaiſers an dem Verfaſſungs- leben des Reiches. Wenn andererſeits in einem Reichsgeſetze die Erledigung ſtaatlicher Geſchäfte oder der Erlaß von Anordnungen dem Kaiſer zugeſchrieben wird, ſo bedeutet dies die Erledigung dieſer Geſchäfte durch die Reichsbehörden, mit Ausſchluß nicht nur der Einzelſtaaten, ſondern auch des Bundesrathes und des Reichstages. In dieſer Art ſind alle den Reichsbehörden zuſtehenden Be- fugniſſe enthalten und umſchloſſen von dem einheitlichen Rechte des Kaiſers, der kaiſerlichen Prärogative, und das Recht des Kaiſers zur Geſchäftsführung für das Reich kömmt anders nicht zur Erſcheinung und Wirkung als in der Differenzirung durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/319
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/319>, abgerufen am 24.11.2024.