noch viel besser gehen solle. Denn wer hinderte sie zu hoffen, daß, wenn der einzige Sohn aus der Art schlüge und sich selbst um die Erbschaft betröge, sie durch ein Testament ihres Mannes, dem sie im Alter ziemlich weit nachstand, in die Führung der Wirthschaft einge¬ setzt werden könnte, zu welcher sie sich für tüchtiger erkannte als die beiden Tochtermänner, den Chirurgus und den Handelsmann.
Aber auch unter den Mitbürgern des jungen Mannes erregte das neue Leben, das ihm aufgegangen war, ein großes Gemurmel. Man konnte der Familie des Hirschbauern nichts vorwerfen als ihre Ar¬ muth, allein diese Eigenschaft genügte, um den Umgang eines Wohl¬ habenden mit ihr für die öffentliche Meinung des Fleckens, und zu¬ mal in den Augen des städtisch gekleideten Theils desselben, höchst ver¬ werflich zu machen. Gestern hatte man sie noch mit einer Mischung von Mitleid und Geringschätzung arme Leute genannt, heute hieß man sie schon Gesindel, das mit Preisgebung der eigenen Ehre ein unge¬ rathenes Früchtlein aus gutem Hause einziehe; und Friedrich selbst, dem man seine bisherigen Jugendstreiche beinahe so gut wie vergeben hatte, kam nun als Genosse dieser Verachtung nur um so schlimmer weg, indem man alles Vergangene auffrischte, um zu beweisen, daß er von jeher nur Zuneigung zu schlechtem Volke und Hang zu schlechten Streichen gehabt habe. Ihm wurde es als Verbrechen geachtet, daß er sich zu so geringen Leuten herunter gab; Christinen und den Ihri¬ gen wurde es als Schimpf angerechnet, daß sie sich mit einem gewe¬ senen Sträfling einließen, der doch so Manchem, wenn er seine Nei¬ gung anders wohin gewendet haben würde, gut genug gewesen wäre. Das Gerücht von abermaliger übler Aufführung des jungen Sonnen¬ wirthle drang bald zu der Frau Amtmännin, die es nach Kräften verbreitete und in den nächsten Tagen der Frau Pfarrerin, als diese auf einen Nachmittagsbesuch zu ihr kam, erzählte. Diese wußte es schon, obgleich nicht so vollständig wie die Frau Amtmännin. Beide Frauen ließen die Sonnenwirthin holen und empfingen sie mit einem Strom von wetteifernden Zurufen: Denk' Sie doch, Frau Sonnen¬ wirthin -- und: Ei, was denkt Sie denn, daß Sie Ihrem unge¬ rathenen Sohn so freien Lauf läßt -- Weiß Sie denn auch -- ? Das sollt' Sie seinem Vater sagen, damit er dem Unfug ein Ende macht! Die Sonnenwirthin, als sie endlich das Wort ergreifen konnte, ver¬
noch viel beſſer gehen ſolle. Denn wer hinderte ſie zu hoffen, daß, wenn der einzige Sohn aus der Art ſchlüge und ſich ſelbſt um die Erbſchaft betröge, ſie durch ein Teſtament ihres Mannes, dem ſie im Alter ziemlich weit nachſtand, in die Führung der Wirthſchaft einge¬ ſetzt werden könnte, zu welcher ſie ſich für tüchtiger erkannte als die beiden Tochtermänner, den Chirurgus und den Handelsmann.
Aber auch unter den Mitbürgern des jungen Mannes erregte das neue Leben, das ihm aufgegangen war, ein großes Gemurmel. Man konnte der Familie des Hirſchbauern nichts vorwerfen als ihre Ar¬ muth, allein dieſe Eigenſchaft genügte, um den Umgang eines Wohl¬ habenden mit ihr für die öffentliche Meinung des Fleckens, und zu¬ mal in den Augen des ſtädtiſch gekleideten Theils deſſelben, höchſt ver¬ werflich zu machen. Geſtern hatte man ſie noch mit einer Miſchung von Mitleid und Geringſchätzung arme Leute genannt, heute hieß man ſie ſchon Geſindel, das mit Preisgebung der eigenen Ehre ein unge¬ rathenes Früchtlein aus gutem Hauſe einziehe; und Friedrich ſelbſt, dem man ſeine bisherigen Jugendſtreiche beinahe ſo gut wie vergeben hatte, kam nun als Genoſſe dieſer Verachtung nur um ſo ſchlimmer weg, indem man alles Vergangene auffriſchte, um zu beweiſen, daß er von jeher nur Zuneigung zu ſchlechtem Volke und Hang zu ſchlechten Streichen gehabt habe. Ihm wurde es als Verbrechen geachtet, daß er ſich zu ſo geringen Leuten herunter gab; Chriſtinen und den Ihri¬ gen wurde es als Schimpf angerechnet, daß ſie ſich mit einem gewe¬ ſenen Sträfling einließen, der doch ſo Manchem, wenn er ſeine Nei¬ gung anders wohin gewendet haben würde, gut genug geweſen wäre. Das Gerücht von abermaliger übler Aufführung des jungen Sonnen¬ wirthle drang bald zu der Frau Amtmännin, die es nach Kräften verbreitete und in den nächſten Tagen der Frau Pfarrerin, als dieſe auf einen Nachmittagsbeſuch zu ihr kam, erzählte. Dieſe wußte es ſchon, obgleich nicht ſo vollſtändig wie die Frau Amtmännin. Beide Frauen ließen die Sonnenwirthin holen und empfingen ſie mit einem Strom von wetteifernden Zurufen: Denk' Sie doch, Frau Sonnen¬ wirthin — und: Ei, was denkt Sie denn, daß Sie Ihrem unge¬ rathenen Sohn ſo freien Lauf läßt — Weiß Sie denn auch — ? Das ſollt' Sie ſeinem Vater ſagen, damit er dem Unfug ein Ende macht! Die Sonnenwirthin, als ſie endlich das Wort ergreifen konnte, ver¬
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noch viel beſſer gehen ſolle. Denn wer hinderte ſie zu hoffen, daß,
wenn der einzige Sohn aus der Art ſchlüge und ſich ſelbſt um die
Erbſchaft betröge, ſie durch ein Teſtament ihres Mannes, dem ſie im
Alter ziemlich weit nachſtand, in die Führung der Wirthſchaft einge¬
ſetzt werden könnte, zu welcher ſie ſich für tüchtiger erkannte als die
beiden Tochtermänner, den Chirurgus und den Handelsmann.
Aber auch unter den Mitbürgern des jungen Mannes erregte das
neue Leben, das ihm aufgegangen war, ein großes Gemurmel. Man
konnte der Familie des Hirſchbauern nichts vorwerfen als ihre Ar¬
muth, allein dieſe Eigenſchaft genügte, um den Umgang eines Wohl¬
habenden mit ihr für die öffentliche Meinung des Fleckens, und zu¬
mal in den Augen des ſtädtiſch gekleideten Theils deſſelben, höchſt ver¬
werflich zu machen. Geſtern hatte man ſie noch mit einer Miſchung
von Mitleid und Geringſchätzung arme Leute genannt, heute hieß man
ſie ſchon Geſindel, das mit Preisgebung der eigenen Ehre ein unge¬
rathenes Früchtlein aus gutem Hauſe einziehe; und Friedrich ſelbſt,
dem man ſeine bisherigen Jugendſtreiche beinahe ſo gut wie vergeben
hatte, kam nun als Genoſſe dieſer Verachtung nur um ſo ſchlimmer
weg, indem man alles Vergangene auffriſchte, um zu beweiſen, daß er
von jeher nur Zuneigung zu ſchlechtem Volke und Hang zu ſchlechten
Streichen gehabt habe. Ihm wurde es als Verbrechen geachtet, daß
er ſich zu ſo geringen Leuten herunter gab; Chriſtinen und den Ihri¬
gen wurde es als Schimpf angerechnet, daß ſie ſich mit einem gewe¬
ſenen Sträfling einließen, der doch ſo Manchem, wenn er ſeine Nei¬
gung anders wohin gewendet haben würde, gut genug geweſen wäre.
Das Gerücht von abermaliger übler Aufführung des jungen Sonnen¬
wirthle drang bald zu der Frau Amtmännin, die es nach Kräften
verbreitete und in den nächſten Tagen der Frau Pfarrerin, als dieſe
auf einen Nachmittagsbeſuch zu ihr kam, erzählte. Dieſe wußte es
ſchon, obgleich nicht ſo vollſtändig wie die Frau Amtmännin. Beide
Frauen ließen die Sonnenwirthin holen und empfingen ſie mit einem
Strom von wetteifernden Zurufen: Denk' Sie doch, Frau Sonnen¬
wirthin — und: Ei, was denkt Sie denn, daß Sie Ihrem unge¬
rathenen Sohn ſo freien Lauf läßt — Weiß Sie denn auch — ? Das
ſollt' Sie ſeinem Vater ſagen, damit er dem Unfug ein Ende macht!
Die Sonnenwirthin, als ſie endlich das Wort ergreifen konnte, ver¬
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/90>, abgerufen am 23.11.2024.
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