Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 13. Begriff u. staatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit.
Angehöriger des Reichs und der Reichsgewalt unterthan. Man
braucht nur den oben angeführten Satz von Waitz umzukehren
und man erhält den vollkommen getreuen Ausdruck der Wahrheit.
Die Angehörigen eines Bundesstaates sind nicht
unabhängig von demselben, sondern durch diesen
Bürger des Gesammtstaates
. Der Einzelne hat nicht zwei
Staatsgewalten über sich, welche einander nebengeordnet sind
und von denen eine jede einen Theil der obrigkeitlichen Rechte
in sich schließt; sondern er hat zwei Staatsgewalten über sich, welche
einander übergeordnet sind. Man kann das Reich einer An-
zahl von Häusern vergleichen, über welche eine gemeinsame Kuppel
gewölbt ist; die Insassen wohnen nicht theilweise unter dem Sepa-
rat-Dach ihres Hauses und theilweise unter der gemeinsamen Kup-
pel, sondern unter beiden zugleich. Die Reichsangehörigkeit ist
keine selbstständige Eigenschaft, sondern sie drückt mit einem Worte
zwei verbundene Eigenschaften aus, nämlich daß Jemand einem
Staate angehört, welcher dem Reiche angehört. Die Reichsunter-
thänigkeit ist keine unmittelbare, sondern eine mittelbare; die Ein-
zelstaatsgewalt bildet das Medium.

Die herrschende Theorie stützt sich vorzüglich darauf, daß die
Reichsgesetze ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von
Reichswegen erhalten. Hierin erblickt man den Ausdruck der un-
mittelbaren Herrschaft des Reiches über die Angehörigen; während
man eine mittelbare Unterordnung nur dann annimmt, wenn eine
landesgesetzliche Publikation hinzukommen muß, um den Bundes-
gesetzen Geltung zu verschaffen. Es ist oben S. 80 ff. bereits ge-
zeigt worden, daß diese Beweisführung unhaltbar ist.

Der Erlaß des Reichsstrafgesetzbuchs, des Preßgesetzes, der
Gewerbe-Ordnung ist allerdings kein bloßer Beschluß, wie die Ein-
zelstaaten die Handhabung der Strafjustiz, des Preßwesens, des
Gewerbe-Wesens gesetzlich zu normiren haben, ebenso wenig aber
eine Emanzipation des einzelnen Staatsbürgers von seiner
Staatsgewalt, und eine directe Unterwerfung unter die obrigkeit-
liche Hoheit des Reiches, sondern eine Aufstellung von Rechts-
normen über die Handhabung der Strafjustiz, des Preßwesens,
des Gewerbe-Wesens, die der Einzelstaat als solcher, zugleich aber
auch alle seine Behörden und Angehörigen zu befolgen und zu be-
achten haben.


§. 13. Begriff u. ſtaatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit.
Angehöriger des Reichs und der Reichsgewalt unterthan. Man
braucht nur den oben angeführten Satz von Waitz umzukehren
und man erhält den vollkommen getreuen Ausdruck der Wahrheit.
Die Angehörigen eines Bundesſtaates ſind nicht
unabhängig von demſelben, ſondern durch dieſen
Bürger des Geſammtſtaates
. Der Einzelne hat nicht zwei
Staatsgewalten über ſich, welche einander nebengeordnet ſind
und von denen eine jede einen Theil der obrigkeitlichen Rechte
in ſich ſchließt; ſondern er hat zwei Staatsgewalten über ſich, welche
einander übergeordnet ſind. Man kann das Reich einer An-
zahl von Häuſern vergleichen, über welche eine gemeinſame Kuppel
gewölbt iſt; die Inſaſſen wohnen nicht theilweiſe unter dem Sepa-
rat-Dach ihres Hauſes und theilweiſe unter der gemeinſamen Kup-
pel, ſondern unter beiden zugleich. Die Reichsangehörigkeit iſt
keine ſelbſtſtändige Eigenſchaft, ſondern ſie drückt mit einem Worte
zwei verbundene Eigenſchaften aus, nämlich daß Jemand einem
Staate angehört, welcher dem Reiche angehört. Die Reichsunter-
thänigkeit iſt keine unmittelbare, ſondern eine mittelbare; die Ein-
zelſtaatsgewalt bildet das Medium.

Die herrſchende Theorie ſtützt ſich vorzüglich darauf, daß die
Reichsgeſetze ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von
Reichswegen erhalten. Hierin erblickt man den Ausdruck der un-
mittelbaren Herrſchaft des Reiches über die Angehörigen; während
man eine mittelbare Unterordnung nur dann annimmt, wenn eine
landesgeſetzliche Publikation hinzukommen muß, um den Bundes-
geſetzen Geltung zu verſchaffen. Es iſt oben S. 80 ff. bereits ge-
zeigt worden, daß dieſe Beweisführung unhaltbar iſt.

Der Erlaß des Reichsſtrafgeſetzbuchs, des Preßgeſetzes, der
Gewerbe-Ordnung iſt allerdings kein bloßer Beſchluß, wie die Ein-
zelſtaaten die Handhabung der Strafjuſtiz, des Preßweſens, des
Gewerbe-Weſens geſetzlich zu normiren haben, ebenſo wenig aber
eine Emanzipation des einzelnen Staatsbürgers von ſeiner
Staatsgewalt, und eine directe Unterwerfung unter die obrigkeit-
liche Hoheit des Reiches, ſondern eine Aufſtellung von Rechts-
normen über die Handhabung der Strafjuſtiz, des Preßweſens,
des Gewerbe-Weſens, die der Einzelſtaat als ſolcher, zugleich aber
auch alle ſeine Behörden und Angehörigen zu befolgen und zu be-
achten haben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0154" n="134"/><fw place="top" type="header">§. 13. Begriff u. &#x017F;taatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit.</fw><lb/>
Angehöriger des Reichs und der Reichsgewalt unterthan. Man<lb/>
braucht nur den oben angeführten Satz von <hi rendition="#g">Waitz</hi> umzukehren<lb/>
und man erhält den vollkommen getreuen Ausdruck der Wahrheit.<lb/><hi rendition="#g">Die Angehörigen eines Bundes&#x017F;taates &#x017F;ind nicht<lb/>
unabhängig von dem&#x017F;elben, &#x017F;ondern durch die&#x017F;en<lb/>
Bürger des Ge&#x017F;ammt&#x017F;taates</hi>. Der Einzelne hat nicht zwei<lb/>
Staatsgewalten über &#x017F;ich, welche einander <hi rendition="#g">nebengeordnet</hi> &#x017F;ind<lb/>
und von denen eine jede einen Theil der obrigkeitlichen Rechte<lb/>
in &#x017F;ich &#x017F;chließt; &#x017F;ondern er hat zwei Staatsgewalten über &#x017F;ich, welche<lb/>
einander <hi rendition="#g">übergeordnet</hi> &#x017F;ind. Man kann das Reich einer An-<lb/>
zahl von Häu&#x017F;ern vergleichen, über welche eine gemein&#x017F;ame Kuppel<lb/>
gewölbt i&#x017F;t; die In&#x017F;a&#x017F;&#x017F;en wohnen nicht theilwei&#x017F;e unter dem Sepa-<lb/>
rat-Dach ihres Hau&#x017F;es und theilwei&#x017F;e unter der gemein&#x017F;amen Kup-<lb/>
pel, &#x017F;ondern unter beiden zugleich. Die Reichsangehörigkeit i&#x017F;t<lb/>
keine &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige Eigen&#x017F;chaft, &#x017F;ondern &#x017F;ie drückt mit einem Worte<lb/>
zwei verbundene Eigen&#x017F;chaften aus, nämlich daß Jemand einem<lb/>
Staate angehört, welcher dem Reiche angehört. Die Reichsunter-<lb/>
thänigkeit i&#x017F;t keine unmittelbare, &#x017F;ondern eine mittelbare; die Ein-<lb/>
zel&#x017F;taatsgewalt bildet das Medium.</p><lb/>
            <p>Die herr&#x017F;chende Theorie &#x017F;tützt &#x017F;ich vorzüglich darauf, daß die<lb/>
Reichsge&#x017F;etze ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von<lb/>
Reichswegen erhalten. Hierin erblickt man den Ausdruck der un-<lb/>
mittelbaren Herr&#x017F;chaft des Reiches über die Angehörigen; während<lb/>
man eine mittelbare Unterordnung nur dann annimmt, wenn eine<lb/>
landesge&#x017F;etzliche Publikation hinzukommen muß, um den Bundes-<lb/>
ge&#x017F;etzen Geltung zu ver&#x017F;chaffen. Es i&#x017F;t oben S. 80 ff. bereits ge-<lb/>
zeigt worden, daß die&#x017F;e Beweisführung unhaltbar i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Der Erlaß des Reichs&#x017F;trafge&#x017F;etzbuchs, des Preßge&#x017F;etzes, der<lb/>
Gewerbe-Ordnung i&#x017F;t allerdings kein bloßer Be&#x017F;chluß, wie die Ein-<lb/>
zel&#x017F;taaten die Handhabung der Strafju&#x017F;tiz, des Preßwe&#x017F;ens, des<lb/>
Gewerbe-We&#x017F;ens ge&#x017F;etzlich zu normiren haben, eben&#x017F;o wenig aber<lb/>
eine Emanzipation des einzelnen Staatsbürgers von <hi rendition="#g">&#x017F;einer</hi><lb/>
Staatsgewalt, und eine directe Unterwerfung unter die obrigkeit-<lb/>
liche Hoheit des Reiches, &#x017F;ondern eine Auf&#x017F;tellung von Rechts-<lb/>
normen über die Handhabung der Strafju&#x017F;tiz, des Preßwe&#x017F;ens,<lb/>
des Gewerbe-We&#x017F;ens, die der Einzel&#x017F;taat als &#x017F;olcher, zugleich aber<lb/>
auch alle &#x017F;eine Behörden und Angehörigen zu befolgen und zu be-<lb/>
achten haben.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0154] §. 13. Begriff u. ſtaatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit. Angehöriger des Reichs und der Reichsgewalt unterthan. Man braucht nur den oben angeführten Satz von Waitz umzukehren und man erhält den vollkommen getreuen Ausdruck der Wahrheit. Die Angehörigen eines Bundesſtaates ſind nicht unabhängig von demſelben, ſondern durch dieſen Bürger des Geſammtſtaates. Der Einzelne hat nicht zwei Staatsgewalten über ſich, welche einander nebengeordnet ſind und von denen eine jede einen Theil der obrigkeitlichen Rechte in ſich ſchließt; ſondern er hat zwei Staatsgewalten über ſich, welche einander übergeordnet ſind. Man kann das Reich einer An- zahl von Häuſern vergleichen, über welche eine gemeinſame Kuppel gewölbt iſt; die Inſaſſen wohnen nicht theilweiſe unter dem Sepa- rat-Dach ihres Hauſes und theilweiſe unter der gemeinſamen Kup- pel, ſondern unter beiden zugleich. Die Reichsangehörigkeit iſt keine ſelbſtſtändige Eigenſchaft, ſondern ſie drückt mit einem Worte zwei verbundene Eigenſchaften aus, nämlich daß Jemand einem Staate angehört, welcher dem Reiche angehört. Die Reichsunter- thänigkeit iſt keine unmittelbare, ſondern eine mittelbare; die Ein- zelſtaatsgewalt bildet das Medium. Die herrſchende Theorie ſtützt ſich vorzüglich darauf, daß die Reichsgeſetze ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichswegen erhalten. Hierin erblickt man den Ausdruck der un- mittelbaren Herrſchaft des Reiches über die Angehörigen; während man eine mittelbare Unterordnung nur dann annimmt, wenn eine landesgeſetzliche Publikation hinzukommen muß, um den Bundes- geſetzen Geltung zu verſchaffen. Es iſt oben S. 80 ff. bereits ge- zeigt worden, daß dieſe Beweisführung unhaltbar iſt. Der Erlaß des Reichsſtrafgeſetzbuchs, des Preßgeſetzes, der Gewerbe-Ordnung iſt allerdings kein bloßer Beſchluß, wie die Ein- zelſtaaten die Handhabung der Strafjuſtiz, des Preßweſens, des Gewerbe-Weſens geſetzlich zu normiren haben, ebenſo wenig aber eine Emanzipation des einzelnen Staatsbürgers von ſeiner Staatsgewalt, und eine directe Unterwerfung unter die obrigkeit- liche Hoheit des Reiches, ſondern eine Aufſtellung von Rechts- normen über die Handhabung der Strafjuſtiz, des Preßweſens, des Gewerbe-Weſens, die der Einzelſtaat als ſolcher, zugleich aber auch alle ſeine Behörden und Angehörigen zu befolgen und zu be- achten haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/154
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/154>, abgerufen am 06.05.2024.