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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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und ihm nutzlos die Leiden der Gefangenschaft zu verlängern. Sie ließ
sich endlich zum Geständniß der leichteren Fälle herbei, die sie
ihrer Jugend und der Verführung ihres Mannes zuschrieb; aber als
sie zu gestehen begann, war sie bereits längst überwiesen, und
die Wagschale ihrer Verbrechen sank unter dem Druck der gebrochenen
Urphede, welche das christliche Gesetz seinem heimathlosen Feinde bei
dessen erster Betretung und Ausweisung aufzuerlegen pflegte, um ihn
bei der Wiederbetretung, die ihn ja dann des Meineides schuldig zeigte,
desto fester fassen und nöthigenfalls am Leben strafen zu können.

Auch die blonde Christine ergab sich nicht gutwillig in das Schick¬
sal, das ihr umgewandelter Geliebter ihr bereitete. Der Sohn des
Oberamtmanns beschreibt das verhängnißvolle gerichtliche Wiedersehen
dieser Beiden in seiner Weise so: "Müllerin war seine erste Liebe,
lange war er bis zur Raserei in sie verliebt, und auch sie hing mit
einem solchen Feuer an ihm, daß sie Ehre, Freiheit und Alles ihm
aufopferte, und was für ihn vielleicht das Wichtigste war, sie war
die Mutter seiner Kinder. Seit zwei Jahren waren sie gänzlich ge¬
trennt. Sie war die erste Ursache seines Schicksals, und er des ihrigen.
Alle diese Empfindungen wachten in dem Augenblick des ersten Wieder¬
sehens auf. Er zerfloß in Thränen, sobald er sie sah, und, erst lange
stumm, fragte er sie endlich auf's zärtlichste nach ihrem Schicksal, nach
ihren Kindern und Verwandten, bat sie um Verzeihung, daß er sie
unglücklich gemacht, und versicherte sie seiner heftigsten Reue. Müllerin
ward durch seinen Anblick und seine Rede in die sonderbarsten Em¬
pfindungen gesetzt: innigste Rührung und Begierde ungerührt zu schei¬
nen kämpften in ihr, sie ließ jetzt, wie man aus ihrer Miene schloß,
ihren Empfindungen freien Lauf, jetzt zwang sie sich, eingedenk der
Folgen, sie zurückzuhalten."

Lange hatte er sich gegen das Bekenntniß der Vergehen gesträubt,
an welchen die Genossin seines fruchtlosen Kampfes mit der Gesellschaft
in der Halbheit ihres Umherschwankens zwischen Rath und That An¬
theil genommen; aber seiner wachsenden Aufrichtigkeit kam der natür¬
liche Verlauf der Dinge zu Hilfe: denn nachdem das Gericht einmal
seinen Namen wußte, kannte es auch einen guten Theil seiner Ge¬
schichte und wurde durch Mittheilungen aus seiner Heimath in den
Stand gesetzt, die einschlagenden Fragen an ihn zu stellen, welchen er

und ihm nutzlos die Leiden der Gefangenſchaft zu verlängern. Sie ließ
ſich endlich zum Geſtändniß der leichteren Fälle herbei, die ſie
ihrer Jugend und der Verführung ihres Mannes zuſchrieb; aber als
ſie zu geſtehen begann, war ſie bereits längſt überwieſen, und
die Wagſchale ihrer Verbrechen ſank unter dem Druck der gebrochenen
Urphede, welche das chriſtliche Geſetz ſeinem heimathloſen Feinde bei
deſſen erſter Betretung und Ausweiſung aufzuerlegen pflegte, um ihn
bei der Wiederbetretung, die ihn ja dann des Meineides ſchuldig zeigte,
deſto feſter faſſen und nöthigenfalls am Leben ſtrafen zu können.

Auch die blonde Chriſtine ergab ſich nicht gutwillig in das Schick¬
ſal, das ihr umgewandelter Geliebter ihr bereitete. Der Sohn des
Oberamtmanns beſchreibt das verhängnißvolle gerichtliche Wiederſehen
dieſer Beiden in ſeiner Weiſe ſo: „Müllerin war ſeine erſte Liebe,
lange war er bis zur Raſerei in ſie verliebt, und auch ſie hing mit
einem ſolchen Feuer an ihm, daß ſie Ehre, Freiheit und Alles ihm
aufopferte, und was für ihn vielleicht das Wichtigſte war, ſie war
die Mutter ſeiner Kinder. Seit zwei Jahren waren ſie gänzlich ge¬
trennt. Sie war die erſte Urſache ſeines Schickſals, und er des ihrigen.
Alle dieſe Empfindungen wachten in dem Augenblick des erſten Wieder¬
ſehens auf. Er zerfloß in Thränen, ſobald er ſie ſah, und, erſt lange
ſtumm, fragte er ſie endlich auf's zärtlichſte nach ihrem Schickſal, nach
ihren Kindern und Verwandten, bat ſie um Verzeihung, daß er ſie
unglücklich gemacht, und verſicherte ſie ſeiner heftigſten Reue. Müllerin
ward durch ſeinen Anblick und ſeine Rede in die ſonderbarſten Em¬
pfindungen geſetzt: innigſte Rührung und Begierde ungerührt zu ſchei¬
nen kämpften in ihr, ſie ließ jetzt, wie man aus ihrer Miene ſchloß,
ihren Empfindungen freien Lauf, jetzt zwang ſie ſich, eingedenk der
Folgen, ſie zurückzuhalten.“

Lange hatte er ſich gegen das Bekenntniß der Vergehen geſträubt,
an welchen die Genoſſin ſeines fruchtloſen Kampfes mit der Geſellſchaft
in der Halbheit ihres Umherſchwankens zwiſchen Rath und That An¬
theil genommen; aber ſeiner wachſenden Aufrichtigkeit kam der natür¬
liche Verlauf der Dinge zu Hilfe: denn nachdem das Gericht einmal
ſeinen Namen wußte, kannte es auch einen guten Theil ſeiner Ge¬
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[473/0489] und ihm nutzlos die Leiden der Gefangenſchaft zu verlängern. Sie ließ ſich endlich zum Geſtändniß der leichteren Fälle herbei, die ſie ihrer Jugend und der Verführung ihres Mannes zuſchrieb; aber als ſie zu geſtehen begann, war ſie bereits längſt überwieſen, und die Wagſchale ihrer Verbrechen ſank unter dem Druck der gebrochenen Urphede, welche das chriſtliche Geſetz ſeinem heimathloſen Feinde bei deſſen erſter Betretung und Ausweiſung aufzuerlegen pflegte, um ihn bei der Wiederbetretung, die ihn ja dann des Meineides ſchuldig zeigte, deſto feſter faſſen und nöthigenfalls am Leben ſtrafen zu können. Auch die blonde Chriſtine ergab ſich nicht gutwillig in das Schick¬ ſal, das ihr umgewandelter Geliebter ihr bereitete. Der Sohn des Oberamtmanns beſchreibt das verhängnißvolle gerichtliche Wiederſehen dieſer Beiden in ſeiner Weiſe ſo: „Müllerin war ſeine erſte Liebe, lange war er bis zur Raſerei in ſie verliebt, und auch ſie hing mit einem ſolchen Feuer an ihm, daß ſie Ehre, Freiheit und Alles ihm aufopferte, und was für ihn vielleicht das Wichtigſte war, ſie war die Mutter ſeiner Kinder. Seit zwei Jahren waren ſie gänzlich ge¬ trennt. Sie war die erſte Urſache ſeines Schickſals, und er des ihrigen. Alle dieſe Empfindungen wachten in dem Augenblick des erſten Wieder¬ ſehens auf. Er zerfloß in Thränen, ſobald er ſie ſah, und, erſt lange ſtumm, fragte er ſie endlich auf's zärtlichſte nach ihrem Schickſal, nach ihren Kindern und Verwandten, bat ſie um Verzeihung, daß er ſie unglücklich gemacht, und verſicherte ſie ſeiner heftigſten Reue. Müllerin ward durch ſeinen Anblick und ſeine Rede in die ſonderbarſten Em¬ pfindungen geſetzt: innigſte Rührung und Begierde ungerührt zu ſchei¬ nen kämpften in ihr, ſie ließ jetzt, wie man aus ihrer Miene ſchloß, ihren Empfindungen freien Lauf, jetzt zwang ſie ſich, eingedenk der Folgen, ſie zurückzuhalten.“ Lange hatte er ſich gegen das Bekenntniß der Vergehen geſträubt, an welchen die Genoſſin ſeines fruchtloſen Kampfes mit der Geſellſchaft in der Halbheit ihres Umherſchwankens zwiſchen Rath und That An¬ theil genommen; aber ſeiner wachſenden Aufrichtigkeit kam der natür¬ liche Verlauf der Dinge zu Hilfe: denn nachdem das Gericht einmal ſeinen Namen wußte, kannte es auch einen guten Theil ſeiner Ge¬ ſchichte und wurde durch Mittheilungen aus ſeiner Heimath in den Stand geſetzt, die einſchlagenden Fragen an ihn zu ſtellen, welchen er

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/489>, abgerufen am 22.11.2024.