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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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der Spitze nach oben stand, verkündigte, daß hier der Stab und seine
Gewalt sich befinde. Oben an der Tafel saß der Stabhalter und neben
ihm, in der Person des Stadtschreibers, der Gerichtsactuarius, der
das Protokoll führte, beide schwarz gekleidet. Die Gerichtsbeisitzer (aus
deren Zahl der Oberamtmann bei der Untersuchung seine zwei Sca¬
binen genommen) saßen innerhalb der Schranken auf ihren Sitzen,
alle in schwarzen Mänteln. Vor den Schranken rechts hatte der Ac¬
cusator, links der Defensor seinen Platz. In der Mitte, vor dem Ein¬
gang der Schranken, war eine schwarz angestrichene Schranne aufge¬
stellt. Der übrige Raum des Saales außerhalb der Schranken war
den Zuschauern und Zuhörern überlassen. Der Stabhalter befahl dem
Gerichtsdiener, den Angeklagten aus dem Gefängniß vorzuführen, was
sofort unter guter polizeilicher Bedeckung geschah. Während dieses
Ganges wurde auf dem Rathhause das Malefiz- oder Armesünder¬
glöcklein geläutet. Bei seiner Ankunft im Gerichtssaale wurde der An¬
geklagte in Fesseln auf die schwarze Schranne gesetzt. Der Stabhalter
eröffnete die Verhandlung des accusatorischen Processes mit einer kur¬
zen Rede und forderte dann den Fiscal auf, die Anklage sammt dem
Petitum vorzutragen. Dieser verlas die Accusationsschrift mit der hin¬
sichtlich der Straferkennung an das Gericht gestellten Bitte. Dann
wurde dem Defensor das Wort ertheilt. Dieser bat zuvörderst das
Gericht, den peinlich Beklagten seiner Fesseln zu entlassen, damit er
auf freiem Fuße vertheidigt werden könne. Der Stabhalter entsprach
der Bitte und befahl dem Gerichtsdiener, dem Angeklagten die Fesseln
abzunehmen, was außerhalb des Saales geschah. Dann wurde er wieder
eingeführt und fesselfrei auf seine schwarze Schranne gesetzt. Er befand
sich nun als Freier vor seinem eigentlichen Richter, aber alles dies
nur scheinbar, denn der Angeklagte war mundtodt und sein Urtheil
wurde ihm nicht von dem Richter geschöpft. Der Defensor las seine
Defensionsschrift ab, welche ebenfalls vorher, auf Grund der Anklage¬
schrift und etwaiger mit dem Gefangenen in Gegenwart zweier Sca¬
binen gehaltenen gütlichen Verhöre, schriftlich gefertigt worden war.
Nach Verlesung derselben gab der Accusator seine mündliche Replik
und der Defensor duplicirte gleichfalls mündlich. Waren es, wie im
vorliegenden Falle, mehrere Angeklagte, so traten auch mehrere De¬
fensoren auf, um die Verhandlung noch schleppender zu machen. Nach

der Spitze nach oben ſtand, verkündigte, daß hier der Stab und ſeine
Gewalt ſich befinde. Oben an der Tafel ſaß der Stabhalter und neben
ihm, in der Perſon des Stadtſchreibers, der Gerichtsactuarius, der
das Protokoll führte, beide ſchwarz gekleidet. Die Gerichtsbeiſitzer (aus
deren Zahl der Oberamtmann bei der Unterſuchung ſeine zwei Sca¬
binen genommen) ſaßen innerhalb der Schranken auf ihren Sitzen,
alle in ſchwarzen Mänteln. Vor den Schranken rechts hatte der Ac¬
cuſator, links der Defenſor ſeinen Platz. In der Mitte, vor dem Ein¬
gang der Schranken, war eine ſchwarz angeſtrichene Schranne aufge¬
ſtellt. Der übrige Raum des Saales außerhalb der Schranken war
den Zuſchauern und Zuhörern überlaſſen. Der Stabhalter befahl dem
Gerichtsdiener, den Angeklagten aus dem Gefängniß vorzuführen, was
ſofort unter guter polizeilicher Bedeckung geſchah. Während dieſes
Ganges wurde auf dem Rathhauſe das Malefiz- oder Armeſünder¬
glöcklein geläutet. Bei ſeiner Ankunft im Gerichtsſaale wurde der An¬
geklagte in Feſſeln auf die ſchwarze Schranne geſetzt. Der Stabhalter
eröffnete die Verhandlung des accuſatoriſchen Proceſſes mit einer kur¬
zen Rede und forderte dann den Fiscal auf, die Anklage ſammt dem
Petitum vorzutragen. Dieſer verlas die Accuſationsſchrift mit der hin¬
ſichtlich der Straferkennung an das Gericht geſtellten Bitte. Dann
wurde dem Defenſor das Wort ertheilt. Dieſer bat zuvörderſt das
Gericht, den peinlich Beklagten ſeiner Feſſeln zu entlaſſen, damit er
auf freiem Fuße vertheidigt werden könne. Der Stabhalter entſprach
der Bitte und befahl dem Gerichtsdiener, dem Angeklagten die Feſſeln
abzunehmen, was außerhalb des Saales geſchah. Dann wurde er wieder
eingeführt und feſſelfrei auf ſeine ſchwarze Schranne geſetzt. Er befand
ſich nun als Freier vor ſeinem eigentlichen Richter, aber alles dies
nur ſcheinbar, denn der Angeklagte war mundtodt und ſein Urtheil
wurde ihm nicht von dem Richter geſchöpft. Der Defenſor las ſeine
Defenſionsſchrift ab, welche ebenfalls vorher, auf Grund der Anklage¬
ſchrift und etwaiger mit dem Gefangenen in Gegenwart zweier Sca¬
binen gehaltenen gütlichen Verhöre, ſchriftlich gefertigt worden war.
Nach Verleſung derſelben gab der Accuſator ſeine mündliche Replik
und der Defenſor duplicirte gleichfalls mündlich. Waren es, wie im
vorliegenden Falle, mehrere Angeklagte, ſo traten auch mehrere De¬
fenſoren auf, um die Verhandlung noch ſchleppender zu machen. Nach

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[490/0506] der Spitze nach oben ſtand, verkündigte, daß hier der Stab und ſeine Gewalt ſich befinde. Oben an der Tafel ſaß der Stabhalter und neben ihm, in der Perſon des Stadtſchreibers, der Gerichtsactuarius, der das Protokoll führte, beide ſchwarz gekleidet. Die Gerichtsbeiſitzer (aus deren Zahl der Oberamtmann bei der Unterſuchung ſeine zwei Sca¬ binen genommen) ſaßen innerhalb der Schranken auf ihren Sitzen, alle in ſchwarzen Mänteln. Vor den Schranken rechts hatte der Ac¬ cuſator, links der Defenſor ſeinen Platz. In der Mitte, vor dem Ein¬ gang der Schranken, war eine ſchwarz angeſtrichene Schranne aufge¬ ſtellt. Der übrige Raum des Saales außerhalb der Schranken war den Zuſchauern und Zuhörern überlaſſen. Der Stabhalter befahl dem Gerichtsdiener, den Angeklagten aus dem Gefängniß vorzuführen, was ſofort unter guter polizeilicher Bedeckung geſchah. Während dieſes Ganges wurde auf dem Rathhauſe das Malefiz- oder Armeſünder¬ glöcklein geläutet. Bei ſeiner Ankunft im Gerichtsſaale wurde der An¬ geklagte in Feſſeln auf die ſchwarze Schranne geſetzt. Der Stabhalter eröffnete die Verhandlung des accuſatoriſchen Proceſſes mit einer kur¬ zen Rede und forderte dann den Fiscal auf, die Anklage ſammt dem Petitum vorzutragen. Dieſer verlas die Accuſationsſchrift mit der hin¬ ſichtlich der Straferkennung an das Gericht geſtellten Bitte. Dann wurde dem Defenſor das Wort ertheilt. Dieſer bat zuvörderſt das Gericht, den peinlich Beklagten ſeiner Feſſeln zu entlaſſen, damit er auf freiem Fuße vertheidigt werden könne. Der Stabhalter entſprach der Bitte und befahl dem Gerichtsdiener, dem Angeklagten die Feſſeln abzunehmen, was außerhalb des Saales geſchah. Dann wurde er wieder eingeführt und feſſelfrei auf ſeine ſchwarze Schranne geſetzt. Er befand ſich nun als Freier vor ſeinem eigentlichen Richter, aber alles dies nur ſcheinbar, denn der Angeklagte war mundtodt und ſein Urtheil wurde ihm nicht von dem Richter geſchöpft. Der Defenſor las ſeine Defenſionsſchrift ab, welche ebenfalls vorher, auf Grund der Anklage¬ ſchrift und etwaiger mit dem Gefangenen in Gegenwart zweier Sca¬ binen gehaltenen gütlichen Verhöre, ſchriftlich gefertigt worden war. Nach Verleſung derſelben gab der Accuſator ſeine mündliche Replik und der Defenſor duplicirte gleichfalls mündlich. Waren es, wie im vorliegenden Falle, mehrere Angeklagte, ſo traten auch mehrere De¬ fenſoren auf, um die Verhandlung noch ſchleppender zu machen. Nach

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/506>, abgerufen am 06.05.2024.