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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 30. Die formelle Erledigung der Geschäfte des Bundesrathes.
protokolls über die Stellvertretung im Vorsitz hat das juristische
Wesen des Verhältnisses einen concreten Ausdruck gefunden.

2) Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere Mitglied
des Bundesrathes vermöge schriftlicher Substitution vertreten
lassen. R.-V. Art. 15 Abs. 2.

Es ist hierzu weder die Genehmigung des Kaisers erforder-
lich, noch ist eine bestimmte Rangordnung unter den Staaten oder
unter den Bevollmächtigten, in Bezug auf das Vicepräsidium ver-
fassungsmäßig vorgeschrieben. Das Bayr. Schlußprotok. vom 23.
Nov. 1870 Ziff. IX. bestimmt aber:
"Der Königl. preuß. Bevollmächtigte erkannte es als ein Recht
der Bayerischen Regierung an, daß ihr Vertreter im Falle
der Verhinderung Preußens den Vorsitz im Bundesrathe
führe."

Hier ist zuvörderst ausgesprochen, daß der Vorsitz im Bun-
desrathe nicht auf dem Amte des Reichskanzlers ruht, sondern
ein Recht "Preußens" ist, so wie das Vicepräsidium ein Recht
Bayerns ist. Demgemäß tritt der Anspruch Bayerns auf den
stellvertretenden Vorsitz nicht ein im Falle der Verhinderung des
Reichskanzlers; sondern im Falle der Verhinderung Preußens 1).
Der Reichskanzler kann daher einen anderen Preußischen Be-
vollmächtigten sich substituiren, aber nicht mit Uebergehung Bayerns
den Bevollmächtigten eines anderen Staates.

Sodann aber ergiebt sich, daß das Recht Bayerns lediglich
auf einer Zusicherung Preußens beruht, welchen Gebrauch der
Reichskanzler als Preuß. Bevollmächtigter von seiner Substitutions-
befugniß machen werde, während der verfassungsrechtliche Grund-
satz selbst, daß der Reichskanzler sich durch jedes andere Mitglied
des Bundesrathes vertreten lassen könne, unverändert fortbesteht.
Demnach kann der Reichskanzler mit Uebergehung der übrigen
Preußischen Bevollmächtigten den Bayerischen sich substituiren
und falls die Bayerischen Bevollmächtigten nicht anwesend oder
verhindert sind, den Bevollmächtigten jedes anderen Staates.


1) In der Bundesraths-Sitzung vom 18. Dezember 1874, in welcher nur
ein einziger Preußischer Bevollmächtigter, der Staats-Minister Delbrück
anwesend war, trat derselbe während der Sitzung wegen anderweiter Dienst-
geschäfte den Vorsitz an den Bayerischen Staats-Minister v. Pfretzschner ab.
Protok. 1874 §. 563.
18*

§. 30. Die formelle Erledigung der Geſchäfte des Bundesrathes.
protokolls über die Stellvertretung im Vorſitz hat das juriſtiſche
Weſen des Verhältniſſes einen concreten Ausdruck gefunden.

2) Der Reichskanzler kann ſich durch jedes andere Mitglied
des Bundesrathes vermöge ſchriftlicher Subſtitution vertreten
laſſen. R.-V. Art. 15 Abſ. 2.

Es iſt hierzu weder die Genehmigung des Kaiſers erforder-
lich, noch iſt eine beſtimmte Rangordnung unter den Staaten oder
unter den Bevollmächtigten, in Bezug auf das Vicepräſidium ver-
faſſungsmäßig vorgeſchrieben. Das Bayr. Schlußprotok. vom 23.
Nov. 1870 Ziff. IX. beſtimmt aber:
„Der Königl. preuß. Bevollmächtigte erkannte es als ein Recht
der Bayeriſchen Regierung an, daß ihr Vertreter im Falle
der Verhinderung Preußens den Vorſitz im Bundesrathe
führe.“

Hier iſt zuvörderſt ausgeſprochen, daß der Vorſitz im Bun-
desrathe nicht auf dem Amte des Reichskanzlers ruht, ſondern
ein Recht „Preußens“ iſt, ſo wie das Vicepräſidium ein Recht
Bayerns iſt. Demgemäß tritt der Anſpruch Bayerns auf den
ſtellvertretenden Vorſitz nicht ein im Falle der Verhinderung des
Reichskanzlers; ſondern im Falle der Verhinderung Preußens 1).
Der Reichskanzler kann daher einen anderen Preußiſchen Be-
vollmächtigten ſich ſubſtituiren, aber nicht mit Uebergehung Bayerns
den Bevollmächtigten eines anderen Staates.

Sodann aber ergiebt ſich, daß das Recht Bayerns lediglich
auf einer Zuſicherung Preußens beruht, welchen Gebrauch der
Reichskanzler als Preuß. Bevollmächtigter von ſeiner Subſtitutions-
befugniß machen werde, während der verfaſſungsrechtliche Grund-
ſatz ſelbſt, daß der Reichskanzler ſich durch jedes andere Mitglied
des Bundesrathes vertreten laſſen könne, unverändert fortbeſteht.
Demnach kann der Reichskanzler mit Uebergehung der übrigen
Preußiſchen Bevollmächtigten den Bayeriſchen ſich ſubſtituiren
und falls die Bayeriſchen Bevollmächtigten nicht anweſend oder
verhindert ſind, den Bevollmächtigten jedes anderen Staates.


1) In der Bundesraths-Sitzung vom 18. Dezember 1874, in welcher nur
ein einziger Preußiſcher Bevollmächtigter, der Staats-Miniſter Delbrück
anweſend war, trat derſelbe während der Sitzung wegen anderweiter Dienſt-
geſchäfte den Vorſitz an den Bayeriſchen Staats-Miniſter v. Pfretzſchner ab.
Protok. 1874 §. 563.
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[275/0295] §. 30. Die formelle Erledigung der Geſchäfte des Bundesrathes. protokolls über die Stellvertretung im Vorſitz hat das juriſtiſche Weſen des Verhältniſſes einen concreten Ausdruck gefunden. 2) Der Reichskanzler kann ſich durch jedes andere Mitglied des Bundesrathes vermöge ſchriftlicher Subſtitution vertreten laſſen. R.-V. Art. 15 Abſ. 2. Es iſt hierzu weder die Genehmigung des Kaiſers erforder- lich, noch iſt eine beſtimmte Rangordnung unter den Staaten oder unter den Bevollmächtigten, in Bezug auf das Vicepräſidium ver- faſſungsmäßig vorgeſchrieben. Das Bayr. Schlußprotok. vom 23. Nov. 1870 Ziff. IX. beſtimmt aber: „Der Königl. preuß. Bevollmächtigte erkannte es als ein Recht der Bayeriſchen Regierung an, daß ihr Vertreter im Falle der Verhinderung Preußens den Vorſitz im Bundesrathe führe.“ Hier iſt zuvörderſt ausgeſprochen, daß der Vorſitz im Bun- desrathe nicht auf dem Amte des Reichskanzlers ruht, ſondern ein Recht „Preußens“ iſt, ſo wie das Vicepräſidium ein Recht Bayerns iſt. Demgemäß tritt der Anſpruch Bayerns auf den ſtellvertretenden Vorſitz nicht ein im Falle der Verhinderung des Reichskanzlers; ſondern im Falle der Verhinderung Preußens 1). Der Reichskanzler kann daher einen anderen Preußiſchen Be- vollmächtigten ſich ſubſtituiren, aber nicht mit Uebergehung Bayerns den Bevollmächtigten eines anderen Staates. Sodann aber ergiebt ſich, daß das Recht Bayerns lediglich auf einer Zuſicherung Preußens beruht, welchen Gebrauch der Reichskanzler als Preuß. Bevollmächtigter von ſeiner Subſtitutions- befugniß machen werde, während der verfaſſungsrechtliche Grund- ſatz ſelbſt, daß der Reichskanzler ſich durch jedes andere Mitglied des Bundesrathes vertreten laſſen könne, unverändert fortbeſteht. Demnach kann der Reichskanzler mit Uebergehung der übrigen Preußiſchen Bevollmächtigten den Bayeriſchen ſich ſubſtituiren und falls die Bayeriſchen Bevollmächtigten nicht anweſend oder verhindert ſind, den Bevollmächtigten jedes anderen Staates. 1) In der Bundesraths-Sitzung vom 18. Dezember 1874, in welcher nur ein einziger Preußiſcher Bevollmächtigter, der Staats-Miniſter Delbrück anweſend war, trat derſelbe während der Sitzung wegen anderweiter Dienſt- geſchäfte den Vorſitz an den Bayeriſchen Staats-Miniſter v. Pfretzſchner ab. Protok. 1874 §. 563. 18*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/295>, abgerufen am 21.05.2024.