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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 27. Wesen des Bundesrathes.
Der Bundesrath vermag thatsächlich in vereinzelten Beziehungen
ähnliche Dienste dem Reiche zu leisten, wie sie anderswo wohl
von Ministerien geleistet werden; seinem Begriffe und juristischen
Wesen nach steht er zu einem Ministerium in nicht minder scharfem
Contrast wie zu einem Parlament, denn er wird nicht von dem
obersten Chef der Regierung, vom Kaiser, ernannt und seine Auf-
gabe besteht nicht darin, die Führung der Regierungsgeschäfte im
Namen und Auftrage des Kaisers zu besorgen, sondern er steht
dem Kaiser als ein zweites Organ des Reiches, ebenso wie der
Reichstag, in voller Unabhänigkeit gegenüber 1).

Will man Vergleichungen zum besseren Verständniß der Natur
des Bundesrathes verwerthen, so bietet sich hierzu der Reichstag
des alten deutschen Reiches dar 2). Freilich thatsächlich kann
die Verschiedenheit zwischen beiden Körperschaften größer kaum ge-
dacht werden, als sie wirklich ist; in seinem juristischen Wesen aber
entsprach der alte Reichstag dem jetzigen Bundesrath, denn er war
einerseits ein Willensorgan des Reiches als des souveränen deut-
schen Staates und andererseies kamen in ihm und durch ihn die
individuellen Mitgliedschaftsrechte der Glieder des Reiches, der
Stände, zur Geltung und Ausübung.

In dem Bundesrath sind diese beiden, hervorgehobenen Func-
tionen mit einander zwar in enge Verbindung und Wechselwirkung
gesetzt; für die theoretische Erkenntniß seines juristischen Wesens
aber ist ihre begriffliche Unterscheidung geboten.


höchsten Regierungscollegiums etc. etc." v. Rönne S. 148 hat dies wörtlich nach-
geschrieben. Allein der Bundesrath ist keines von beiden. Auch nach der
"von einem Juristen" gemachten Zusammenstellung des Bundesstaatsrechts
der Nordamerik. Union, der Schweiz und des Norddeutschen Bundes, Mün-
chen 1868, S. 35 sind die Befugnisse des Bundesrathes theils die eines Ober-
hauses, theils die eines Staatsrathes, theils die eines Bundesministeriums.
Vgl. auch v. Held S. 113 Nr. 63.
1) Man kann den Bundesrath des Deutschen Reiches daher auch nicht in
Parallele stellen mit dem Schweizerischen Bundesrath, der ein Regierungs-
collegium ist, noch mit dem Schweizerischen Ständerath, der ein Staatenhaus,
eine parlamentarische Körperschaft ist. Bundesverf. vom 29. Mai 1874 Art.
95 fg. Art. 80 fg.
2) Vgl. auch v. Mohl S. 230 und Gierke das alte und das neue
Deutsche Reich S. 25. 26. (Deutsche Zeit- und Streit-Fragen. III. Jahrgang
Heft 35. 1874.)

§. 27. Weſen des Bundesrathes.
Der Bundesrath vermag thatſächlich in vereinzelten Beziehungen
ähnliche Dienſte dem Reiche zu leiſten, wie ſie anderswo wohl
von Miniſterien geleiſtet werden; ſeinem Begriffe und juriſtiſchen
Weſen nach ſteht er zu einem Miniſterium in nicht minder ſcharfem
Contraſt wie zu einem Parlament, denn er wird nicht von dem
oberſten Chef der Regierung, vom Kaiſer, ernannt und ſeine Auf-
gabe beſteht nicht darin, die Führung der Regierungsgeſchäfte im
Namen und Auftrage des Kaiſers zu beſorgen, ſondern er ſteht
dem Kaiſer als ein zweites Organ des Reiches, ebenſo wie der
Reichstag, in voller Unabhänigkeit gegenüber 1).

Will man Vergleichungen zum beſſeren Verſtändniß der Natur
des Bundesrathes verwerthen, ſo bietet ſich hierzu der Reichstag
des alten deutſchen Reiches dar 2). Freilich thatſächlich kann
die Verſchiedenheit zwiſchen beiden Körperſchaften größer kaum ge-
dacht werden, als ſie wirklich iſt; in ſeinem juriſtiſchen Weſen aber
entſprach der alte Reichstag dem jetzigen Bundesrath, denn er war
einerſeits ein Willensorgan des Reiches als des ſouveränen deut-
ſchen Staates und andererſeies kamen in ihm und durch ihn die
individuellen Mitgliedſchaftsrechte der Glieder des Reiches, der
Stände, zur Geltung und Ausübung.

In dem Bundesrath ſind dieſe beiden, hervorgehobenen Func-
tionen mit einander zwar in enge Verbindung und Wechſelwirkung
geſetzt; für die theoretiſche Erkenntniß ſeines juriſtiſchen Weſens
aber iſt ihre begriffliche Unterſcheidung geboten.


höchſten Regierungscollegiums ꝛc. ꝛc.“ v. Rönne S. 148 hat dies wörtlich nach-
geſchrieben. Allein der Bundesrath iſt keines von beiden. Auch nach der
„von einem Juriſten“ gemachten Zuſammenſtellung des Bundesſtaatsrechts
der Nordamerik. Union, der Schweiz und des Norddeutſchen Bundes, Mün-
chen 1868, S. 35 ſind die Befugniſſe des Bundesrathes theils die eines Ober-
hauſes, theils die eines Staatsrathes, theils die eines Bundesminiſteriums.
Vgl. auch v. Held S. 113 Nr. 63.
1) Man kann den Bundesrath des Deutſchen Reiches daher auch nicht in
Parallele ſtellen mit dem Schweizeriſchen Bundesrath, der ein Regierungs-
collegium iſt, noch mit dem Schweizeriſchen Ständerath, der ein Staatenhaus,
eine parlamentariſche Körperſchaft iſt. Bundesverf. vom 29. Mai 1874 Art.
95 fg. Art. 80 fg.
2) Vgl. auch v. Mohl S. 230 und Gierke das alte und das neue
Deutſche Reich S. 25. 26. (Deutſche Zeit- und Streit-Fragen. III. Jahrgang
Heft 35. 1874.)
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[233/0253] §. 27. Weſen des Bundesrathes. Der Bundesrath vermag thatſächlich in vereinzelten Beziehungen ähnliche Dienſte dem Reiche zu leiſten, wie ſie anderswo wohl von Miniſterien geleiſtet werden; ſeinem Begriffe und juriſtiſchen Weſen nach ſteht er zu einem Miniſterium in nicht minder ſcharfem Contraſt wie zu einem Parlament, denn er wird nicht von dem oberſten Chef der Regierung, vom Kaiſer, ernannt und ſeine Auf- gabe beſteht nicht darin, die Führung der Regierungsgeſchäfte im Namen und Auftrage des Kaiſers zu beſorgen, ſondern er ſteht dem Kaiſer als ein zweites Organ des Reiches, ebenſo wie der Reichstag, in voller Unabhänigkeit gegenüber 1). Will man Vergleichungen zum beſſeren Verſtändniß der Natur des Bundesrathes verwerthen, ſo bietet ſich hierzu der Reichstag des alten deutſchen Reiches dar 2). Freilich thatſächlich kann die Verſchiedenheit zwiſchen beiden Körperſchaften größer kaum ge- dacht werden, als ſie wirklich iſt; in ſeinem juriſtiſchen Weſen aber entſprach der alte Reichstag dem jetzigen Bundesrath, denn er war einerſeits ein Willensorgan des Reiches als des ſouveränen deut- ſchen Staates und andererſeies kamen in ihm und durch ihn die individuellen Mitgliedſchaftsrechte der Glieder des Reiches, der Stände, zur Geltung und Ausübung. In dem Bundesrath ſind dieſe beiden, hervorgehobenen Func- tionen mit einander zwar in enge Verbindung und Wechſelwirkung geſetzt; für die theoretiſche Erkenntniß ſeines juriſtiſchen Weſens aber iſt ihre begriffliche Unterſcheidung geboten. 2) 1) Man kann den Bundesrath des Deutſchen Reiches daher auch nicht in Parallele ſtellen mit dem Schweizeriſchen Bundesrath, der ein Regierungs- collegium iſt, noch mit dem Schweizeriſchen Ständerath, der ein Staatenhaus, eine parlamentariſche Körperſchaft iſt. Bundesverf. vom 29. Mai 1874 Art. 95 fg. Art. 80 fg. 2) Vgl. auch v. Mohl S. 230 und Gierke das alte und das neue Deutſche Reich S. 25. 26. (Deutſche Zeit- und Streit-Fragen. III. Jahrgang Heft 35. 1874.) 2) höchſten Regierungscollegiums ꝛc. ꝛc.“ v. Rönne S. 148 hat dies wörtlich nach- geſchrieben. Allein der Bundesrath iſt keines von beiden. Auch nach der „von einem Juriſten“ gemachten Zuſammenſtellung des Bundesſtaatsrechts der Nordamerik. Union, der Schweiz und des Norddeutſchen Bundes, Mün- chen 1868, S. 35 ſind die Befugniſſe des Bundesrathes theils die eines Ober- hauſes, theils die eines Staatsrathes, theils die eines Bundesminiſteriums. Vgl. auch v. Held S. 113 Nr. 63.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/253>, abgerufen am 21.11.2024.