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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 8. Der Begriff des Bundesstaates.
staaten 1). Eine Verkündigung der Reichsgesetze Seitens der Ein-
zelstaaten wäre im Bundesstaate widersinnig, wofern man unter
der Verkündigung nicht etwa bloß eine Bekanntmachung, sondern
die Erklärung der Sanction versteht. Denn ein Gesetz kann nicht
von demjenigen verkündigt werden, dem es gegeben ist. Eine
Verkündigung der Bundesstaats-Gesetze Seitens der Einzelstaaten
hätte nicht mehr Sinn, als wenn die einzelnen Gemeinden ihren
Mitgliedern, die einzelnen Bürger sich selbst, ihren Familienge-
nossen, Gewerbegehülfen u. s. w. die Staatsgesetze und obrigkeit-
lichen Verordnungen verkündigen wollten.

Ganz richtig ist es daher, daß im Bundesstaat das Bundes-
gesetz direct und unmittelbar die Angehörigen der Einzelstaaten
bindet; ganz unrichtig ist es aber hieraus zu folgern, daß die
Angehörigen der Einzelstaaten, losgelöst von der Staatsgewalt der
letzteren, der Reichsgewalt unmittelbar unterworfen seien.

In Beziehung auf die Verwaltung und auf die Vollziehung
der Gesetze unterscheidet sich der Bundesstaat vom Staatenbunde
sehr bestimmt dadurch, daß der letztere eine eigene Verwaltung
und Gesetzesvollziehung gar nicht haben kann, während der Bun-
desstaat dazu befähigt ist. Aber es ist nicht nothwendig, daß er
von dieser Befähigung überall und in allen Richtungen Gebrauch
macht; er hat vielmehr die Wahl, ob er selbst für die Durchfüh-
rung der Gesetze und die Verwaltung sorgen oder ob er dieselbe
den Einzelstaaten überlassen oder übertragen will.

Der eigentliche Beweis für die Richtigkeit der Ansicht, daß
sich die Reichsgewalt regelmäßig an die Einzelstaaten wendet und
durch deren Vermittlung Land und Leute beherrscht, wird durch
die gesammte folgende Darstellung erbracht werden.

3) Es ist endlich als ein begriffliches Erforderniß des Bun-
desstaates von Waitz und zahlreichen Anhängern seiner Theorie
hingestellt worden, daß die Einzelstaaten von der Leitung der Ge-
sammt-Angelegenheiten ausgeschlossen seien, daß die Regierung in
keiner Weise in Abhängigkeit von den Einzelstaaten stehe. "Da-
rum sei jede Delegation durch diese unbedingt ausgeschlossen;
weder die Regierungen der Einzelstaaten noch ihre Volksvertretungen
können das Organ bestellen, welches die Leitung der für die Ge-

1) Dies ist wol auch die Auffassung Welcker's a. a. O. S. 37.
Laband, Reichsstaatsrecht. I. 6

§. 8. Der Begriff des Bundesſtaates.
ſtaaten 1). Eine Verkündigung der Reichsgeſetze Seitens der Ein-
zelſtaaten wäre im Bundesſtaate widerſinnig, wofern man unter
der Verkündigung nicht etwa bloß eine Bekanntmachung, ſondern
die Erklärung der Sanction verſteht. Denn ein Geſetz kann nicht
von demjenigen verkündigt werden, dem es gegeben iſt. Eine
Verkündigung der Bundesſtaats-Geſetze Seitens der Einzelſtaaten
hätte nicht mehr Sinn, als wenn die einzelnen Gemeinden ihren
Mitgliedern, die einzelnen Bürger ſich ſelbſt, ihren Familienge-
noſſen, Gewerbegehülfen u. ſ. w. die Staatsgeſetze und obrigkeit-
lichen Verordnungen verkündigen wollten.

Ganz richtig iſt es daher, daß im Bundesſtaat das Bundes-
geſetz direct und unmittelbar die Angehörigen der Einzelſtaaten
bindet; ganz unrichtig iſt es aber hieraus zu folgern, daß die
Angehörigen der Einzelſtaaten, losgelöſt von der Staatsgewalt der
letzteren, der Reichsgewalt unmittelbar unterworfen ſeien.

In Beziehung auf die Verwaltung und auf die Vollziehung
der Geſetze unterſcheidet ſich der Bundesſtaat vom Staatenbunde
ſehr beſtimmt dadurch, daß der letztere eine eigene Verwaltung
und Geſetzesvollziehung gar nicht haben kann, während der Bun-
desſtaat dazu befähigt iſt. Aber es iſt nicht nothwendig, daß er
von dieſer Befähigung überall und in allen Richtungen Gebrauch
macht; er hat vielmehr die Wahl, ob er ſelbſt für die Durchfüh-
rung der Geſetze und die Verwaltung ſorgen oder ob er dieſelbe
den Einzelſtaaten überlaſſen oder übertragen will.

Der eigentliche Beweis für die Richtigkeit der Anſicht, daß
ſich die Reichsgewalt regelmäßig an die Einzelſtaaten wendet und
durch deren Vermittlung Land und Leute beherrſcht, wird durch
die geſammte folgende Darſtellung erbracht werden.

3) Es iſt endlich als ein begriffliches Erforderniß des Bun-
desſtaates von Waitz und zahlreichen Anhängern ſeiner Theorie
hingeſtellt worden, daß die Einzelſtaaten von der Leitung der Ge-
ſammt-Angelegenheiten ausgeſchloſſen ſeien, daß die Regierung in
keiner Weiſe in Abhängigkeit von den Einzelſtaaten ſtehe. „Da-
rum ſei jede Delegation durch dieſe unbedingt ausgeſchloſſen;
weder die Regierungen der Einzelſtaaten noch ihre Volksvertretungen
können das Organ beſtellen, welches die Leitung der für die Ge-

1) Dies iſt wol auch die Auffaſſung Welcker’s a. a. O. S. 37.
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 6
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[81/0101] §. 8. Der Begriff des Bundesſtaates. ſtaaten 1). Eine Verkündigung der Reichsgeſetze Seitens der Ein- zelſtaaten wäre im Bundesſtaate widerſinnig, wofern man unter der Verkündigung nicht etwa bloß eine Bekanntmachung, ſondern die Erklärung der Sanction verſteht. Denn ein Geſetz kann nicht von demjenigen verkündigt werden, dem es gegeben iſt. Eine Verkündigung der Bundesſtaats-Geſetze Seitens der Einzelſtaaten hätte nicht mehr Sinn, als wenn die einzelnen Gemeinden ihren Mitgliedern, die einzelnen Bürger ſich ſelbſt, ihren Familienge- noſſen, Gewerbegehülfen u. ſ. w. die Staatsgeſetze und obrigkeit- lichen Verordnungen verkündigen wollten. Ganz richtig iſt es daher, daß im Bundesſtaat das Bundes- geſetz direct und unmittelbar die Angehörigen der Einzelſtaaten bindet; ganz unrichtig iſt es aber hieraus zu folgern, daß die Angehörigen der Einzelſtaaten, losgelöſt von der Staatsgewalt der letzteren, der Reichsgewalt unmittelbar unterworfen ſeien. In Beziehung auf die Verwaltung und auf die Vollziehung der Geſetze unterſcheidet ſich der Bundesſtaat vom Staatenbunde ſehr beſtimmt dadurch, daß der letztere eine eigene Verwaltung und Geſetzesvollziehung gar nicht haben kann, während der Bun- desſtaat dazu befähigt iſt. Aber es iſt nicht nothwendig, daß er von dieſer Befähigung überall und in allen Richtungen Gebrauch macht; er hat vielmehr die Wahl, ob er ſelbſt für die Durchfüh- rung der Geſetze und die Verwaltung ſorgen oder ob er dieſelbe den Einzelſtaaten überlaſſen oder übertragen will. Der eigentliche Beweis für die Richtigkeit der Anſicht, daß ſich die Reichsgewalt regelmäßig an die Einzelſtaaten wendet und durch deren Vermittlung Land und Leute beherrſcht, wird durch die geſammte folgende Darſtellung erbracht werden. 3) Es iſt endlich als ein begriffliches Erforderniß des Bun- desſtaates von Waitz und zahlreichen Anhängern ſeiner Theorie hingeſtellt worden, daß die Einzelſtaaten von der Leitung der Ge- ſammt-Angelegenheiten ausgeſchloſſen ſeien, daß die Regierung in keiner Weiſe in Abhängigkeit von den Einzelſtaaten ſtehe. „Da- rum ſei jede Delegation durch dieſe unbedingt ausgeſchloſſen; weder die Regierungen der Einzelſtaaten noch ihre Volksvertretungen können das Organ beſtellen, welches die Leitung der für die Ge- 1) Dies iſt wol auch die Auffaſſung Welcker’s a. a. O. S. 37. Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 6

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/101>, abgerufen am 30.04.2024.