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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 32. Begriff und System der Reichsbehörden.
der Staatsämter und Staatsbehörden läßt sich nun der juristische
Begriff der Reichsbehörden und ihre staatsrechtliche Stellung im
Verfassungsbau des Reiches bestimmen 1).

1) Reichsbehörden sind diejenigen Behörden, welche Geschäfte
des Reiches
führen und ihre Autorität unmittelbar von der
Reichsgewalt ableiten.

Dadurch ist das unterscheidende Merkmal zwischen Reichs- und
Landesbehörden gegeben.

Nicht entscheidend ist der Umstand, ob die Mitglieder der
Behörde Reichsbeamte im Sinne des Reichsbeamten-Gesetzes vom
31. März 1873 sind oder nicht. Der Begriff der Reichsbeamten
wie ihn dieses Gesetz aufstellt, reicht zum Theil viel weiter 2), zum
Theil giebt es Reichsbehörden, deren Mitglieder nicht Reichsbeamte
sind 3). Der Regel nach sind aber die Mitglieder der Reichsbe-
hörden zugleich Reichsbeamte.

Ebenso wenig ist der Umstand entscheidend, ob die Mitglieder
der Behörden vom Kaiser oder in dessen Auftrage ernannt werden
oder nicht. Denn es ist völlig zulässig, daß der Bundesrath oder
Reichstag Mitglieder der Behörden ernennt 4) oder daß die
Einzelstaaten befugt sind, Reichsbehörden zu besetzen 5). Die
Regel ist aber auch hier, daß der Kaiser die Reichsämter be-
setzt und diese Regel ist verfassungsmäßig anerkannt durch den

1) Die bisherige Literatur des Reichsstaatsrechts bietet hierfür Nichts.
In der überwiegenden Mehrzahl aller hierher gehörenden Werke wird diese
Lehre völlig übergangen. Die kurze Darstellung in Thudichum's Verfas-
sungsr. des Nordd. Bundes S. 219 ist durch die inzwischen erfolgte Fortbil-
dung des Reichsrechts antiquirt. Die dürftigen Bemerkungen bei v. Rönne
S. 181 ff. sind völlig unbrauchbar; eine staatsrechtliche Erörterung des Be-
hörden-Organismus fehlt bei ihm gänzlich. v. Held Verf. des Deutschen
Reiches S. 168 ff. beschränkt sich auf eine politische Kritik und vermag
auch hier in der Reichsverfassung fast Nichts als ein widerspruchsvolles Chaos
zu erblicken.
2) Siehe unten §. 37.
3) z. B. Die Reichsschulden-Kommission, das Kuratorium der Reichs-
bank u. a.
4) Nicht blos sie zur Ernennung dem Kaiser vorschlägt. Auch hier bieten
die Reichsschulden-Kommission und das Bank-Kuratorium Beispiele; ferner
die Reichstags-Beamten u. a.
5) z. B. die unteren Aemter der Post- und Telegraphen-Verwaltung.

§. 32. Begriff und Syſtem der Reichsbehörden.
der Staatsämter und Staatsbehörden läßt ſich nun der juriſtiſche
Begriff der Reichsbehörden und ihre ſtaatsrechtliche Stellung im
Verfaſſungsbau des Reiches beſtimmen 1).

1) Reichsbehörden ſind diejenigen Behörden, welche Geſchäfte
des Reiches
führen und ihre Autorität unmittelbar von der
Reichsgewalt ableiten.

Dadurch iſt das unterſcheidende Merkmal zwiſchen Reichs- und
Landesbehörden gegeben.

Nicht entſcheidend iſt der Umſtand, ob die Mitglieder der
Behörde Reichsbeamte im Sinne des Reichsbeamten-Geſetzes vom
31. März 1873 ſind oder nicht. Der Begriff der Reichsbeamten
wie ihn dieſes Geſetz aufſtellt, reicht zum Theil viel weiter 2), zum
Theil giebt es Reichsbehörden, deren Mitglieder nicht Reichsbeamte
ſind 3). Der Regel nach ſind aber die Mitglieder der Reichsbe-
hörden zugleich Reichsbeamte.

Ebenſo wenig iſt der Umſtand entſcheidend, ob die Mitglieder
der Behörden vom Kaiſer oder in deſſen Auftrage ernannt werden
oder nicht. Denn es iſt völlig zuläſſig, daß der Bundesrath oder
Reichstag Mitglieder der Behörden ernennt 4) oder daß die
Einzelſtaaten befugt ſind, Reichsbehörden zu beſetzen 5). Die
Regel iſt aber auch hier, daß der Kaiſer die Reichsämter be-
ſetzt und dieſe Regel iſt verfaſſungsmäßig anerkannt durch den

1) Die bisherige Literatur des Reichsſtaatsrechts bietet hierfür Nichts.
In der überwiegenden Mehrzahl aller hierher gehörenden Werke wird dieſe
Lehre völlig übergangen. Die kurze Darſtellung in Thudichum’s Verfaſ-
ſungsr. des Nordd. Bundes S. 219 iſt durch die inzwiſchen erfolgte Fortbil-
dung des Reichsrechts antiquirt. Die dürftigen Bemerkungen bei v. Rönne
S. 181 ff. ſind völlig unbrauchbar; eine ſtaatsrechtliche Erörterung des Be-
hörden-Organismus fehlt bei ihm gänzlich. v. Held Verf. des Deutſchen
Reiches S. 168 ff. beſchränkt ſich auf eine politiſche Kritik und vermag
auch hier in der Reichsverfaſſung faſt Nichts als ein widerſpruchsvolles Chaos
zu erblicken.
2) Siehe unten §. 37.
3) z. B. Die Reichsſchulden-Kommiſſion, das Kuratorium der Reichs-
bank u. a.
4) Nicht blos ſie zur Ernennung dem Kaiſer vorſchlägt. Auch hier bieten
die Reichsſchulden-Kommiſſion und das Bank-Kuratorium Beiſpiele; ferner
die Reichstags-Beamten u. a.
5) z. B. die unteren Aemter der Poſt- und Telegraphen-Verwaltung.
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[296/0316] §. 32. Begriff und Syſtem der Reichsbehörden. der Staatsämter und Staatsbehörden läßt ſich nun der juriſtiſche Begriff der Reichsbehörden und ihre ſtaatsrechtliche Stellung im Verfaſſungsbau des Reiches beſtimmen 1). 1) Reichsbehörden ſind diejenigen Behörden, welche Geſchäfte des Reiches führen und ihre Autorität unmittelbar von der Reichsgewalt ableiten. Dadurch iſt das unterſcheidende Merkmal zwiſchen Reichs- und Landesbehörden gegeben. Nicht entſcheidend iſt der Umſtand, ob die Mitglieder der Behörde Reichsbeamte im Sinne des Reichsbeamten-Geſetzes vom 31. März 1873 ſind oder nicht. Der Begriff der Reichsbeamten wie ihn dieſes Geſetz aufſtellt, reicht zum Theil viel weiter 2), zum Theil giebt es Reichsbehörden, deren Mitglieder nicht Reichsbeamte ſind 3). Der Regel nach ſind aber die Mitglieder der Reichsbe- hörden zugleich Reichsbeamte. Ebenſo wenig iſt der Umſtand entſcheidend, ob die Mitglieder der Behörden vom Kaiſer oder in deſſen Auftrage ernannt werden oder nicht. Denn es iſt völlig zuläſſig, daß der Bundesrath oder Reichstag Mitglieder der Behörden ernennt 4) oder daß die Einzelſtaaten befugt ſind, Reichsbehörden zu beſetzen 5). Die Regel iſt aber auch hier, daß der Kaiſer die Reichsämter be- ſetzt und dieſe Regel iſt verfaſſungsmäßig anerkannt durch den 1) Die bisherige Literatur des Reichsſtaatsrechts bietet hierfür Nichts. In der überwiegenden Mehrzahl aller hierher gehörenden Werke wird dieſe Lehre völlig übergangen. Die kurze Darſtellung in Thudichum’s Verfaſ- ſungsr. des Nordd. Bundes S. 219 iſt durch die inzwiſchen erfolgte Fortbil- dung des Reichsrechts antiquirt. Die dürftigen Bemerkungen bei v. Rönne S. 181 ff. ſind völlig unbrauchbar; eine ſtaatsrechtliche Erörterung des Be- hörden-Organismus fehlt bei ihm gänzlich. v. Held Verf. des Deutſchen Reiches S. 168 ff. beſchränkt ſich auf eine politiſche Kritik und vermag auch hier in der Reichsverfaſſung faſt Nichts als ein widerſpruchsvolles Chaos zu erblicken. 2) Siehe unten §. 37. 3) z. B. Die Reichsſchulden-Kommiſſion, das Kuratorium der Reichs- bank u. a. 4) Nicht blos ſie zur Ernennung dem Kaiſer vorſchlägt. Auch hier bieten die Reichsſchulden-Kommiſſion und das Bank-Kuratorium Beiſpiele; ferner die Reichstags-Beamten u. a. 5) z. B. die unteren Aemter der Poſt- und Telegraphen-Verwaltung.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/316>, abgerufen am 24.11.2024.