und Frankfurt (1) in Folge der im Jahre 1866 erfolgten Ge- biets-Erwerbungen vereinigt. Sachsen und Württemberg führen je 4, Baden und Hessen je 3, Mecklenburg-Schwerin und Braun- schweig je 2 Stimmen, die übrigen 17 Staaten je eine Stimme; so daß die Gesammtzahl der Stimmen 58 beträgt. So wenig es im Bundesrathe eine Stimme giebt, die nicht einem Mitgliede des Bundes angehört, so wenig giebt es ein Mitglied des Bundes, welchem eine Stimme im Bundesrathe versagt wäre.
II. Die verfassungsmäßige Stimmenzahl im Bundesrathe ist für jeden Deutschen Staat Inhalt eines subjectiven Rechts, dessen Ausübung von seiner individuellen Willensent- schließung bestimmt wird.
Dieses Prinzip schließt eine große Reihe von wichtigen Con- sequenzen in sich.
1) Zunächst bedarf die Frage einer Untersuchung, in wiefern dem Rechte eines Einzelstaates auf eine Stimme im Bundesrathe die Pflicht correspondirt, dieses Recht auch auszuüben und an den Beschlüssen des Bundesrathes wirklichen Antheil zu nehmen. Eine Beantwortung dieser Frage ist nur möglich, wenn man zwei rechtliche Beziehungen, die hier zugleich in Betracht kommen kön- nen, scharf auseinanderhält, nämlich die Beziehung der Regie- rung eines Einzelstaates zu diesem Einzelstaate selbst und die Beziehung des Einzelstaates zum Reich.
In der ersten Richtung ist nicht zu bezweifeln, daß zu den Pflichten der Regierung auch die Wahrnehmung der Rechte des Staates im Bundesrath gehört. Ein Minister, der es unterlassen würde, einen Bevollmächtigten im Bundesrath zu ernennen oder denselben mit Instruktionen zu versehen, würde die ihm obliegende Sorgfalt in der Führung der Regierungsgeschäfte verletzen: er würde bei fortgesetzter Nichtausübung seines Rechts die Interessen seines Staates tief schädigen und ihn seines berechtigten Einflusses auf die Reichsangelegenheiten berauben. Er würde wegen eines solchen Verhaltens innerhalb des Einzelstaates, dessen Regie- rung er führt, nach Maaßgabe des Staatsrechts desselben verant- wortlich gemacht, also nach Umständen auch durch Anklage verfolgt werden können. Es entspricht also dem Recht der Regierung, die Mitgliedschaftsrechte des Staates im Bundesrathe auszuüben, in Ansehung des berechtigten Staates die Pflicht, die Mitglied-
§. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe.
und Frankfurt (1) in Folge der im Jahre 1866 erfolgten Ge- biets-Erwerbungen vereinigt. Sachſen und Württemberg führen je 4, Baden und Heſſen je 3, Mecklenburg-Schwerin und Braun- ſchweig je 2 Stimmen, die übrigen 17 Staaten je eine Stimme; ſo daß die Geſammtzahl der Stimmen 58 beträgt. So wenig es im Bundesrathe eine Stimme giebt, die nicht einem Mitgliede des Bundes angehört, ſo wenig giebt es ein Mitglied des Bundes, welchem eine Stimme im Bundesrathe verſagt wäre.
II. Die verfaſſungsmäßige Stimmenzahl im Bundesrathe iſt für jeden Deutſchen Staat Inhalt eines ſubjectiven Rechts, deſſen Ausübung von ſeiner individuellen Willensent- ſchließung beſtimmt wird.
Dieſes Prinzip ſchließt eine große Reihe von wichtigen Con- ſequenzen in ſich.
1) Zunächſt bedarf die Frage einer Unterſuchung, in wiefern dem Rechte eines Einzelſtaates auf eine Stimme im Bundesrathe die Pflicht correſpondirt, dieſes Recht auch auszuüben und an den Beſchlüſſen des Bundesrathes wirklichen Antheil zu nehmen. Eine Beantwortung dieſer Frage iſt nur möglich, wenn man zwei rechtliche Beziehungen, die hier zugleich in Betracht kommen kön- nen, ſcharf auseinanderhält, nämlich die Beziehung der Regie- rung eines Einzelſtaates zu dieſem Einzelſtaate ſelbſt und die Beziehung des Einzelſtaates zum Reich.
In der erſten Richtung iſt nicht zu bezweifeln, daß zu den Pflichten der Regierung auch die Wahrnehmung der Rechte des Staates im Bundesrath gehört. Ein Miniſter, der es unterlaſſen würde, einen Bevollmächtigten im Bundesrath zu ernennen oder denſelben mit Inſtruktionen zu verſehen, würde die ihm obliegende Sorgfalt in der Führung der Regierungsgeſchäfte verletzen: er würde bei fortgeſetzter Nichtausübung ſeines Rechts die Intereſſen ſeines Staates tief ſchädigen und ihn ſeines berechtigten Einfluſſes auf die Reichsangelegenheiten berauben. Er würde wegen eines ſolchen Verhaltens innerhalb des Einzelſtaates, deſſen Regie- rung er führt, nach Maaßgabe des Staatsrechts deſſelben verant- wortlich gemacht, alſo nach Umſtänden auch durch Anklage verfolgt werden können. Es entſpricht alſo dem Recht der Regierung, die Mitgliedſchaftsrechte des Staates im Bundesrathe auszuüben, in Anſehung des berechtigten Staates die Pflicht, die Mitglied-
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§. 28. Die Staatenrechte im Bundesrathe.
und Frankfurt (1) in Folge der im Jahre 1866 erfolgten Ge-
biets-Erwerbungen vereinigt. Sachſen und Württemberg führen
je 4, Baden und Heſſen je 3, Mecklenburg-Schwerin und Braun-
ſchweig je 2 Stimmen, die übrigen 17 Staaten je eine Stimme;
ſo daß die Geſammtzahl der Stimmen 58 beträgt. So wenig es
im Bundesrathe eine Stimme giebt, die nicht einem Mitgliede
des Bundes angehört, ſo wenig giebt es ein Mitglied des Bundes,
welchem eine Stimme im Bundesrathe verſagt wäre.
II. Die verfaſſungsmäßige Stimmenzahl im Bundesrathe
iſt für jeden Deutſchen Staat Inhalt eines ſubjectiven Rechts,
deſſen Ausübung von ſeiner individuellen Willensent-
ſchließung beſtimmt wird.
Dieſes Prinzip ſchließt eine große Reihe von wichtigen Con-
ſequenzen in ſich.
1) Zunächſt bedarf die Frage einer Unterſuchung, in wiefern
dem Rechte eines Einzelſtaates auf eine Stimme im Bundesrathe
die Pflicht correſpondirt, dieſes Recht auch auszuüben und an
den Beſchlüſſen des Bundesrathes wirklichen Antheil zu nehmen.
Eine Beantwortung dieſer Frage iſt nur möglich, wenn man zwei
rechtliche Beziehungen, die hier zugleich in Betracht kommen kön-
nen, ſcharf auseinanderhält, nämlich die Beziehung der Regie-
rung eines Einzelſtaates zu dieſem Einzelſtaate ſelbſt und die
Beziehung des Einzelſtaates zum Reich.
In der erſten Richtung iſt nicht zu bezweifeln, daß zu den
Pflichten der Regierung auch die Wahrnehmung der Rechte des
Staates im Bundesrath gehört. Ein Miniſter, der es unterlaſſen
würde, einen Bevollmächtigten im Bundesrath zu ernennen oder
denſelben mit Inſtruktionen zu verſehen, würde die ihm obliegende
Sorgfalt in der Führung der Regierungsgeſchäfte verletzen: er
würde bei fortgeſetzter Nichtausübung ſeines Rechts die Intereſſen
ſeines Staates tief ſchädigen und ihn ſeines berechtigten Einfluſſes
auf die Reichsangelegenheiten berauben. Er würde wegen eines
ſolchen Verhaltens innerhalb des Einzelſtaates, deſſen Regie-
rung er führt, nach Maaßgabe des Staatsrechts deſſelben verant-
wortlich gemacht, alſo nach Umſtänden auch durch Anklage verfolgt
werden können. Es entſpricht alſo dem Recht der Regierung,
die Mitgliedſchaftsrechte des Staates im Bundesrathe auszuüben,
in Anſehung des berechtigten Staates die Pflicht, die Mitglied-
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/256>, abgerufen am 24.11.2024.
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