Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe.
ist, ob sie ihre Mitgliedschaftsrechte im Bundesrathe ausüben wol-
len oder nicht. Denn Art. 7 sagt in Beziehung auf die Beschluß-
fassung des Bundesrathes:
"Nicht vertretene oder nicht instruirte Stim-
men werden nicht gezählt
."

Hier ist ausdrücklich die Möglichkeit hingestellt, daß ein Staat
entweder gar nicht sich vertreten läßt oder daß er seinen Vertreter
im einzelnen Falle nicht instruirt, also sein Stimmrecht nicht aus-
übt. Es ist auch die Rechtsfolge eines solchen Verhaltens bestimmt
normirt. Sie besteht nicht darin, daß der Einzelstaat vom Reiche
angehalten werden könnte, seine Stimme abzugeben; sondern darin
daß der Staat, welcher auf die Ausübung seines Stimmrechts
verzichtet, bei der Beschlußfassung des Bundesraths unberücksichtigt
bleibt 1). Im Zusammenhange damit steht der Grundsatz, daß zur
Beschlußfähigkeit des Bundesrathes keine bestimmte Anzahl
von Stimmen erforderlich ist 2). Damit entfällt das rechtliche
Interesse
des Reiches daran, daß die Einzelstaaten von ihren
Mitgliedschaftsrechten im Bundesrath Gebrauch machen. Der
Bundesrath, als ein unentbehrliches Organ des Reiches, dessen
Funktionen es nicht missen kann, wird in seiner Thätigkeit dadurch
nicht gehemmt, daß ein oder einige Einzelstaaten ihr Stimmrecht
nicht ausüben.

2) Die Theilnahme an dem Bundesrath wird Seitens der
Einzelstaaten ausgeübt durch Geschäftsträger, welche die R.-V.
in demselben Art. 6 als "Vertreter" und "Bevollmächtigte" be-
zeichnet. Beide Ausdrücke bedeuten dasselbe; sie beziehen sich auf
den Gegensatz zu den an Aufträge und Instruktionen nicht gebun-
denen Reichstags-Abgeordneten. In der Abstimmung des Bevoll-
mächtigten kommt nicht sein subjectiver Wille, auch nicht die per-

1) Auch Fürst Bismarck hat bei der Verhandlung über den Waldeck'-
schen Accessions-Vertrag im Preuß. Abgeordneten-Hause am 11. Dezember
1867 (Stenogr. Berichte I. S. 341) anerkannt, daß es dem Fürsten von
Waldeck völlig frei stehe, die ihm zustehende Stimme im Bundesrath ruhen
zu lassen.
2) In der Reichsverfassung dadurch anerkannt, daß im Gegensatz zu den
Bestimmungen über den Reichstag für die Bundesrathsbeschlüsse kein Minimum
der Stimmenzahl angeordnet ist. v. Rönne S. 149. Westerkamp S. 100.
Seydel S. 105.

§. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe.
iſt, ob ſie ihre Mitgliedſchaftsrechte im Bundesrathe ausüben wol-
len oder nicht. Denn Art. 7 ſagt in Beziehung auf die Beſchluß-
faſſung des Bundesrathes:
Nicht vertretene oder nicht inſtruirte Stim-
men werden nicht gezählt
.“

Hier iſt ausdrücklich die Möglichkeit hingeſtellt, daß ein Staat
entweder gar nicht ſich vertreten läßt oder daß er ſeinen Vertreter
im einzelnen Falle nicht inſtruirt, alſo ſein Stimmrecht nicht aus-
übt. Es iſt auch die Rechtsfolge eines ſolchen Verhaltens beſtimmt
normirt. Sie beſteht nicht darin, daß der Einzelſtaat vom Reiche
angehalten werden könnte, ſeine Stimme abzugeben; ſondern darin
daß der Staat, welcher auf die Ausübung ſeines Stimmrechts
verzichtet, bei der Beſchlußfaſſung des Bundesraths unberückſichtigt
bleibt 1). Im Zuſammenhange damit ſteht der Grundſatz, daß zur
Beſchlußfähigkeit des Bundesrathes keine beſtimmte Anzahl
von Stimmen erforderlich iſt 2). Damit entfällt das rechtliche
Intereſſe
des Reiches daran, daß die Einzelſtaaten von ihren
Mitgliedſchaftsrechten im Bundesrath Gebrauch machen. Der
Bundesrath, als ein unentbehrliches Organ des Reiches, deſſen
Funktionen es nicht miſſen kann, wird in ſeiner Thätigkeit dadurch
nicht gehemmt, daß ein oder einige Einzelſtaaten ihr Stimmrecht
nicht ausüben.

2) Die Theilnahme an dem Bundesrath wird Seitens der
Einzelſtaaten ausgeübt durch Geſchäftsträger, welche die R.-V.
in demſelben Art. 6 als „Vertreter“ und „Bevollmächtigte“ be-
zeichnet. Beide Ausdrücke bedeuten daſſelbe; ſie beziehen ſich auf
den Gegenſatz zu den an Aufträge und Inſtruktionen nicht gebun-
denen Reichstags-Abgeordneten. In der Abſtimmung des Bevoll-
mächtigten kommt nicht ſein ſubjectiver Wille, auch nicht die per-

1) Auch Fürſt Bismarck hat bei der Verhandlung über den Waldeck’-
ſchen Acceſſions-Vertrag im Preuß. Abgeordneten-Hauſe am 11. Dezember
1867 (Stenogr. Berichte I. S. 341) anerkannt, daß es dem Fürſten von
Waldeck völlig frei ſtehe, die ihm zuſtehende Stimme im Bundesrath ruhen
zu laſſen.
2) In der Reichsverfaſſung dadurch anerkannt, daß im Gegenſatz zu den
Beſtimmungen über den Reichstag für die Bundesrathsbeſchlüſſe kein Minimum
der Stimmenzahl angeordnet iſt. v. Rönne S. 149. Weſterkamp S. 100.
Seydel S. 105.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0258" n="238"/><fw place="top" type="header">§. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe.</fw><lb/>
i&#x017F;t, ob &#x017F;ie ihre Mitglied&#x017F;chaftsrechte im Bundesrathe ausüben wol-<lb/>
len oder nicht. Denn Art. 7 &#x017F;agt in Beziehung auf die Be&#x017F;chluß-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung des Bundesrathes:<lb/><hi rendition="#et">&#x201E;<hi rendition="#g">Nicht vertretene oder nicht in&#x017F;truirte Stim-<lb/>
men werden nicht gezählt</hi>.&#x201C;</hi></p><lb/>
            <p>Hier i&#x017F;t ausdrücklich die Möglichkeit hinge&#x017F;tellt, daß ein Staat<lb/>
entweder gar nicht &#x017F;ich vertreten läßt oder daß er &#x017F;einen Vertreter<lb/>
im einzelnen Falle nicht in&#x017F;truirt, al&#x017F;o &#x017F;ein Stimmrecht nicht aus-<lb/>
übt. Es i&#x017F;t auch die Rechtsfolge eines &#x017F;olchen Verhaltens be&#x017F;timmt<lb/>
normirt. Sie be&#x017F;teht nicht darin, daß der Einzel&#x017F;taat vom Reiche<lb/>
angehalten werden könnte, &#x017F;eine Stimme abzugeben; &#x017F;ondern darin<lb/>
daß der Staat, welcher auf die Ausübung &#x017F;eines Stimmrechts<lb/>
verzichtet, bei der Be&#x017F;chlußfa&#x017F;&#x017F;ung des Bundesraths unberück&#x017F;ichtigt<lb/>
bleibt <note place="foot" n="1)">Auch Für&#x017F;t <hi rendition="#g">Bismarck</hi> hat bei der Verhandlung über den Waldeck&#x2019;-<lb/>
&#x017F;chen Acce&#x017F;&#x017F;ions-Vertrag im Preuß. Abgeordneten-Hau&#x017F;e am 11. Dezember<lb/>
1867 (Stenogr. Berichte <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 341) anerkannt, daß es dem Für&#x017F;ten von<lb/>
Waldeck völlig frei &#x017F;tehe, die ihm zu&#x017F;tehende Stimme im Bundesrath <hi rendition="#g">ruhen</hi><lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en.</note>. Im Zu&#x017F;ammenhange damit &#x017F;teht der Grund&#x017F;atz, daß zur<lb/><hi rendition="#g">Be&#x017F;chlußfähigkeit</hi> des Bundesrathes keine be&#x017F;timmte Anzahl<lb/>
von Stimmen erforderlich i&#x017F;t <note place="foot" n="2)">In der Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung dadurch anerkannt, daß im Gegen&#x017F;atz zu den<lb/>
Be&#x017F;timmungen über den Reichstag für die Bundesrathsbe&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e kein Minimum<lb/>
der Stimmenzahl angeordnet i&#x017F;t. v. <hi rendition="#g">Rönne</hi> S. 149. <hi rendition="#g">We&#x017F;terkamp</hi> S. 100.<lb/><hi rendition="#g">Seydel</hi> S. 105.</note>. Damit entfällt das <hi rendition="#g">rechtliche<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e</hi> des Reiches daran, daß die Einzel&#x017F;taaten von ihren<lb/>
Mitglied&#x017F;chaftsrechten im Bundesrath Gebrauch machen. Der<lb/>
Bundesrath, als ein unentbehrliches Organ des Reiches, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Funktionen es nicht mi&#x017F;&#x017F;en kann, wird in &#x017F;einer Thätigkeit dadurch<lb/>
nicht gehemmt, daß ein oder einige Einzel&#x017F;taaten ihr Stimmrecht<lb/>
nicht ausüben.</p><lb/>
            <p>2) Die Theilnahme an dem Bundesrath wird Seitens der<lb/>
Einzel&#x017F;taaten ausgeübt durch Ge&#x017F;chäftsträger, welche die R.-V.<lb/>
in dem&#x017F;elben Art. 6 als &#x201E;Vertreter&#x201C; und &#x201E;Bevollmächtigte&#x201C; be-<lb/>
zeichnet. Beide Ausdrücke bedeuten da&#x017F;&#x017F;elbe; &#x017F;ie beziehen &#x017F;ich auf<lb/>
den Gegen&#x017F;atz zu den an Aufträge und In&#x017F;truktionen nicht gebun-<lb/>
denen Reichstags-Abgeordneten. In der Ab&#x017F;timmung des Bevoll-<lb/>
mächtigten kommt nicht <hi rendition="#g">&#x017F;ein</hi> &#x017F;ubjectiver Wille, auch nicht die per-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0258] §. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe. iſt, ob ſie ihre Mitgliedſchaftsrechte im Bundesrathe ausüben wol- len oder nicht. Denn Art. 7 ſagt in Beziehung auf die Beſchluß- faſſung des Bundesrathes: „Nicht vertretene oder nicht inſtruirte Stim- men werden nicht gezählt.“ Hier iſt ausdrücklich die Möglichkeit hingeſtellt, daß ein Staat entweder gar nicht ſich vertreten läßt oder daß er ſeinen Vertreter im einzelnen Falle nicht inſtruirt, alſo ſein Stimmrecht nicht aus- übt. Es iſt auch die Rechtsfolge eines ſolchen Verhaltens beſtimmt normirt. Sie beſteht nicht darin, daß der Einzelſtaat vom Reiche angehalten werden könnte, ſeine Stimme abzugeben; ſondern darin daß der Staat, welcher auf die Ausübung ſeines Stimmrechts verzichtet, bei der Beſchlußfaſſung des Bundesraths unberückſichtigt bleibt 1). Im Zuſammenhange damit ſteht der Grundſatz, daß zur Beſchlußfähigkeit des Bundesrathes keine beſtimmte Anzahl von Stimmen erforderlich iſt 2). Damit entfällt das rechtliche Intereſſe des Reiches daran, daß die Einzelſtaaten von ihren Mitgliedſchaftsrechten im Bundesrath Gebrauch machen. Der Bundesrath, als ein unentbehrliches Organ des Reiches, deſſen Funktionen es nicht miſſen kann, wird in ſeiner Thätigkeit dadurch nicht gehemmt, daß ein oder einige Einzelſtaaten ihr Stimmrecht nicht ausüben. 2) Die Theilnahme an dem Bundesrath wird Seitens der Einzelſtaaten ausgeübt durch Geſchäftsträger, welche die R.-V. in demſelben Art. 6 als „Vertreter“ und „Bevollmächtigte“ be- zeichnet. Beide Ausdrücke bedeuten daſſelbe; ſie beziehen ſich auf den Gegenſatz zu den an Aufträge und Inſtruktionen nicht gebun- denen Reichstags-Abgeordneten. In der Abſtimmung des Bevoll- mächtigten kommt nicht ſein ſubjectiver Wille, auch nicht die per- 1) Auch Fürſt Bismarck hat bei der Verhandlung über den Waldeck’- ſchen Acceſſions-Vertrag im Preuß. Abgeordneten-Hauſe am 11. Dezember 1867 (Stenogr. Berichte I. S. 341) anerkannt, daß es dem Fürſten von Waldeck völlig frei ſtehe, die ihm zuſtehende Stimme im Bundesrath ruhen zu laſſen. 2) In der Reichsverfaſſung dadurch anerkannt, daß im Gegenſatz zu den Beſtimmungen über den Reichstag für die Bundesrathsbeſchlüſſe kein Minimum der Stimmenzahl angeordnet iſt. v. Rönne S. 149. Weſterkamp S. 100. Seydel S. 105.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/258
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/258>, abgerufen am 24.11.2024.