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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 9. Das Subject der Reichsgewalt.
legitimirten Bevollmächtigten abgegebenen Stimme bleibt die Frage,
nach welchen staatsrechtlichen Grundsätzen die Instruction des
Bevollmächtigten zu beurtheilen ist 1).

Die Verantwortlichkeit bezieht sich ferner nicht auf die Be-
schlüsse
des Bundesraths 2), noch viel weniger auf Reichsgesetze,
bei denen der Bundesrath überdies durch die Zustimmung des
Reichstages gedeckt ist. Der Einzelstaat steht unter dem Reich;
weder hat die Einzelregierung den Beruf und die Verpflichtung
die Regierungshandlungen des Reiches zu rechtfertigen und zu
verantworten, noch hat der Einzellandtag die Berechtigung, eine
solche Rechtfertigung und Verantwortung zu fordern. Eine par-
lamentarische Verantwortlichkeit besteht für die Reichsregierung
einzig und allein dem Reichstage gegenüber.

Es handelt sich vielmehr lediglich um die Verantwortung für
Regierungshandlungen des Einzelstaates, d. h. um
die Verantwortung für die Instructions-Ertheilung an die Vertreter
des Staates im Bundesrath, resp. für die Unterlassung einer In-
structions-Ertheilung, wo eine solche durch das Interesse des Ein-
zelstaates geboten gewesen wäre. Ob eine derartige Regierungs-
handlung oder Unterlassung überhaupt geeignet ist, eine juristi-
sche
Verantwortlichkeit zu begründen, ist ausschließlich nach dem
Staatsrecht, insbesondere nach dem Minister-Verantwortlichkeits-
Gesetz des einzelnen Staates zu entscheiden 3).

Eine politische (parlamentarische) Verantwortlichkeit ist in
jedem Falle vorhanden und keine Regierung wäre berechtigt, eine
Rechtfertigung ihres Verhaltens und eine Darlegung der Gründe

1) Vgl. unten §. 28.
2) Auf diesem Mißverständniß beruhen die Ausführungen von Hierse-
menzel
II. 300, Meyer Grundzüge 85 ff., Thudichum Verf. der Nordd.
B. S. 117 u. v. Treitschke in den Preuß. Jahrb. Bd. 34 S. 538.
3) Vgl. auch v. Mohl 64 fg. Wo eine Minister-Anklage gestattet ist
wegen Handlungen, welche dem Landeswohl nachtheilig sind, kann sehr wohl
auch das Verhalten der Landesregierung im Bundesrath den Grund einer
solchen Anklage abgeben; ebenso die Thatsache, daß eine Regierung lange Zeit
hindurch die Ernennung eines Vertreters im Bundesrath ganz unterläßt. So
gestattet das Badische Ges. über die Verantw. der Minister v. 20. Febr.
1868 §. 67 a die Minister.-Anklage "wegen schwerer Gefährdung der Sicherheit
oder Wohlfahrt des Staates." Vgl. Samuely Ministerverantwortl. 80. 81.
Hinsichtl. Bayerns vgl. Pözl S. 598 Note 5.

§. 9. Das Subject der Reichsgewalt.
legitimirten Bevollmächtigten abgegebenen Stimme bleibt die Frage,
nach welchen ſtaatsrechtlichen Grundſätzen die Inſtruction des
Bevollmächtigten zu beurtheilen iſt 1).

Die Verantwortlichkeit bezieht ſich ferner nicht auf die Be-
ſchlüſſe
des Bundesraths 2), noch viel weniger auf Reichsgeſetze,
bei denen der Bundesrath überdies durch die Zuſtimmung des
Reichstages gedeckt iſt. Der Einzelſtaat ſteht unter dem Reich;
weder hat die Einzelregierung den Beruf und die Verpflichtung
die Regierungshandlungen des Reiches zu rechtfertigen und zu
verantworten, noch hat der Einzellandtag die Berechtigung, eine
ſolche Rechtfertigung und Verantwortung zu fordern. Eine par-
lamentariſche Verantwortlichkeit beſteht für die Reichsregierung
einzig und allein dem Reichstage gegenüber.

Es handelt ſich vielmehr lediglich um die Verantwortung für
Regierungshandlungen des Einzelſtaates, d. h. um
die Verantwortung für die Inſtructions-Ertheilung an die Vertreter
des Staates im Bundesrath, reſp. für die Unterlaſſung einer In-
ſtructions-Ertheilung, wo eine ſolche durch das Intereſſe des Ein-
zelſtaates geboten geweſen wäre. Ob eine derartige Regierungs-
handlung oder Unterlaſſung überhaupt geeignet iſt, eine juriſti-
ſche
Verantwortlichkeit zu begründen, iſt ausſchließlich nach dem
Staatsrecht, insbeſondere nach dem Miniſter-Verantwortlichkeits-
Geſetz des einzelnen Staates zu entſcheiden 3).

Eine politiſche (parlamentariſche) Verantwortlichkeit iſt in
jedem Falle vorhanden und keine Regierung wäre berechtigt, eine
Rechtfertigung ihres Verhaltens und eine Darlegung der Gründe

1) Vgl. unten §. 28.
2) Auf dieſem Mißverſtändniß beruhen die Ausführungen von Hierſe-
menzel
II. 300, Meyer Grundzüge 85 ff., Thudichum Verf. der Nordd.
B. S. 117 u. v. Treitſchke in den Preuß. Jahrb. Bd. 34 S. 538.
3) Vgl. auch v. Mohl 64 fg. Wo eine Miniſter-Anklage geſtattet iſt
wegen Handlungen, welche dem Landeswohl nachtheilig ſind, kann ſehr wohl
auch das Verhalten der Landesregierung im Bundesrath den Grund einer
ſolchen Anklage abgeben; ebenſo die Thatſache, daß eine Regierung lange Zeit
hindurch die Ernennung eines Vertreters im Bundesrath ganz unterläßt. So
geſtattet das Badiſche Geſ. über die Verantw. der Miniſter v. 20. Febr.
1868 §. 67 a die Miniſter.-Anklage „wegen ſchwerer Gefährdung der Sicherheit
oder Wohlfahrt des Staates.“ Vgl. Samuely Miniſterverantwortl. 80. 81.
Hinſichtl. Bayerns vgl. Pözl S. 598 Note 5.
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[92/0112] §. 9. Das Subject der Reichsgewalt. legitimirten Bevollmächtigten abgegebenen Stimme bleibt die Frage, nach welchen ſtaatsrechtlichen Grundſätzen die Inſtruction des Bevollmächtigten zu beurtheilen iſt 1). Die Verantwortlichkeit bezieht ſich ferner nicht auf die Be- ſchlüſſe des Bundesraths 2), noch viel weniger auf Reichsgeſetze, bei denen der Bundesrath überdies durch die Zuſtimmung des Reichstages gedeckt iſt. Der Einzelſtaat ſteht unter dem Reich; weder hat die Einzelregierung den Beruf und die Verpflichtung die Regierungshandlungen des Reiches zu rechtfertigen und zu verantworten, noch hat der Einzellandtag die Berechtigung, eine ſolche Rechtfertigung und Verantwortung zu fordern. Eine par- lamentariſche Verantwortlichkeit beſteht für die Reichsregierung einzig und allein dem Reichstage gegenüber. Es handelt ſich vielmehr lediglich um die Verantwortung für Regierungshandlungen des Einzelſtaates, d. h. um die Verantwortung für die Inſtructions-Ertheilung an die Vertreter des Staates im Bundesrath, reſp. für die Unterlaſſung einer In- ſtructions-Ertheilung, wo eine ſolche durch das Intereſſe des Ein- zelſtaates geboten geweſen wäre. Ob eine derartige Regierungs- handlung oder Unterlaſſung überhaupt geeignet iſt, eine juriſti- ſche Verantwortlichkeit zu begründen, iſt ausſchließlich nach dem Staatsrecht, insbeſondere nach dem Miniſter-Verantwortlichkeits- Geſetz des einzelnen Staates zu entſcheiden 3). Eine politiſche (parlamentariſche) Verantwortlichkeit iſt in jedem Falle vorhanden und keine Regierung wäre berechtigt, eine Rechtfertigung ihres Verhaltens und eine Darlegung der Gründe 1) Vgl. unten §. 28. 2) Auf dieſem Mißverſtändniß beruhen die Ausführungen von Hierſe- menzel II. 300, Meyer Grundzüge 85 ff., Thudichum Verf. der Nordd. B. S. 117 u. v. Treitſchke in den Preuß. Jahrb. Bd. 34 S. 538. 3) Vgl. auch v. Mohl 64 fg. Wo eine Miniſter-Anklage geſtattet iſt wegen Handlungen, welche dem Landeswohl nachtheilig ſind, kann ſehr wohl auch das Verhalten der Landesregierung im Bundesrath den Grund einer ſolchen Anklage abgeben; ebenſo die Thatſache, daß eine Regierung lange Zeit hindurch die Ernennung eines Vertreters im Bundesrath ganz unterläßt. So geſtattet das Badiſche Geſ. über die Verantw. der Miniſter v. 20. Febr. 1868 §. 67 a die Miniſter.-Anklage „wegen ſchwerer Gefährdung der Sicherheit oder Wohlfahrt des Staates.“ Vgl. Samuely Miniſterverantwortl. 80. 81. Hinſichtl. Bayerns vgl. Pözl S. 598 Note 5.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/112>, abgerufen am 30.04.2024.