Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.§. 15. Der Inhalt des Reichsbürgerrechts. den Gesetzen gemäß sich halten, eine völkerrechtliche Pflicht; aberes ist unbezweifelt, daß jeder Staat ganz unabhängig und frei prüfen kann, ob er den ferneren Aufenthalt eines Ausländers in seinem Gebiet als mit seinem Interesse verträglich erachtet und daß er, falls er dies verneint, jeden Ausländer aus seinem Ge- biet verweisen kann 1). Eine Landesverweisung der Staatsangehörigen dagegen giebt es nicht 2). Der Staatsangehörige, der sich gegen die Gesetze vergeht, kann nach Maaßgabe derselben bestraft, aber niemals aus dem Staatsgebiete verwiesen werden. Demgemäß kann kein Reichs angehöriger aus dem Reichsgebiet verwiesen werden, weder aus polizeilichen noch strafrechtlichen Gründen. Durch das Gesetz über die Freizügigkeit v. 1. Nov. 1867 §. 1 3) ist dieses staatsbür- gerliche Grundrecht gewährleistet. Das Strafgesetzbuch kennt dem entsprechend die Strafe der Landesverweisung gegen Reichsange- hörige nicht, wohl aber gegen Ausländer (§. 39 Abs. 2 §. 284 Abs. 2. §. 362 Abs. 3). Das Gesetz, betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu, vom 4. Juli 1872 unterscheidet im §. 2, ob die Jesuiten Ausländer oder Inländer sind; im ersteren Falle können sie ausgewiesen, im letztern Falle internirt werden 4). Endlich das 1) Es ist schon oft hervorgehoben worden, daß der wesentlichste Inhalt des Indigenats oder der Staatsangehörigkeit in dem Wohnrecht besteht. Vgl. z. B. Zöpfl II. §. 298 und besonders v. Bar International. Privat- u. Strafrecht S. 83 fg. Auch [Goldammer] Archiv für Preuß. Strafrecht Bd. XVI. S. 453. Indeß ist festzuhalten, daß ein Wohnrecht vertragsmä- ßig auch einem Fremden eingeräumt werden kann, was in früherer Zeit z. B. hinsichtlich der Juden öfters vorkam. (Vgl. Otto Stobbe die Juden in Deutschl. während des Mittelalters S. 23 ff.), und daß andererseits das Wohnrecht den Inhalt der durch die Staatsangehörigkeit begründeten Rechte nicht erschöpft. 2) Im früheren Recht kam dieselbe allerdings vor; mit dem modernen Staatsbegriff ist sie ganz unvereinbar. Vgl. auch Zachariä II. S. 301. Die bei Zöpfl II §. 298 Note 3 angeführten Verfassungsbestimmungen. v. Rönne Preuß. Staatsr. II. 2 §. 335. v. Martitz in Hirth's Annalen 1875 S. 800. 3) "Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb des Bundes- gebietes an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen im Stande ist." 4) Der Regierungs-Entwurf wollte allerdings Reichsangehörige und aus-
ländische Jesuiten gleichstellen; auf den Antrag des Abgeordneten Meyer (Thorn) §. 15. Der Inhalt des Reichsbürgerrechts. den Geſetzen gemäß ſich halten, eine völkerrechtliche Pflicht; aberes iſt unbezweifelt, daß jeder Staat ganz unabhängig und frei prüfen kann, ob er den ferneren Aufenthalt eines Ausländers in ſeinem Gebiet als mit ſeinem Intereſſe verträglich erachtet und daß er, falls er dies verneint, jeden Ausländer aus ſeinem Ge- biet verweiſen kann 1). Eine Landesverweiſung der Staatsangehörigen dagegen giebt es nicht 2). Der Staatsangehörige, der ſich gegen die Geſetze vergeht, kann nach Maaßgabe derſelben beſtraft, aber niemals aus dem Staatsgebiete verwieſen werden. Demgemäß kann kein Reichs angehöriger aus dem Reichsgebiet verwieſen werden, weder aus polizeilichen noch ſtrafrechtlichen Gründen. Durch das Geſetz über die Freizügigkeit v. 1. Nov. 1867 §. 1 3) iſt dieſes ſtaatsbür- gerliche Grundrecht gewährleiſtet. Das Strafgeſetzbuch kennt dem entſprechend die Strafe der Landesverweiſung gegen Reichsange- hörige nicht, wohl aber gegen Ausländer (§. 39 Abſ. 2 §. 284 Abſ. 2. §. 362 Abſ. 3). Das Geſetz, betreffend den Orden der Geſellſchaft Jeſu, vom 4. Juli 1872 unterſcheidet im §. 2, ob die Jeſuiten Ausländer oder Inländer ſind; im erſteren Falle können ſie ausgewieſen, im letztern Falle internirt werden 4). Endlich das 1) Es iſt ſchon oft hervorgehoben worden, daß der weſentlichſte Inhalt des Indigenats oder der Staatsangehörigkeit in dem Wohnrecht beſteht. Vgl. z. B. Zöpfl II. §. 298 und beſonders v. Bar International. Privat- u. Strafrecht S. 83 fg. Auch [Goldammer] Archiv für Preuß. Strafrecht Bd. XVI. S. 453. Indeß iſt feſtzuhalten, daß ein Wohnrecht vertragsmä- ßig auch einem Fremden eingeräumt werden kann, was in früherer Zeit z. B. hinſichtlich der Juden öfters vorkam. (Vgl. Otto Stobbe die Juden in Deutſchl. während des Mittelalters S. 23 ff.), und daß andererſeits das Wohnrecht den Inhalt der durch die Staatsangehörigkeit begründeten Rechte nicht erſchöpft. 2) Im früheren Recht kam dieſelbe allerdings vor; mit dem modernen Staatsbegriff iſt ſie ganz unvereinbar. Vgl. auch Zachariä II. S. 301. Die bei Zöpfl II §. 298 Note 3 angeführten Verfaſſungsbeſtimmungen. v. Rönne Preuß. Staatsr. II. 2 §. 335. v. Martitz in Hirth’s Annalen 1875 S. 800. 3) „Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb des Bundes- gebietes an jedem Orte ſich aufzuhalten oder niederzulaſſen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen ſich zu verſchaffen im Stande iſt.“ 4) Der Regierungs-Entwurf wollte allerdings Reichsangehörige und aus-
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§. 15. Der Inhalt des Reichsbürgerrechts.
den Geſetzen gemäß ſich halten, eine völkerrechtliche Pflicht; aber
es iſt unbezweifelt, daß jeder Staat ganz unabhängig und frei
prüfen kann, ob er den ferneren Aufenthalt eines Ausländers in
ſeinem Gebiet als mit ſeinem Intereſſe verträglich erachtet und
daß er, falls er dies verneint, jeden Ausländer aus ſeinem Ge-
biet verweiſen kann 1). Eine Landesverweiſung der
Staatsangehörigen dagegen giebt es nicht 2). Der
Staatsangehörige, der ſich gegen die Geſetze vergeht, kann nach
Maaßgabe derſelben beſtraft, aber niemals aus dem Staatsgebiete
verwieſen werden. Demgemäß kann kein Reichs angehöriger aus
dem Reichsgebiet verwieſen werden, weder aus polizeilichen
noch ſtrafrechtlichen Gründen. Durch das Geſetz über die
Freizügigkeit v. 1. Nov. 1867 §. 1 3) iſt dieſes ſtaatsbür-
gerliche Grundrecht gewährleiſtet. Das Strafgeſetzbuch kennt dem
entſprechend die Strafe der Landesverweiſung gegen Reichsange-
hörige nicht, wohl aber gegen Ausländer (§. 39 Abſ. 2 §. 284
Abſ. 2. §. 362 Abſ. 3). Das Geſetz, betreffend den Orden der
Geſellſchaft Jeſu, vom 4. Juli 1872 unterſcheidet im §. 2, ob die
Jeſuiten Ausländer oder Inländer ſind; im erſteren Falle können
ſie ausgewieſen, im letztern Falle internirt werden 4). Endlich das
1) Es iſt ſchon oft hervorgehoben worden, daß der weſentlichſte Inhalt
des Indigenats oder der Staatsangehörigkeit in dem Wohnrecht beſteht.
Vgl. z. B. Zöpfl II. §. 298 und beſonders v. Bar International. Privat-
u. Strafrecht S. 83 fg. Auch [Goldammer] Archiv für Preuß. Strafrecht
Bd. XVI. S. 453. Indeß iſt feſtzuhalten, daß ein Wohnrecht vertragsmä-
ßig auch einem Fremden eingeräumt werden kann, was in früherer Zeit
z. B. hinſichtlich der Juden öfters vorkam. (Vgl. Otto Stobbe die Juden
in Deutſchl. während des Mittelalters S. 23 ff.), und daß andererſeits das
Wohnrecht den Inhalt der durch die Staatsangehörigkeit begründeten Rechte
nicht erſchöpft.
2) Im früheren Recht kam dieſelbe allerdings vor; mit dem modernen
Staatsbegriff iſt ſie ganz unvereinbar. Vgl. auch Zachariä II. S. 301.
Die bei Zöpfl II §. 298 Note 3 angeführten Verfaſſungsbeſtimmungen.
v. Rönne Preuß. Staatsr. II. 2 §. 335. v. Martitz in Hirth’s Annalen
1875 S. 800.
3) „Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb des Bundes-
gebietes an jedem Orte ſich aufzuhalten oder niederzulaſſen, wo er
eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen ſich zu verſchaffen im Stande iſt.“
4) Der Regierungs-Entwurf wollte allerdings Reichsangehörige und aus-
ländiſche Jeſuiten gleichſtellen; auf den Antrag des Abgeordneten Meyer (Thorn)
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