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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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einander mit Schüssen zu Leibe ging, und daß der Verführer des
kleinen Kaspars, als geschworener Gegner des "Sonnenwirths", von den
rheinischen Jaunern den Namen "Contrewirth" erhielt. Der Tod des
Schützen aber wurde in Ebersbach als eine neue Meuchelthat der
schädlichen bösen Wurzel angesehen, und der Vogt ließ Sturm schlagen
und alle Bürger unter das Gewehr rufen, als ob eine ganze Armee
von Jaunern im Anmarsch wäre. Der Kirchenconvent von Ebersbach,
unter dem Vorsitze des Pfarrers und Amtmanns, beschloß dem jüngsten
Kinde des verunglückten Schützen eine kleine Unterstützung auszusetzen
und zu Gunsten der übrigen Hinterbliebenen desselben ein unter¬
thäniges Memorial bei der Herrschaft einzureichen, strafte aber zugleich
den Zechbruder des Erschossenen um ein Pfund Heller, weil er dem¬
selben beim Schnaps Gesellschaft geleistet und dadurch mittelbar
Gelegenheit zu dem Unfall gegeben habe.

Dennoch sollte der Räuber, so sehr er seine Hand rein von Blut
zu erhalten strebte, noch einen dritten Mord, den zweiten und letzten,
den er selbst beging, auf seine Seele laden.

Im Löwen zu Jöhlingen, einem Dorfe in der unteren badischen
Markgrafschaft, hatte er einst mit der schwarzen Christine nebst einem
Knecht und einer Magd, die das Paar bei sich im Dienste hatte,
Herberge genommen. So oft er seinen Stern mit Christinens Stern
verband, konnte er im Wohlstande leben. Der Knecht war ein gelernter
Jauner und in die Unternehmungen seiner Herrschaft eingeweiht; die
Magd aber, die anfänglich als Wärterin für ein inzwischen wieder
gestorbenes Kind Christinens angenommen war, hatte bloß häusliche
Dienste zu verrichten und alles eigenmächtige Stehlen war ihr von ihrem
Herrn strengstens untersagt worden, weil sie, wie er sich ausdrückte,
als ein Mensch von schlechter Kleidung und Person leicht darüber ins
Unglück kommen könnte. Herrschaft und Gesinde speisten ruhig mit
einander und achteten nicht darauf, daß zwei Männer in die Stube
traten, sie eine kleine Zeit aufmerksam beobachteten und sich dann
einer nach dem andern wieder entfernten. Die Gesellschaft war auf¬
gefallen, sei es daß ihre jenische Sprache Verdacht erregt, oder daß
man sie auf einem benachbarten Markte gesehen hatte. Plötzlich fiel
auf der Straße ein Schuß. Sie fuhren auf, aber zu gleicher Zeit

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 29

einander mit Schüſſen zu Leibe ging, und daß der Verführer des
kleinen Kaſpars, als geſchworener Gegner des „Sonnenwirths“, von den
rheiniſchen Jaunern den Namen „Contrewirth“ erhielt. Der Tod des
Schützen aber wurde in Ebersbach als eine neue Meuchelthat der
ſchädlichen böſen Wurzel angeſehen, und der Vogt ließ Sturm ſchlagen
und alle Bürger unter das Gewehr rufen, als ob eine ganze Armee
von Jaunern im Anmarſch wäre. Der Kirchenconvent von Ebersbach,
unter dem Vorſitze des Pfarrers und Amtmanns, beſchloß dem jüngſten
Kinde des verunglückten Schützen eine kleine Unterſtützung auszuſetzen
und zu Gunſten der übrigen Hinterbliebenen deſſelben ein unter¬
thäniges Memorial bei der Herrſchaft einzureichen, ſtrafte aber zugleich
den Zechbruder des Erſchoſſenen um ein Pfund Heller, weil er dem¬
ſelben beim Schnaps Geſellſchaft geleiſtet und dadurch mittelbar
Gelegenheit zu dem Unfall gegeben habe.

Dennoch ſollte der Räuber, ſo ſehr er ſeine Hand rein von Blut
zu erhalten ſtrebte, noch einen dritten Mord, den zweiten und letzten,
den er ſelbſt beging, auf ſeine Seele laden.

Im Löwen zu Jöhlingen, einem Dorfe in der unteren badiſchen
Markgrafſchaft, hatte er einſt mit der ſchwarzen Chriſtine nebſt einem
Knecht und einer Magd, die das Paar bei ſich im Dienſte hatte,
Herberge genommen. So oft er ſeinen Stern mit Chriſtinens Stern
verband, konnte er im Wohlſtande leben. Der Knecht war ein gelernter
Jauner und in die Unternehmungen ſeiner Herrſchaft eingeweiht; die
Magd aber, die anfänglich als Wärterin für ein inzwiſchen wieder
geſtorbenes Kind Chriſtinens angenommen war, hatte bloß häusliche
Dienſte zu verrichten und alles eigenmächtige Stehlen war ihr von ihrem
Herrn ſtrengſtens unterſagt worden, weil ſie, wie er ſich ausdrückte,
als ein Menſch von ſchlechter Kleidung und Perſon leicht darüber ins
Unglück kommen könnte. Herrſchaft und Geſinde ſpeiſten ruhig mit
einander und achteten nicht darauf, daß zwei Männer in die Stube
traten, ſie eine kleine Zeit aufmerkſam beobachteten und ſich dann
einer nach dem andern wieder entfernten. Die Geſellſchaft war auf¬
gefallen, ſei es daß ihre jeniſche Sprache Verdacht erregt, oder daß
man ſie auf einem benachbarten Markte geſehen hatte. Plötzlich fiel
auf der Straße ein Schuß. Sie fuhren auf, aber zu gleicher Zeit

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 29
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[449/0465] einander mit Schüſſen zu Leibe ging, und daß der Verführer des kleinen Kaſpars, als geſchworener Gegner des „Sonnenwirths“, von den rheiniſchen Jaunern den Namen „Contrewirth“ erhielt. Der Tod des Schützen aber wurde in Ebersbach als eine neue Meuchelthat der ſchädlichen böſen Wurzel angeſehen, und der Vogt ließ Sturm ſchlagen und alle Bürger unter das Gewehr rufen, als ob eine ganze Armee von Jaunern im Anmarſch wäre. Der Kirchenconvent von Ebersbach, unter dem Vorſitze des Pfarrers und Amtmanns, beſchloß dem jüngſten Kinde des verunglückten Schützen eine kleine Unterſtützung auszuſetzen und zu Gunſten der übrigen Hinterbliebenen deſſelben ein unter¬ thäniges Memorial bei der Herrſchaft einzureichen, ſtrafte aber zugleich den Zechbruder des Erſchoſſenen um ein Pfund Heller, weil er dem¬ ſelben beim Schnaps Geſellſchaft geleiſtet und dadurch mittelbar Gelegenheit zu dem Unfall gegeben habe. Dennoch ſollte der Räuber, ſo ſehr er ſeine Hand rein von Blut zu erhalten ſtrebte, noch einen dritten Mord, den zweiten und letzten, den er ſelbſt beging, auf ſeine Seele laden. Im Löwen zu Jöhlingen, einem Dorfe in der unteren badiſchen Markgrafſchaft, hatte er einſt mit der ſchwarzen Chriſtine nebſt einem Knecht und einer Magd, die das Paar bei ſich im Dienſte hatte, Herberge genommen. So oft er ſeinen Stern mit Chriſtinens Stern verband, konnte er im Wohlſtande leben. Der Knecht war ein gelernter Jauner und in die Unternehmungen ſeiner Herrſchaft eingeweiht; die Magd aber, die anfänglich als Wärterin für ein inzwiſchen wieder geſtorbenes Kind Chriſtinens angenommen war, hatte bloß häusliche Dienſte zu verrichten und alles eigenmächtige Stehlen war ihr von ihrem Herrn ſtrengſtens unterſagt worden, weil ſie, wie er ſich ausdrückte, als ein Menſch von ſchlechter Kleidung und Perſon leicht darüber ins Unglück kommen könnte. Herrſchaft und Geſinde ſpeiſten ruhig mit einander und achteten nicht darauf, daß zwei Männer in die Stube traten, ſie eine kleine Zeit aufmerkſam beobachteten und ſich dann einer nach dem andern wieder entfernten. Die Geſellſchaft war auf¬ gefallen, ſei es daß ihre jeniſche Sprache Verdacht erregt, oder daß man ſie auf einem benachbarten Markte geſehen hatte. Plötzlich fiel auf der Straße ein Schuß. Sie fuhren auf, aber zu gleicher Zeit D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 29

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/465>, abgerufen am 18.05.2024.