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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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auch diese schnelle Bekehrung sollte bloß zum Mittel dienen, Mitleiden
zu erwecken und ihr vielleicht das Leben zu retten. Aber auch dieser
Kunstgriff half nichts, der Tag ihres Todes erschien, und nun zeigte
sich bald, daß ihr letztes Betragen nur Verstellung gewesen. Sie fiel
in plötzliche Ohnmacht, und erholte sich aus derselben nur, um in
Wuth gegen alle Menschen, und selbst gegen Schwan, der ihr Muth
einzusprechen suchte, auszubrechen." Dieses ihr wahres Gesicht behielt
die Unglückliche, starr und wild, wie eine dem Volk der Ebene fremde
Gebirgswelt, von nun an unverändert bis zum letzten Augenblicke bei.

Ihr glücklicherer Genosse, der sein altes Kindesherz wieder gefunden
hatte, um sich in diesen schweren Tagen daran aufzurichten, fühlte sich
durch das Verlieren der kaum wiedergefundenen Geliebten in seinem
Glücke schmerzlich gestört; allein ihm winkte nun der Pfad, den jeder
Mensch für sich allein antreten muß, und er klammerte sich mit ganzer
Kraft an den Stab, den er erwählt hatte, den ihm seine Kirche
reichte. Er nahm das Abendmahl, von dem er einst, wie seine Hei¬
mathsbehörde von ihm aufgezeichnet, gesagt hatte, es solle ihm das
Herz abstoßen, wenn er nicht Wort halte. Er war dabei auf's innigste
gerührt und erklärte überhaupt diesen Vormittag, wie sein Geschicht¬
schreiber erzählt, für einen der glücklichsten seines Lebens. "Ich kann
nicht aussprechen, so drückte er sich selbst hierüber aus, welch einen
glücklichen Vormittag ich heute gehabt habe. Mein Herz wallete vor
Liebe zu meinem Heilande. Zu dem komme ich morgen, schon morgen.
Morgen um zwölf Uhr auf's längste bin ich bei ihm. O, wenn
es doch nur schon morgen wäre! Der Geistliche Krippendorff, der
zugegen und durch diese Aeußerungen innigst bewegt worden war, rief
voll Freude aus: O Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein
Sieg? Gott sei Dank, fiel Schwan ein, der mir den Sieg geben wird,
und schon gegeben hat."

An diesem christlichen Heldenthum, das die Geschichte in unschul¬
digen Märtyrern wie in reuigen Verbrechern tausendfach als unver¬
fälschte Gesinnung aufgewiesen hat, soll Niemand mäkeln. Wohl
aber hat jedes Heldenthum, nicht bloß für die gemeine Anschauung,
die es niedriggesinnt in den Staub zu ziehen sucht, sondern auch für
eine würdigere Betrachtung, die aber nicht anders als mit menschlichem
Maße messen mag, seine menschliche Seite, und es kann der Menschen¬

auch dieſe ſchnelle Bekehrung ſollte bloß zum Mittel dienen, Mitleiden
zu erwecken und ihr vielleicht das Leben zu retten. Aber auch dieſer
Kunſtgriff half nichts, der Tag ihres Todes erſchien, und nun zeigte
ſich bald, daß ihr letztes Betragen nur Verſtellung geweſen. Sie fiel
in plötzliche Ohnmacht, und erholte ſich aus derſelben nur, um in
Wuth gegen alle Menſchen, und ſelbſt gegen Schwan, der ihr Muth
einzuſprechen ſuchte, auszubrechen.“ Dieſes ihr wahres Geſicht behielt
die Unglückliche, ſtarr und wild, wie eine dem Volk der Ebene fremde
Gebirgswelt, von nun an unverändert bis zum letzten Augenblicke bei.

Ihr glücklicherer Genoſſe, der ſein altes Kindesherz wieder gefunden
hatte, um ſich in dieſen ſchweren Tagen daran aufzurichten, fühlte ſich
durch das Verlieren der kaum wiedergefundenen Geliebten in ſeinem
Glücke ſchmerzlich geſtört; allein ihm winkte nun der Pfad, den jeder
Menſch für ſich allein antreten muß, und er klammerte ſich mit ganzer
Kraft an den Stab, den er erwählt hatte, den ihm ſeine Kirche
reichte. Er nahm das Abendmahl, von dem er einſt, wie ſeine Hei¬
mathsbehörde von ihm aufgezeichnet, geſagt hatte, es ſolle ihm das
Herz abſtoßen, wenn er nicht Wort halte. Er war dabei auf's innigſte
gerührt und erklärte überhaupt dieſen Vormittag, wie ſein Geſchicht¬
ſchreiber erzählt, für einen der glücklichſten ſeines Lebens. „Ich kann
nicht ausſprechen, ſo drückte er ſich ſelbſt hierüber aus, welch einen
glücklichen Vormittag ich heute gehabt habe. Mein Herz wallete vor
Liebe zu meinem Heilande. Zu dem komme ich morgen, ſchon morgen.
Morgen um zwölf Uhr auf's längſte bin ich bei ihm. O, wenn
es doch nur ſchon morgen wäre! Der Geiſtliche Krippendorff, der
zugegen und durch dieſe Aeußerungen innigſt bewegt worden war, rief
voll Freude aus: O Tod, wo iſt dein Stachel? Hölle, wo iſt dein
Sieg? Gott ſei Dank, fiel Schwan ein, der mir den Sieg geben wird,
und ſchon gegeben hat.“

An dieſem chriſtlichen Heldenthum, das die Geſchichte in unſchul¬
digen Märtyrern wie in reuigen Verbrechern tauſendfach als unver¬
fälſchte Geſinnung aufgewieſen hat, ſoll Niemand mäkeln. Wohl
aber hat jedes Heldenthum, nicht bloß für die gemeine Anſchauung,
die es niedriggeſinnt in den Staub zu ziehen ſucht, ſondern auch für
eine würdigere Betrachtung, die aber nicht anders als mit menſchlichem
Maße meſſen mag, ſeine menſchliche Seite, und es kann der Menſchen¬

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[495/0511] auch dieſe ſchnelle Bekehrung ſollte bloß zum Mittel dienen, Mitleiden zu erwecken und ihr vielleicht das Leben zu retten. Aber auch dieſer Kunſtgriff half nichts, der Tag ihres Todes erſchien, und nun zeigte ſich bald, daß ihr letztes Betragen nur Verſtellung geweſen. Sie fiel in plötzliche Ohnmacht, und erholte ſich aus derſelben nur, um in Wuth gegen alle Menſchen, und ſelbſt gegen Schwan, der ihr Muth einzuſprechen ſuchte, auszubrechen.“ Dieſes ihr wahres Geſicht behielt die Unglückliche, ſtarr und wild, wie eine dem Volk der Ebene fremde Gebirgswelt, von nun an unverändert bis zum letzten Augenblicke bei. Ihr glücklicherer Genoſſe, der ſein altes Kindesherz wieder gefunden hatte, um ſich in dieſen ſchweren Tagen daran aufzurichten, fühlte ſich durch das Verlieren der kaum wiedergefundenen Geliebten in ſeinem Glücke ſchmerzlich geſtört; allein ihm winkte nun der Pfad, den jeder Menſch für ſich allein antreten muß, und er klammerte ſich mit ganzer Kraft an den Stab, den er erwählt hatte, den ihm ſeine Kirche reichte. Er nahm das Abendmahl, von dem er einſt, wie ſeine Hei¬ mathsbehörde von ihm aufgezeichnet, geſagt hatte, es ſolle ihm das Herz abſtoßen, wenn er nicht Wort halte. Er war dabei auf's innigſte gerührt und erklärte überhaupt dieſen Vormittag, wie ſein Geſchicht¬ ſchreiber erzählt, für einen der glücklichſten ſeines Lebens. „Ich kann nicht ausſprechen, ſo drückte er ſich ſelbſt hierüber aus, welch einen glücklichen Vormittag ich heute gehabt habe. Mein Herz wallete vor Liebe zu meinem Heilande. Zu dem komme ich morgen, ſchon morgen. Morgen um zwölf Uhr auf's längſte bin ich bei ihm. O, wenn es doch nur ſchon morgen wäre! Der Geiſtliche Krippendorff, der zugegen und durch dieſe Aeußerungen innigſt bewegt worden war, rief voll Freude aus: O Tod, wo iſt dein Stachel? Hölle, wo iſt dein Sieg? Gott ſei Dank, fiel Schwan ein, der mir den Sieg geben wird, und ſchon gegeben hat.“ An dieſem chriſtlichen Heldenthum, das die Geſchichte in unſchul¬ digen Märtyrern wie in reuigen Verbrechern tauſendfach als unver¬ fälſchte Geſinnung aufgewieſen hat, ſoll Niemand mäkeln. Wohl aber hat jedes Heldenthum, nicht bloß für die gemeine Anſchauung, die es niedriggeſinnt in den Staub zu ziehen ſucht, ſondern auch für eine würdigere Betrachtung, die aber nicht anders als mit menſchlichem Maße meſſen mag, ſeine menſchliche Seite, und es kann der Menſchen¬

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/511>, abgerufen am 06.05.2024.